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Inland
Bundespräsident Gauck hat auch mit seinem jüngsten Aufruf Erfolg
Das "Bündnis der Freien und Friedfertigen"
Von Hans Georg

Mit dem Aufruf für ein westliches "Bündnis der Freien und Friedfertigen" feuert das deutsche Staatsoberhaupt die Medien- und Militärkampagne gegen "islamistische Fundamentalisten" und für die Ausweitung des Krieges im Mittleren Osten an. Ihr "Hass" sei der Deutschen "Ansporn", erklärte Joachim Gauck vergangene Woche; nun sei die Stunde gekommen, da "jeder und jede ... sich selbst in die Pflicht" nehmen müsse: "Wir alle sind Deutschland".
 

Joachim Gauck – ist sogar schon ein
Buch wert
NRhZ-Archiv
Während die Bundeswehr ihre Kriegsvorbereitungen verstärkt und die irakische Regierung dazu aufruft, den Waffengang gegen den "Islamischen Staat" (IS) auszuweiten, hat die Bundesregierung anschließend Schritte eingeleitet, die es in Zukunft ermöglichen, "Personen, die die innere oder äußere Sicherheit Deutschlands gefährden", durch den Entzug ihres Personalausweises an Reisen ins Ausland zu hindern. Dies richtet sich aktuell gegen Dschihadisten, kann aber jederzeit auf andere "Sicherheitsgefährder" welcher Art auch immer angewandt werden. Der Einsatz der Bundeswehr im Krieg gegen den IS, den die Maßnahmen begleiten, bricht laut Auffassung von Völkerrechtlern das Grundgesetz.
 
"Wir alle sind Deutschland"
 
Mit dem Aufruf für ein westliches "Bündnis der Freien und Friedfertigen" feuert das deutsche Staatsoberhaupt die Medien- und Militärkampagne gegen "islamistische Fundamentalisten" und für die Ausweitung des Krieges im Mittleren Osten an. Ihr "Hass" sei der Deutschen "Ansporn", sagte Joachim Gauck am Abend vor dem Brandenburger Tor in Gegenwart von Repräsentanten sämtlicher Bundestagsparteien: Nun sei die Stunde gekommen, da "jeder und jede ... sich selbst in die Pflicht" nehmen müsse, "ein jeder an seinem Platz, ein jeder auf seine Art". "Wir alle sind Deutschland", appellierte der Bundespräsident angesichts neuer Kriegsvorbereitungen der Bundeswehr und der mit ihr verbündeten Armeen im Nahen und Mittleren Osten.[1]
 
Feindliche Kämpfer
 
Gaucks "Bündnis der Freien" startet unmittelbar in eine neue Phase des Ausbaus der inneren Repression. Anlass sind Reisen deutscher Dschihadisten in das syrisch-irakische Kriegsgebiet. In der Tat sind seit 2012 fast 600 Deutsche meist nach Syrien gereist, um sich dort am Krieg gegen die Regierung von Bashar al Assad zu beteiligen, vorwiegend in den Reihen des "Islamischen Staats" (IS). Dieser konnte es sich zunutze machen, dass der Westen - auch die Bundesregierung - den Aufstand gegen Assad politisch und materiell bis zum Zusammenbruch des syrischen Staates in weiten Teilen des Landes unterstützte: Das mit westlicher Hilfe geschaffene Machtvakuum in Nord- und Ostsyrien hat die Etablierung des IS erst ermöglicht (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Mit dem erstmaligen Aufbau staatsähnlicher Strukturen gemäß den Vorstellungen von Dschihadisten ist es dem IS gelungen, in dschihadistischen Milieus weltweit eine bislang einzigartige Attraktivität zu erlangen. Schon im Herbst bezifferten Experten die Zahl ausländischer Kämpfer in den Reihen des IS auf rund 15.000. Aus EU-Staaten sollen inzwischen ungefähr 3.000 Dschihadisten nach Syrien oder in den Irak in den Krieg gezogen sein. Mit dem Beginn des Krieges gegen den IS sind sie aus EU-Perspektive "feindliche Kämpfer" geworden und müssen gestoppt werden.
 
Sicherheitsgefährder
 
Um den Zustrom deutscher Dschihadisten in das mittelöstliche Kriegsgebiet zu stoppen, hat das Bundeskabinett am Mittwoch vergangener Woche neue Repressionsmaßnahmen beschlossen. Ihre Bedeutung reicht weit über den aktuellen Anlass hinaus. Die Maßnahmen richten sich erklärtermaßen gegen "Personen, die die innere oder äußere Sicherheit Deutschlands gefährden". Die Definition ist außerordentlich dehnbar; wer darunter fällt, kann je nach politischem Bedarf jederzeit neu bestimmt werden. Die rapide Eskalation des Konflikts mit Russland und die antirussische Agitation im Inland ("Putin-Versteher") haben im vergangenen Jahr gezeigt, wie schnell der politische Bedarf sich ändern kann. Personen, die die "Sicherheit Deutschlands gefährden", können in Zukunft nun "wirksam und nachhaltig" an Reisen gehindert werden.[3] Dazu wird ein Tatbestand "für die Versagung und Entziehung des Personalausweises" geschaffen; weil in Deutschland Ausweispflicht besteht, muss für die Betroffenen ein "Ersatz-Personalausweis" eingeführt werden, der Reisen ins Ausland jedoch nicht erlaubt. Eine Kennzeichnung der Personalausweise, die zunächst im Gespräch war, hat die Bundesregierung mit Verweis auf NS-Praktiken verworfen. Im NS-Reich wurden Ausweise von Juden mit einem "J" markiert. In Kürze wird außerdem ein Gesetz verabschiedet, das schon den bloßen Versuch unter Strafe stellt, ins Ausland zu reisen, um dort an Kämpfen teilzunehmen. Weitere Maßnahmen etwa gegen die Finanzierung von Auslandsreisen mutmaßlicher Dschihadisten sind in Vorbereitung.
 
Gegenpropaganda
 
Mit Blick auf mögliche Kritik an der zunehmenden Repression wird in den Leitmedien zu "Gegenpropaganda" aufgerufen. Wer "eine Totalüberwachung an die Wand malt, macht Propaganda im Sinne der Feinde einer offenen Gesellschaft", heißt es; dabei sei "gerade jetzt Gegenpropaganda nötig": "Werbung für die fast grenzenlose Freiheit vor allem der Religion, wie sie hierzulande ausgeübt werden kann."[4] Die "fast grenzenlose Freiheit der Religion" zeigt sich in Deutschland etwa im Umgang mit islamischen Gebetshäusern. Gegen den Bau von Moscheen richten sich regelmäßig Massenproteste; erst kürzlich hat eine wissenschaftliche Untersuchung festgestellt, dass 42 Prozent der Deutschen den Moscheebau einschränken wollen.[5] 2012 und 2013 kam es in der Bundesrepublik im Durchschnitt alle zehn Tage zu einem Angriff auf eine Moschee, darunter Brandanschläge (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Bundespräsident Gauck hat noch im Mai 2012 darauf bestanden, "der Islam" gehöre "nicht zu Deutschland".[7] Diese Auffassung teilten 2012 noch rund 52 Prozent aller Bundesbürger; heute sind es 61 Prozent.[8]
 
"Unser Gegenentwurf"
 
Während die Bundeswehr ihre Vorbereitungen für den Krieg gegen den IS intensiviert, lässt sich Gaucks "Bündnis der Friedfertigen" von der Regierung in Bagdad zu einer Ausweitung seiner militärischen Operationen im Irak auffordern. "Wir haben das Gefühl, dass die internationale Unterstützung nicht überzeugend ist", erklärte der irakische Parlamentssprecher Selim al Jabouri am 14. Januar: Es gebe "Beteiligung hier oder dort", "aber das ist nicht genug".[9] Die Äußerung erfolgte, während die US-geführte Kriegskoalition eine Ausweitung der Kämpfe ins Visier nahm, Paris die Entsendung eines Flugzeugträgers in Aussicht stellte und in Washington von einer umfassenden Frühjahrsoffensive gesprochen wurde.[10] Auch die weltweit als illegal kritisierten "gezielten Tötungen" ("targeted killings") jenseits von Kampfhandlungen werden von der westlichen Kriegskoalition im Irak vorgenommen. Dies hatte der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff der U.S. Army, Martin Dempsey, bereits im Dezember ausdrücklich bestätigt.[11] Joachim Gauck hatte erklärt: "Unser Gegenentwurf zum Fundamentalismus der islamistischen Gewalttäter heißt: Demokratie, Achtung des Rechts, Respekt voreinander, Wahrung der Menschenwürde. Das ist unsere Lebensform!"[12]
 
Achtung des Rechts
 
Ohnehin bestreiten Völkerrechtler, dass der Einsatz der Bundeswehr im Irak mit Gaucks "Achtung des Rechts" vereinbar ist. Wie der Völkerrechts-Professor Stefan Talmon von der Universität Bonn in einer aktuellen Stellungnahme konstatierte, lässt das Grundgesetz Interventionen deutscher Militärs nur zur Landesverteidigung oder "im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit" zu. Ersteres ist im Irak offenkundig nicht der Fall; Letzteres setzt einen Beschluss der UNO oder zumindest der NATO oder der EU voraus, der ebenfalls nicht existiert. Talmon stellte trocken fest, dass es sich bei dem Bundeswehr-Einsatz im Irak "um eine Intervention im irakischen Bürgerkrieg auf Einladung der irakischen Regierung im Rahmen einer ... Ad-hoc-Koalition der Willigen" handelt: "Ein solcher Einsatz wird vom Grundgesetz nicht zugelassen."[13]
 
Weitere Informationen zum Krieg gegen den IS finden Sie hier: Vom Westen befreit, Von Kurdistan nach Alawitestan, Das Ende einer Epoche (I), Waffen für die Peschmerga, Das Ende einer Epoche (II), Der zwanzigjährige Krieg, Krieg ohne Grenzen und Die nächste Runde in Mittelost. (PK)
 
[1] "Zusammenstehen - Gesicht zeigen". www.bundespraesident.de 13.01.2015.
[2] S. dazu Vom Westen befreit und Der Krieg kehrt heim (III).
[3] Reisen von Dschihadisten verhindern. Pressemitteilung des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung. Berlin, 14.01.2015.
[4] Reinhard Müller: Gegenpropaganda. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.01.2015.
[5] Wer gehört zum deutschen Wir? www.hu-berlin.de.
[6] S. dazu Folgen des Anti-Terror-Kriegs.
[7] Muslime werfen Gauck Geschichtsfälschung vor. www.zeit.de 01.06.2012.
[8] Muslime in Deutschland mit Staat und Gesellschaft eng verbunden. www.bertelsmann-stiftung.de 08.01.2015.
[9] Ahmed Rasheed, Ned Parker: Iraq says U.S.-led coalition not doing enough against Islamic State. www.reuters.com 14.01.2015.
[10] S. dazu Die nächste Runde in Mittelost.
[11] Akbar Shahid Ahmed: Three Top Islamic State Leaders Killed In Airstrikes, U.S. Officials Say. www.huffingtonpost.com 18.12.2014. S. auch Zur Tötung vorgeschlagen.
[12] "Zusammenstehen - Gesicht zeigen". www.bundespraesident.de 13.01.2015.
[13] Stefan Talmon: Eine Koalition der Willigen reicht nicht. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.01.2015.
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59032 übernommen.


Online-Flyer Nr. 494  vom 21.01.2015

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