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Globales
Klage gegen VW in Brasilien wegen einstiger Unterstützung der Militärdiktatur
Auf Blut gebaut
Von Hans Georg

Der deutsche Volkswagen-Konzern muss sich in Brasilien wegen seiner einstigen Unterstützung für die Militärdiktatur gerichtlich verantworten. In einer Zivilklage, die diese Woche eingereicht worden ist, wird dem Unternehmen vorgeworfen, in der Zeit der Diktatur (1964 bis 1985) mit den Repressionsbehörden kollaboriert, "schwarze Listen" missliebiger Arbeiter an sie weitergeleitet und Folter auf dem Werksgelände zugelassen zu haben. Die Vorwürfe werden von der brasilianischen Wahrheitskommission bestätigt, die von 2011 bis 2014 die Verbrechen der Militärdiktatur untersucht hat.

Ihr zufolge ist die Sicherheitsabteilung von VW do Brasil in São Paulo von Franz Stangl aufgebaut worden, einem NS-Massenver-brecher, der mehrere NS- Mordanstalten und Vernichtungslager geleitet hatte. Die Kolla-boration von VW mit dem Militär-regime ist Teil einer allgemeinen bundesdeutschen Zusammenarbeit mit der brasilianischen Diktatur gewesen, die unter den Bundeskanzlern Erhard und Kiesinger begann und unter ihren Nachfolgern Brandt und Schmidt fortgesetzt wurde. Sie verschaffte der bundesdeutschen Wirtschaft die starke Stellung in Brasilien, die sie immer noch innehat. Auf dieser Stellung beruhen die wiederkehrenden Bemühungen Berlins um exklusive politische Kooperation - bis heute.
 
"Im Grunde Demokraten"
 
Die Unterstützung des Volkswagen-Konzerns für die brasilianische Militärdiktatur ist kein Einzelfall, sondern vielmehr in eine breit angelegte Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den in Brasília herrschenden Militärs eingebettet gewesen. Bundesdeutsche Unternehmen hatten in den 1950er Jahren umfangreiche Geschäftstätigkeiten in Brasilien gestartet und bauten sie in den 1960er und 1970er Jahren weiter aus. Der Militärputsch vom 31. März 1964, der mit Hilfe der Vereinigten Staaten zustande gekommen war [1], stellte dabei kein Hindernis dar. Bereits am 11. Mai 1964 traf Bundespräsident Heinrich Lübke als erster auswärtiger Staatschef nach dem Umsturz in Brasilien ein, sagte finanzielle Unterstützung zu und stellte eine Fortführung der bundesdeutschen Investitionstätigkeit in Aussicht. Als der Außenwirtschaftsverband "Ibero-amerikanischer Verein" im Jahr 1966 seinen "Lateinamerika-Tag" abhielt, erklärte sein Vorsitzender Hans Heinrich Waitz, in Brasilien und Argentinien hätten 1964 und 1966 "unblutige Revolutionen" stattgefunden: "In beiden Ländern haben Militärs den gewählten Präsidenten bzw. Vizepräsidenten gestürzt, weil sie ihr Land ... in Kommunismus oder Peronismus gleiten sahen." Beide seien "im Grunde Demokraten"; es gehe ihnen lediglich "um eine neue demokratische Verfassung, die imstande ist, die kommunistische Gefahr zu bannen". Nichts stehe also der weiteren ökonomischen Kooperation im Wege.
 
Ein investorenfreundliches Klima
 
Tatsächlich verdichteten sich die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen in den folgenden Jahren rasant. Brasiliens Exporte in die Bundesrepublik verdoppelten sich von 1965 bis 1971, während die bundesdeutschen Ausfuhren in das südamerikanische Land im selben Zeitraum um 370 Prozent und von 1971 bis 1975 um 500 Prozent in die Höhe schossen. Auch der Zufluss deutschen Kapitals nach Brasilien nahm von 72,8 Millionen DM im Jahr 1967 auf 227,5 Millionen DM im Jahr 1968 zu und erreichte in den Folgejahren zwischen 128 Millionen DM und 189,1 Millionen DM. "Offensichtlich" sei "das von Ordnung und Stabilität geprägte Klima in Brasilien äußerst anziehend für ausländisches Kapital" gewesen [2], heißt es in einer Untersuchung über die deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen: Das Militärregime "wies die Forderungen der Arbeiterschaft zurück und gewährleistete hohe Gewinnspannen bei Investitionen".[2]
 
Folter und Mord als Staatsdoktrin
 
Dabei wurden die boomenden Geschäfte bundesdeutscher Unternehmen mit der brasilianischen Diktatur von der Bonner Regierung aufmerksam gefördert. Einen Höhepunkt bildete der jahrelang vorbereitete deutsch-brasilianische Atomvertrag von 1975 [3], ein umfangreiches Abkommen, das laut Auskunft eines Fachmanns "eine neue Dimension in die bilateralen Beziehungen" brachte: Die Abmachung sah "die Lieferung von acht Reaktoren, die Erschließung, Förderung und kommerzielle Nutzung von brasilianischem Uran, Fabriken zur Vorbereitung und Produktion von fossilen Brennstoffen und den Bau der Kraftwerke gemeinsam mit dem brasilianischen Staatsunternehmen Nuclebrás" vor.[4] Verantwortung für das Geschäft trug die sozialliberale Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der im März 1978 den Militärherrscher Ernesto Geisel in Bonn begrüßte; Geisel durfte Deutschland als erstes brasilianisches Staatsoberhaupt seit der Berlin-Reise von Kaiser Dom Pedro II. im April 1877 besuchen. Während die politischen und wirtschaftlichen Eliten der Bundesrepublik ihre Beziehungen zu den brasilianischen Militärherrschern stärkten, verantworteten diese gewaltige Verbrechen, deren Aufarbeitung in den Jahren von 2011 bis 2014 die brasilianische Wahrheitskommission beschäftigte. Der Abschlussbericht, den die Kommission im Dezember 2014 vorgelegt hat, zeigt, worüber das bundesdeutsche Establishment bei seinen lukrativen Geschäften recht großzügig hinwegsah: "Folter und Mord waren Staatsdoktrin", hielt eine konservative deutsche Tageszeitung rückblickend fest.[5] Weit über 400 Regimegegner wurden im Auftrag der in Brasília herrschenden Militärs ermordet, zahllose weitere gefoltert oder anderweitig drangsaliert.
 
Auf dem VW-Werksgelände misshandelt und gefoltert
 
Aus dem Abschlussbericht der "Wahrheitskommission" geht hervor, dass bundesdeutsche Konzerne das brasilianische Mordregime auch jenseits ihrer unmittelbaren Wirtschaftstätigkeit unterstützten. Das ist im Kern schon lange bekannt. Bereits 1994 berichtete die Tageszeitung Jornal do Brasil, der Volkswagen-Konzern habe in den 1970er Jahren Staatsspitzel in Gewerkschaftsversammlungen eingeschleust und dabei unter anderem den damaligen Präsidenten der Metallarbeitergewerkschaft Sindicato dos Metalúrgicos in São Bernardo do Campo bei São Paulo ausspioniert, wo VW do Brasil seinen Hauptsitz hat. Bei dem ausspionierten Gewerkschaftsfunktionär handelte es sich um den späteren Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Zudem hieß es, Volkswagen habe "schwarze Listen" mit den Namen missliebiger Arbeiter an die Repressionsbehörden weitergereicht und Organe der Diktatur auch finanziell unterstützt.[6] All dies wird jetzt durch den Kommissionsbericht bestätigt. Darüber hinaus schildert das Dokument, wie Arbeiter bei VW in São Bernardo do Campo unter den Augen des Sicherheitschefs von bewaffneten Repressionskräften ergriffen und auf dem Werksgelände misshandelt und gefoltert wurden.[7] Im Gegenzug ließ das Militärregime es zu, dass - wie der brasilianische Historiker Rodolfo Machado bestätigt - "Arbeiter in ihren Rechten beschnitten und regelrecht ausgebeutet" wurden.[8]
NS-Mordspezialist im Einsatz
 
Die Sicherheitsabteilung des Konzerns in São Bernardo do Campo, die für das Ausspionieren der Arbeiter und auch für die Folter Verantwortung trug, ist laut dem Bericht der Wahrheitskommission von Franz Stangl aufgebaut worden.[9] Stangl, der in den 1930er Jahren zum Polizisten ausgebildet worden war, leitete ab 1940 die NS-Mordanstalten Hartheim und Bernburg und kommandierte ab 1942 die NS-Vernichtungslager Sobibor und Treblinka. Ab 1943 war er im Rahmen der "Sonderabteilung Einsatz R" an der Deportation von Jüdinnen und Juden und an der Partisanenbekämpfung im adriatischen Küstengebiet beteiligt. Nach dem Krieg konnte er nach Syrien und von dort nach Brasilien fliehen, wo er 1959 von VW do Brasil übernommen wurde. 1967 wurde er inhaftiert und in die Bundesrepublik gebracht, wo das Landgericht Düsseldorf ihn wegen gemeinschaftlichen Mordes an mehr als 400.000 Jüdinnen und Juden zu lebenslanger Haft verurteilte. Dass ein NS-Massenverbrecher mit Erfahrung in der NS-Partisanenbekämpfung nach dem Krieg beim Aufbau von Repressionsapparaten eingesetzt wurde, ist kein Einzelfall: In den 1960er und 1970er Jahren beriet der NS-Verbrecher Klaus Barbie, der weithin für sein blutiges Vorgehen gegen gegen die französische Résistance berüchtigt war ("Schlächter von Lyon"), gleich mehrere bolivianische Diktatoren bei der brutalen Niederwerfung sozialistischer Aufstände.[10]
 
Volkswagen vor Gericht
 
Exemplarisch für die bundesdeutsche Kollaboration mit dem brasilianischen Militärregime wird nun die Folterbeihilfe durch den Volkswagen-Konzern in São Paulo gerichtlich untersucht. Eine entsprechende Zivilklage ist am Dienstag eingereicht worden. Volkswagen habe "die Existenz einer Staatspolizei im Inneren des Unternehmens" zugelassen, "schwarze Listen" mit den Namen missliebiger Arbeiter geführt sowie deren Festnahme und Folter zumindest toleriert, erklärt einer der Kläger: "Volkswagen war nicht das einzige beteiligte Unternehmen, aber es hatte in São Paulo eine Führungsrolle".[11]
 
Starke Stellung
 
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hat die deutsche Kollaboration mit dem brasilianischen Militärregime ihr hauptsächliches Ziel längst erreicht: Deutsche Unternehmen halten in dem Land, das als Vormacht Südamerikas gilt, eine starke Stellung, erzielen hohe Profite und sichern Berlin spürbaren Einfluss. Der Bestand an unmittelbaren und mittelbaren Direktinvestitionen in Brasilien wird von der Bundesbank für 2013 mit fast 20 Milliarden Euro beziffert - deutlich mehr als in jedem anderen amerikanischen Staat außer den USA. VW do Brasil ist der führende Autokonzern des Landes, São Paulo zählt zu den bedeutendsten Auslandsstandorten der deutschen Industrie. Die Schwerpunktsetzung der deutschen Wirtschaft auf Brasilien korrespondiert mit den immer wieder erkennbaren Bemühungen Berlins, Brasília für eine bilaterale Kooperation auch jenseits von US-Interessen zu gewinnen, um eine unabhängige deutsch-europäische Position im unmittelbaren lateinamerikanischen Einflussbereich Washingtons zu stärken (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Deutschlands politische und ökonomische Stellung gründet dabei auf den Kooperationserfolgen der 1960er und 1970er Jahre - also auf der blutigen Zusammenarbeit des bundesdeutschen Establishments mit der Militärdiktatur.
 
Mehr zur deutschen Brasilien-Politik finden Sie hier: Juniorpartner, Das Recht auf Treibstoff, Treibstoff statt Brot, Die brasilianische Bombe, Herausforderer der USA, Partners in Leadership, Hoffnung auf die Zeitenwende, Motor der Industrie und Die WM-Profiteure. (PK)
 
[1] Dokumente, die die US-Unterstützung für die putschenden brasilianischen Militärs belegen, sind bereits 2004 veröffentlicht worden: Brazil marks 40th anniversary of military coulp. Declassified documents shed light on U.S. role. nsarchive.gwu.edu 31.03.2004.
[2] Luiz Alberto Moniz-Bandeira: Wachstumsmarkt Brasilien. Der deutsche Wirtschafts- und Handelsbeitrag in Geschichte und Gegenwart. Wiesbaden 2013.
[3] S. dazu Die brasilianische Bombe.
[4] Christian Lohbauer: Brasilien und Deutschland: sechs Jahrzehnte intensiver wirtschaftlicher Partnerschaft. Cadernos Adenauer XIV (2013), Edição Especial, S. 133-147.
[5] Matthias Rüb: Folter mithilfe von Schlagen und Ratten. www.faz.net 11.12.2014.
[6] Christian Russau: VW do Brasil und die Militärdiktatur. www.kooperation-brasilien.org 16.07.2014.
[7] Comissão Nacional da Verdade: Relatório. Volume II. Textos Temáticos. Brasília, Dezembro 2014.
[8] Julio Segador: Die umstrittene Rolle von VW während der Militärdiktatur. www.deutschlandfunk.de 21.03.2015.
[9] Felipe Amorim, Rodolfo Machado: CNV: Sistema da Volkswagen para vigiar funcionários na ditadura foi criado por criminoso nazista. operamundi.uol.com.br 12.12.2014.
[10] S. dazu Eigentum verpflichtet.
[11] Zivilklage gegen VW in Brasilien eingereicht. www.sueddeutsche.de 23.09.2015.
[12] S. dazu Herausforderer der USA und Partners in Leadership.
 
Diesen Bericht haben wir mit Dank aus dem Blog von gfp übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59210


Online-Flyer Nr. 5530  vom 30.09.2015

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