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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Globales
Russischer Autor für eine Verschärfung der Konfrontation mit Russland:
Den zweiten Kalten Krieg gewinnen
Von Hans Georg

Ein Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) plädiert für eine massive Verschärfung der Konfrontation mit Russland und will Organisationen in EU-Staaten, die von russischen Bürgern unterstützt werden, zu "Agenten des Aggressors" erklären lassen. Wie Wladislaw L. Inosemzew in einem aktuellen DGAP-Papier verlangt, müsse der Westen "die notwendigen Ressourcen mobilisieren, um den zweiten Kalten Krieg zu gewinnen". Dazu gehörten politische wie vor allem auch wirtschaftliche Maßnahmen.
 

Wladislaw Leonidowitsch Inosemzew
Die Schritte, die der DGAP-Autor vorschlägt, laufen auf einen um- fassenden Wirtschaftskrieg gegen Russland und ernste Schritte gegen "Putin-Versteher" (Inosemzew) hinaus. In Berlin wird unterdessen weiter über die Russland-Politik diskutiert. Wirtschaftskreise dringen hartnäckig auf eine Beendigung der Sanktionen, weil sie Geschäftseinbußen in Milliardenhöhe und den Verlust eines strategischen Marktes befürchten. In der Bundesregierung werde daher wieder über Konzepte à la "Wandel durch Handel" nachgedacht, berichtet ein Insider. Derlei Konzepte zielen darauf ab, trotz der politischen Konfrontation profitable Geschäfte für deutsche Unternehmen zu ermöglichen - wie im ersten Kalten Krieg.
 
Milliardenverluste
 
Die Russlandpolitik ist im deutschen Establishment - anders, als es die mediale Berichterstattung suggeriert - nach wie vor nicht unumstritten. Diejenigen Teile der deutschen Wirtschaft, die in Russland Geschäfte machen, dringen weiterhin auf eine erneute Annäherung und auf ein Ende der Sanktionen. Dabei ist laut Angaben aus dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft jedes zehnte deutsche Unternehmen in Russland aktiv; von der Ausfuhr dorthin seien in der Bundesrepublik mehr als 300.000 Arbeitsplätze abhängig. Im vergangenen Jahr brach der schon zuvor deutlich geschrumpfte Russland-Export von 35,8 Milliarden Euro (2013) auf 29,3 Milliarden Euro (2014) ein - ein Rückgang von rund 18 Prozent. Wie der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft berichtet, sind die Ein- und Ausfuhren aus und nach Russland im ersten Quartal 2015 noch weiter gesunken - zusammengenommen um 5,7 Milliarden Euro respektive 30 Prozent.[1] Anfang Juni hat der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, der ehemalige Metro-Chef Eckhard Cordes, bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) interveniert und darauf hingewiesen, dass sich "die deutsche Wirtschaft ... weiterhin in Russland engagieren wolle". Zurzeit befinde sich das deutsch-russische Handelsvolumen "auf einem ähnlichen Niveau wie mit dem vergleichsweise kleinen Österreich", monierte Cordes; "diese Gegenüberstellung" verdeutliche "das wirtschaftliche Potenzial in Russland", das aufgrund des Konflikts "vorerst unausgeschöpft" bleibe.[2]
 
Wandel durch Handel
 
Die vom antirussischen Mainstream in der außenpolitischen Community abweichenden Interessen der deutschen Wirtschaft werden in der Bundesregierung keineswegs ignoriert. Das geht aus einem Beitrag des politischen Chefkorrespondenten der Nachrichtenagentur Reuters in Berlin, Andreas Rinke, hervor. Rinke hat das Privileg, zuweilen interne Äußerungen der Kanzlerin oder Positionen aus den inneren Führungskreisen im Kanzleramt in längeren außenpolitischen Grundsatzbeiträgen der Öffentlichkeit vermitteln zu dürfen.[3] Wie er nun schreibt, wächst "in Berlin seit Monaten der Wunsch, den Kontakt mit Moskau nicht zu verlieren". Dabei vollziehe die Bundesregierung einen "schwierigen Balanceakt". "Seit Monaten denkt man im Auswärtigen Amt ... darüber nach, wo man mit Russland neue Gesprächsbande knüpfen kann", berichtet Rinke: "Auf der Suche nach neuen möglichen Kooperationsthemen landete die Bundesregierung insgesamt wieder bei einem alten deutschen Ansatz - dem Wandel durch Handel". "Wenn man schon politisch auseinanderzudriften droht, sollte man zumindest Anknüpfungspunkte im wirtschaftlichen Bereich suchen." Rinke weist darauf hin, dass das Bemühen, die Profite der deutschen Wirtschaft trotz des Konflikts nicht zu schädigen, "in Berlin durchaus parteiübergreifend Unterstützung" finde. So habe auch Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die ihrerseits gewöhnlich mit äußerst harten antirussischen Positionen auffällt, unlängst eingeräumt: "In diesen Zeiten muss die Bundesregierung jeden Dialogfaden mit Russland aufnehmen. Die derzeitige Eskalation produziert nur Verlierer auf beiden Seiten.[4]
 
"Den zweiten Kalten Krieg gewinnen"
 
Dessen ungeachtet kommen aus dem Berliner Außenpolitik-Establishment neue Vorstöße für eine weitere Verschärfung der Aggressionen gegen Russland. Kürzlich hat die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ein Papier des russischen Ökonomen Wladislaw Inosemzew publiziert, der zurzeit als "Berthold Beitz Fellow" am "Robert-Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien" tätig ist. Inosemzew stellt in dem Papier Überlegungen an, was die westlichen Staaten tun könnten, um im Machtkampf gegen Moskau zu siegen. "Der Westen sollte die notwendigen Ressourcen mobilisieren, um den zweiten Kalten Krieg zu gewinnen", fordert er. "Europa" solle dabei "aus einer Position der Stärke" operieren: "Es hat mehr Hebelkraft gegenüber Russland als Russland gegenüber Europa."[5]
 
Wirtschaftskrieg
 
Konkret schlägt Inosemzew Maßnahmen vor, die auf einen umfassenden Wirtschaftskrieg gegen Russland hinauslaufen.[6] So sollten die EU-Staaten ihre Erdgasbezüge aus Russland so rasch wie möglich reduzieren und die fehlenden Mengen durch Flüssiggas aus dem Mittleren Osten oder aus Trinidad ersetzen. Die höheren Kosten müssten die Verbraucher in Europa zahlen. Weil Russland derzeit noch nicht über alternative Absatzmöglichkeiten verfüge - die dazu notwendigen Pipelines nach Ostasien sind erst im Bau -, könne man es durch die Reduzierung der Erdgaseinkäufe schwer schädigen. Europäische Banken kontrollierten 25 Prozent der russischen Kredite - ein bewährtes Druckmittel. Zudem stünden die EU-Staaten faktisch für gut 70 Prozent sämtlicher ausländischen Investitionen in Russland [7]; dies biete ein mächtiges Einflussinstrument: Beginne die EU, Investitionen ihrer Unternehmen abzuziehen, dann werde Russland schlimme Verluste erleiden. Darüber hinaus könne man russische Unternehmen von den europäischen Börsen ausschließen. Erziele man damit immer noch keinen durchschlagenden Erfolg, dann könne man es russischen Bürgern verbieten, in EU-Staaten Firmen oder Grundbesitz im Wert von mehr als 200.000 Euro oder Bankkonten mit Einlagen von mehr als 75.000 Euro zu besitzen. Wie Inosemzew mutmaßt, ließen sich mit derlei Strafmaßnahmen, die für die russische Wirtschaft katastrophale Folgen hätten, die russischen Eliten gegen Putin in Stellung bringen - ein Schritt auf dem Weg zum Umsturz.
 
"Agenten des Aggressors"
 
Ergänzend plädiert Inosemzew dafür, der Existenz von Gegnern der westlichen Aggressionspolitik, die er in diffamierender Absicht "Putin-Versteher" nennt, "mehr Aufmerksamkeit zu widmen". Moskau habe in den letzten Jahren "ideologische Verbündete in Europa rekrutiert", und es schaffe "auf die eine oder andere Art Interessengruppen", die nun die Notwendigkeit verteidigten, die russische Politik zu "respektieren" und "die Sanktionen gegen Russland zu mildern". Es sei "absolut nötig, die finanziellen Interessen solcher Gruppen und ihre geschäftlichen Bindungen an Russland" penibel zu überprüfen.[8] Anschließend solle es politischen Parteien und den Organisatoren politischer Kampagnen EU-weit verboten werden, Spenden aus Staaten zu akzeptieren, die von Human Rights Watch als "unfrei" oder "teilweise frei" eingestuft würden. Darüber hinaus solle jede Organisation, die von staatlichen Stellen in Russland oder auch nur von russischen Bürgern unterstützt werde, offiziell gebrandmarkt werden - als "Agent des Aggressors".
 
Wie Deutschland bis 1945
 
Abschließend erklärt Inosemzew, das heutige Russland spiele - wie schon zuvor die Sowjetunion - in der Weltpolitik dieselbe Rolle wie Deutschland in den Jahren zwischen 1870 und 1945. Man müsse es also um jeden Preis niederhalten. Der DGAP-Mann schreibt wörtlich: "Russland wird nur ein 'normales' Land werden, wenn seine Gesetze von außen installiert werden" [9] - im Kolonialstil. (PK)
 
 
[1] Der Ost-Ausschuss in St. Petersburg. www.ost-ausschuss.de 15.06.2015.
[2] Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. www.dgap.org 09.06.2015.
[3] S. dazu Die Kanzlerin Europas und Die Chance in Griechenland nutzen.
[4] Andreas Rinke: Schwieriger Balanceakt. Berlins Ringen um eine neue Politik gegenüber Russland geht weiter. IP online 19.05.2015.
[5], [6] Vladislav L. Inozemtsev: Russia of 2010s: How to Live with It and How to Outlive It. DGAPkompakt Nr. 7, June 2015.
[7] Inosemzew veranschlagt Investitionen, die über einschlägig bekannte Finanzplätze abgewickelt werden, als Investitionen der tatsächlichen Geldgeber, die sich die Finanzplätze lediglich zunutze machen.
[8], [9] Vladislav L. Inozemtsev: Russia of 2010s: How to Live with It and How to Outlive It. DGAPkompakt Nr. 7, June 2015.
 
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59142 übernommen.
 
Das Foto von Wladislaw L. Inosemzew Foto haben wir mit Dank von der Internetzeitung "russland.RU" http://www.russland.ru/russland-2020-wie-lange-haelt-die-putin-stabilitaet-noch/ übernommen. Er ist Doktor der Wirtschaftswissenschaften, Gründer und Direktor des Zentrums für Studien zur postindustriellen Gesellschaft (www.inozemtsev.net), sowie Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift Swobodnaja mysl. Er ist Autor zahlreicher in Russland, Frankreich, Großbritannien, den USA und China erschienener Bücher sowie wissenschaftlicher und publizistischer Aufsätze. Von 1992 bis 2003 übte er Führungspositionen bei AO Meschbankowski finansowy dom und den Geschäftsbanken Kredit-Moskwa und Moskowsko-Parischski Bank aus. Er ist laut wikipedia Mitglied der Partei "Rechte Sache".


Online-Flyer Nr. 517  vom 01.07.2015

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