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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Krieg und Frieden
Gefahren für Frieden und Sicherheit in Europa werden durch die USA erhöht
Ukraine – und das Ende?
Von Anton Latzo

In der letzten Woche hat sich die Lage entlang der Trennlinie im Südosten der Ukraine erneut zugespitzt. Beide Seiten warfen der jeweils anderen Seite vor, die Schuld an der erneuten Eskalation des Konflikts und am erneuten Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen zu tragen. Es gibt aber keine zwei Wahrheiten.
 

Ukrainischer Regierungschef
Arsenij Jazenjuk
NRhZ-Archiv
Die Provokateure sind jedoch zu identifizieren. Ein wichtiges Ziel der Planer und Hauptakteure derartiger bewaffneter Provokationen besteht darin, eine Situation zu schaffen, die es der Kiewer Regierung und ihren Auftraggebern erlaubt, die Minsker Abkommen, die die notwendigen Elemente zur Regelung der Situation in der Ukraine enthalten, aber an deren Fixierung die USA nicht beteiligt waren, nicht einzuhalten.
Russland geht davon aus, dass es keine Alternative zu der im Minsker Abkommen vorgesehenen friedlichen Regelung gibt. Sie enthielt alle Schlüsselaspekte einer solchen Regelung: politische, militärische, sozialökonomische und humanitäre, die miteinander gekoppelt seien. Deshalb sei eine vollständige Implementierung notwendig. Derartige Stellungnahmen gibt es auf Seiten der USA und ihrer Beauftragten in den politischen Institutionen Kiews nicht.
 
Für den ukrainischen Regierungschef von Amerikas Gnaden, Arsenij Jazenjuk, ist der Abschluss des Konflikts im Donbass „noch sehr weit entfernt“. (7.08.2015) Er macht Russland dafür verantwortlich, das, nach seinen Worten, die Minsker Vereinbarungen nicht einhalte. „Der Weg zum Frieden ist nur über starke Streitkräfte, eine starke Nationalgarde und ein starkes ukrainisches Heer möglich, das die Ukraine schützen würde.“
Während einer USA-Reise im Juni 2015, also lange vor Beginn der gegenwärtigen Phase der militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine, versprach er seinen Herren: „Wir sind überzeugt, dass wir die Kontrolle über den Donbass, Lugansk und die Krim wiedergewinnen werden. Und wir werden unser Territorium kontrollieren!“ Russland sei der Aggressor. Russland würde „die Weltordnung unterminieren“, wolle „nach dem Zweiten Weltkrieg neue Grenzen zeichnen …, die Rechte und Freiheiten, Demokratie und unsere Nationen nicht achten (wollen). Das sind unsere Feinde.“
Das ist die primitiv aber deutlich formulierte Konzeption, die für die „Regelung“ der Verhältnisse in der Ukraine und in Europa von den Rechten, von den reaktionärsten Kräften des Imperialismus vorgesehen ist!
 
Die Behörden der Volksrepublik Donezk haben Kiew aufgefordert, die Provokationen, die die Minsker Friedensvereinbarungen zum Scheitern bringen können, einzustellen und die schwere Kriegstechnik abzuziehen. Sie warnen auch davor, dass ein Ausstieg Kiews aus den Minsker Abkommen dazu führen würde, dass der Krieg die Grenzen des Donezbeckens überschreitet. Es sei nicht zu übersehen, dass die ukrainischen Streitkräfte immer neue Kriegstechnik an die Frontlinie verlegen, sagte der Bevollmächtigte der Donezker Volksrepublik in der Minsker Kontaktgruppe. Kiew habe bisher nicht einen einzigen Punkt der Minsker Abkommen vollständig erfüllt. „Wir beobachten nur Vortäuschung durch Kiew und Provokationen gegen uns und gegen die OSZE-Beobachter“, erklärte Denis Puschilin, bevollmächtigter Vertreter der Donezker Volksrepublik in der Minsker Kontaktgruppe.
Auch die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben erklärt, dass sie in den letzten Wochen in den Gebieten, die von der ukrainischen Regierung kontrolliert werden, schwere Waffen registriert haben. Das sei ein Verstoß gegen die Vereinbarungen, erklärte der stellvertretende OSZE-Missionschef Alexander Hug am 7. August 2015 in Mariupol.      
 
Tatsache ist, dass eine neue Runde der Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine ausgebrochen ist. Das ist jedoch eingetreten, nachdem Kiew die Vereinbarung über den Abzug schwerer Waffen aus dem Kampfgebiet, die während der Minsker Treffen der Außenminister vereinbart wurde, blockiert bzw. gebrochen hat. Kaum waren die Minsker Gespräche beendet, begann Kiew die Verwirklichung zu verzögern bzw. einzustellen. Um dieses Verhalten zu verschleiern, wird zu militärischen, politischen und medialen Provokationen gegriffen, deren Rechtfertigung die politische und Medienszene beherrschen, diese vergiften und die Wahrheit entstellt darstellen.
Dazu wird ein Feindbild geschaffen und „gepflegt“, das die Propaganda der imperialistischen Expansion glaubhafter erscheinen lassen soll. An der Reihe ist erneut der Russe, der Osten, weil sein Bild seit langem in den Köpfen der Ideologen des Kapitals verankert ist. Man muss es nur wieder aktivieren und über die Medien entsprechend intensiv und grausam darstellen.
Auf dieser Grundlage kann auch der Stellvertreterkrieg glaubhafter als Anliegen des Kampfes für die Freiheit der Völker propagandistisch wirksam verkauft werden. Und was in
der Ukraine gegenwärtig stattfindet, ist ein Stellvertreterkrieg, der in Europa von der ukrainischen Armee und den „Freiwilligenbataillonen“ des Rechten Sektors im Auftrag der imperialistischen Mächte an der westlichen Grenze Russlands geführt wird.
 
Eine wichtige Funktion der immer wieder von den nationalistischen und faschistischen Kräften provozierten Kämpfe besteht auch darin, dass sie von der reaktionären Entwicklung und von den zunehmenden repressiven Maßnahmen im Inneren der Ukraine ablenken sollen, die auch deshalb durchgeführt werden, um nicht zuzulassen, dass das Land als Einflussgebiet der imperialistischen Mächte, als zentrales Glied in der vom Baltikum bis hinter das Schwarze Meer reichenden Kette um Russland von innen her „gefährdet“ wird.
Dazu werden zunehmend diktatorische Mittel und Methoden eingesetzt, die demokratische Regungen der patriotischen Kräfte in der Ukraine verhindern aber als demokratisch legitimiert erscheinen sollen. Dazu gehört z.B. das Verbot der kommunistischen Bewegungen und ihrer Symbole.
Bestandteil dieser Entwicklung im Inneren ist auch der Einsatz amerikanischer Bürger oder anderer USA-höriger Ausländer in wichtige Funktionen des Staates auf zentraler und mittlerer Ebene, als Minister, Gouverneur usw. Diese Entwicklung, die mit der Notwendigkeit begründet wird, die Freiheit gegen den russischen Einfluss zu schützen, soll die Machtpositionen der USA und ihrer imperialistischen Verbündeten sowie der ukrainischen Reaktion sichern. Die Ukraine nimmt immer mehr den Status einer Kolonie an, die entsprechend den Interessen des ausländischen Kapitals zu funktionieren hat.
Vor allem soll sie als eine feste Bastion der USA in Europa ausgebaut werden. Damit entstehen aber auch neue Gefahren, weil auch die verschiedensten Widersprüche wirksam werden, die das Verhältnis zwischen den USA und den imperialistischen Mächten der EU charakterisieren. Betroffen ist davon auch das Verhältnis zwischen Deutschland und seinen Zielen in dieser Region und der Politik der USA. Diese Entwicklung weitet sich so zu einem wichtigen Kettenglied im Prozess der zunehmenden Gefährdung von Frieden und Sicherheit in Europa und an den Grenzen zu Russland aus! Diese Entwicklung und ihre Gefährlichkeit sollen vom den Massen nicht erkannt werden!
 
Eine weitere Funktion, die die ständigen Provokationen der von den USA gelenkten ukrainischen und ausländischen politischen, militärischen und „zivilen“ Kräften und ihre öffentliche Behandlung besitzen, besteht darin, den Prozess der Verfestigung und Erweiterung des Einflusses der USA und der NATO in der Ukraine und im östlichen Teil der EU mit einem dichten Nebel zu umgeben, der das Erkennen des wahren Charakters der Ziele der USA und der anderen imperialistischen Mächte verhindert und hilft, die Politik der USA zu rechtfertigen.
 
Gleichzeitig mit ihren Aktionen auf multilateraler Basis arbeiten die USA sehr intensiv daran, ihre Positionen in den osteuropäischen Staaten auf bilateraler Ebene zu gestalten, um ihre Handlungsmöglichkeiten in Europa zu konsolidieren und sie unabhängig von der multilateralen Ebene zu machen. Es gilt, das „neue Europa“ aufzubauen, wie amerikanische Politiker erklärten. Dazu haben sie mit den osteuropäischen Staaten bilaterale Verträge über Strategische Partnerschaften abgeschlossen, die die Beziehungen der USA zu dem jeweiligen osteuropäischen Land auf politischem, militärischem und wirtschaftlichem Gebiet so regeln, dass die USA auch entgegen den Interessen der EU in diesen Mitgliedstaaten der EU aktiv werden können.
Das ist auch die Grundlage, auf der das Raketenabwehrsystem der USA gegen Russland aufgebaut wird, auf dem Militärstützpunkte der USA besonders im Baltikum, in Polen und in Rumänien und Bulgarien am Schwarzen Meer an der Grenze bzw. in der unmittelbaren Nähe der Grenze zu Russland errichtet werden. Auf dieser Grundlage werden von den USA in diesen Ländern zahlreiche Regierungs-, außenpolitische und militärische Berater, Ausbilder und Spezialisten, einschließlich Nachrichtenspezialisten stationiert. Der US-Imperialismus hat sein militärisches Vordringen nach Osteuropa immer weiter verschärft um Russland einzukreisen und unter wachsenden äußeren Druck zu stellen. Das alles soll aber durch die von Russophobie getragene Propaganda verdeckt werden, die zur Rechtfertigung ihrer Provokationen im Osten der Ukraine unternommen wird. Diese Propaganda von der Gefahr aus dem Osten soll verhüllen, was tatsächlich gewollt ist.
 
Die Vorgänge in und um die Ukraine machen deutlich, dass es den USA und den anderen imperialistischen Staaten darum geht, ihren Kampf um die Ukraine zugleich zu nutzen, um Russland zu diskreditieren und seine internationalen antiimperialistischen Positionen zu schwächen. Je stärker in der Außenpolitik Russlands die Interessen des Landes wieder als antiimperialistische Positionen sichtbar wurden, umso deutlicher zeichnete sich der Interessengegensatz zu den Zielen der USA und der anderen imperialistischen Mächten ab. Die Interessengegensätze in der Ukraine-Frage sind Bestandteil dieses breiteren Zusammenhangs. 
 
Es war am 8. Februar 2008 als ein Telegramm aus der amerikanischen Botschaft in Moskau an die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice ging, in dem, wie inzwischen von Wikileaks publik gemacht, der amerikanische Botschafter seiner Ministerin mitteilte, dass Sergei Lawrow, der Außenminister Russlands, erklärt habe, dass Russland mit einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht einverstanden sein könne. Lawrow äußerte dem entsprechend „Befürchtungen, dass das Thema das Land (die Ukraine – A.L.) entzweien und zu Gewalttätigkeiten führen könnte und sogar, so behaupten manche, zu einem Bürgerkrieg, der Russland zwingen würde, über eine Intervention nachzudenken“. Nur zwei Monate später kündigte die NATO auf einer Tagung in Bukarest aber trotzdem ihre Entschlossenheit an, Georgien und die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen.
Der Konflikt war also seitens der NATO seit vielen Jahren programmiert. Der Maidan und der Putsch der faschistischen Kräfte in Kiew erfolgten mit dem Ziel, Bedingungen zu schaffen, um die Vorhaben der imperialistischen Mächte zu verwirklichen.
Offensichtlich in Kenntnis der kommenden Ereignisse hat auch US-Präsident Obama, kurz vor Beginn der Provokationen auf dem Kiewer Maidan, ein für September 2013 geplantes Gipfeltreffen in Moskau abgesagt. Man glaubte ja, Russland isolieren zu können. Der Antikommunismus/Antisowjetismus wurde in Gestalt der Russophobie wiederbelebt.
Die Hoffnung der US-amerikanischen Reaktion und der führenden NATO-Kreise bzw. der imperialistischen Mächte der EU, Russland zu isolieren, hat sich als Wunschdenken erwiesen.
 
Die Auseinandersetzungen wurden langwieriger als von den imperialistischen Mächten erwartet. Sie werden so lange andauern, wie die kapitalistischen Großmächte sich weigern, Russland wieder als Großmacht anzuerkennen, die reale und legitime Interessen hat, und dass auf Grund ihrer objektiven Stellung in den internationalen Beziehungen ihre Politik, wenn sie nationalen Interessen entsprechen soll, antiimperialistischen Charakter tragen muss.
Um die Bündnismöglichkeiten, die sich aus dieser objektiven Stellung Russlands im internationalen System ergeben, zu vereiteln, muss Russland als aggressiver Staat, dem es um imperiale Ziele geht, dargestellt werden. Denn wenn es gelingt, die Staaten, die den sich entwickelnden Bündnissen von BRICS und SOZ zugeneigt sind, unter einem Dach zu vereinigen, dürfte es zu einer grundlegenden Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses kommen, die den imperialistischen Mächten so manche Grenze setzen kann. Die Provokationen im Osten der Ukraine und ihre mediale Behandlung sollen deshalb ein positives Bild von Russland und seiner Politik verhindern.
Damit wurde auch die geistige Landschaft in den weltweiten Beziehungen und in Europa vergiftet und die ideologische Auseinandersetzung in den Fragen von Krieg und Frieden hat sich generell verschärft. Politisch sind die USA und die Großmächte der EU, anstatt die sicherheitspolitischen Interessen Russlands ernst zu nehmen, dazu übergegangen, Russland und seine Sicherheitsinteressen zu dämonisieren und aus den auf Frieden und Sicherheit der Völker ausgerichteten europäischen Regelungen praktisch herauszudrängen. Sie folgten auch in ihrer Außenpolitik der so genannten „Transformations-Theorie“, die davon ausgeht, dass Politik und Wirtschaft und das dazu passende politische System des gesamten Raumes von der Elbe bis zur Beringstrasse entsprechend den euro-atlantischen Normen, den Normen des internationalen Kapitals, gestaltet werden muss.
 
Die Provokationen im Osten der Ukraine und vor allem die einseitige, tendenziöse Propaganda, die in diesem Zusammenhang von den imperialistischen Agenturen entfacht wird, sollen diese aggressive Politik des Imperialismus legitimieren. In realistischer Einschätzung der Lage muss für die Zukunft in Betracht gezogen werden, dass wir es für längere Zeit mit diesem Zustand, der durch Instabilität und Unsicherheit charakterisiert ist, zu tun haben werden. Die „Ukraine-Frage“ - in diesen Zusammenhang gestellt - ist keine kurzfristige Frage. Sie kann Anlass größerer Zusammenstöße mit unkontrollierbaren Folgen sein. 
 
Auch die kürzlich verabschiedete ukrainische nationale Sicherheitsstrategie ist auf eine langfristige Konfrontation mit Russland ausgerichtet. Innenpolitisch beinhaltet sie eine weitere Militarisierung des Landes, auf Kosten der Lebensbedingungen und der Sicherheit der Bevölkerung und des Friedens in der Region. Sie bietet den USA und der NATO die Möglichkeit, die Ressourcenbasis der Ukraine zu nutzen, postuliert eine weitere Annäherung an die NATO und die EU und provoziert eine weitere Eskalation des Konflikts im Südosten des Landes. Laut Alexander Turtschinow, Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, gehört „Russlands aggressive Politik zu den größten Gefahren für die Ukraine“.
Auch in diesem Falle zeigt sich die große Übereinstimmung mit den USA. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA ist auch stärker gegen Russland gerichtet. Sie betont, dass „Russlands Aggression“ eingedämmt werden müsse, vor allem in Bezug auf die Ukraine. Auf dem Weg zur Juni-Tagung der NATO-Verteidigungsminister erklärte US-Verteidigungsminister Ashton Carter, dass die NATO ihre strategische Orientierung auf eine langfristige Konfrontation mit Russland ausrichte. Auch er verurteilte die „russische Aggression“ in der Ukraine und sprach von einem „neuen Drehbuch“, das zur Anwendung komme.
 
Der Missbrauch der Ukraine im Kampf gegen Russland wird weiter betrieben. Es ist nicht auszuschließen, dass dies durch eine erweiterte Einbeziehung der osteuropäischen Staaten in dieses Komplott erfolgt und damit die Gefahren für Frieden und Sicherheit in Europa erhöht werden! Das ist der wahre Hintergrund der Provokationen der imperialistischen Kräfte in der Ukraine. (PK)


Anton Latzo, geb. 1938, ist Historiker und Politikwissenschaftler, war am Institut für Internationale Beziehungen der DDR in Potsdam-Babelsberg Lehrstuhlleiter für Geschichte und Politik der damaligen Warschauer Vertragsstaaten. Er verfolgt auch nach 1990 die Entwicklung und Politik dieser Länder und hat in letzter Zeit besonders zum Kampf in der Ukraine, zum 8. Mai und Betrachtungen zu anderen osteuropäischen Staaten veröffentlicht.
 


Online-Flyer Nr. 524  vom 19.08.2015

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