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Globales
Dschihadisten werden vom Westen unterstützt, um Bashar al Assad zu stürzen
Der Krieg kehrt heim
Von Hans Georg

Mit ihrer Unterstützung für Dschihadisten haben der Westen und seine wichtigsten regionalen Verbündeten den Durchbruch des "Islamischen Staates" (IS) ermöglicht, dessen Terror nun auf die westlichen Metropolen zurückschlägt. Vor allem saudische Finanziers haben den Aufstieg der Organisation ermöglicht, deren barbarische Praktiken bereits Mitte 2013 offen erkennbar waren, Morde an Journalisten und Andersgläubigen inklusive.
 

Saudischer Prinz Turki al Faisal
hat beste Kontakte zum Berliner
Polit-Establishment
Quelle: wikipedia
Über Jahre förderte Saudi-Arabien in Abstimmung mit dem Westen und im Rahmen einer ausgefeilten Strategie ("Bandar-Plan") ganz allgemein in Syrien kämpfende Dschihadisten, um mit ihrer Hilfe die Regierung von Bashar al Assad zu stürzen; die Türkei leistete logistischen Beistand. Ihr Krieg an der Seite des Westens gegen einen gemeinsamen Gegner ermöglichte es den Dschihadisten, mit der Gründung des IS ihren zweiten großen Durchbruch nach demjenigen im Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre zu erzielen. Der gemeinsame Krieg wird auf Seiten der Islamisten wie auf Seiten des Westens und seiner Verbündeten zum Teil mit demselben Personal wie damals geführt - mit alten Mitkämpfern Osama bin Ladens und mit dschihad-erfahrenen saudischen Prinzen. Einer dieser Prinzen gehört dem "Advisory Council" der Münchner Sicherheitskonferenz an.
 
Dschihadisten gefördert
 
Auf die Kampfkraft dschihadistischer Milizen haben der Westen und seine Verbündeten in jüngerer Zeit nicht nur in Libyen [1], sondern auch im Syrien-Krieg gesetzt. Um die Regierung von Bashar al Assad zu stürzen, unterstützen die westlichen Staaten bis heute offiziell die als "gemäßigt" dargestellte "Free Syrian Army" (FSA), während ihre regionalen Verbündeten - vor allem Saudi-Arabien und Qatar - und der NATO-Partner Türkei offen Dschihadisten fördern. Dies gilt nicht nur für den syrischen Al Qaida-Ableger ("Jabhat al Nusra") und den "Islamischen Staat" (IS), die offenbar bis heute von wohlhabenden Finanziers vor allem aus Saudi-Arabien Zuwendungen erhalten und ihren Nachschub über die Türkei abwickeln können.[2] Auch andere dschihadistische Milizen wie etwa "Ahrar al Sham", mit bis zu 20.000 Kämpfern eine der stärksten Truppen im Land, haben Gönner vor allem in Riad. Experten von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnten bereits im Frühjahr 2012, wer - wie die Bundesregierung - zum Beispiel mit dem Emirat Qatar kooperiere, "muss sich bewusst sein, dass es zielstrebig Organisationen und Personen fördert, die keine Demokraten sind".[3] Das aber hat Deutschland wie auch die anderen westlichen Staaten jahrelang nicht davon abgehalten, die militärischen Erfolge der von ihren Verbündeten geförderten Dschihadisten bei ihren Planungen zu Assads Sturz fest einzukalkulieren. Vor allem zu Saudi-Arabien stand Berlin in Sachen Syrien in beständigem Kontakt.[4]
 
Der Mufti der Opposition
 
Die inzwischen mehr als dreißigjährige Geschichte wiederkehrender Kooperationen des Westens und seiner Verbündeten mit Dschihadisten schlägt sich in aufschlussreichen personellen Kontinuitäten nieder. Eine bedeutende Rolle im Syrien-Krieg spielt zum Beispiel Abu Basir al Tartousi. Al Tartousi nahm um 1980 an der damaligen islamistischen Revolte in Syrien teil, um dann 1981 nach Afghanistan zu gehen und sich dem vom Westen unterstützten Krieg gegen die Rote Armee anzuschließen. Dort soll er einer der ersten arabischen Dschihadisten gewesen sein. Er unterhielt enge Beziehungen zu führenden dschihadistischen Ideologen wie etwa Abdullah Azzam, einem Parteigänger von Osama bin Laden. Auf den Aufstand in Syrien hatte er schon früh starken Einfluss. Wie es heißt, soll er die Gründung der Lokalen Koordinationskomitees angeregt haben und von Anfang an auch für den bewaffneten Kampf eingetreten sein. Zudem habe er Kontakte zu Finanziers und Förderern dschihadistischer Milizen in den arabischen Golfdiktaturen hergestellt. Seit dem Frühjahr 2012 hält er sich selbst in Syrien auf, wo er nicht nur von dschihadistischen Milizen verehrt wird, sondern inzwischen sogar den Ruf eines "Muftis der Opposition" innehat.[5] Zu den bekanntesten Afghanistan-Veteranen im Syrien-Krieg gehörte bis zu seinem Tod im Februar 2014 auch Abu Khalid al Suri. Er kämpfte in den 1980er Jahren ebenfalls am Hindukusch an der Seite des Westens gegen die Sowjetunion; laut eigenen Angaben unterhielt er dort enge Kontakte etwa zu Osama bin Laden und zum heutigen Al Qaida-Führer Ayman al Zawahiri. Im Syrien-Krieg gehörte er, erneut im Verein mit dem Westen Bashar al Assads Sturz anstrebend, zu den Gründern und Führungsmitgliedern der Dschihadisten-Miliz "Ahrar al Sham".
 
"Ein netter Kerl"
 
Kontinuitäten zwischen dem Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre, der den Dschihadisten den ersten großen Durchbruch brachte, und dem Syrien-Krieg finden sich auch bei regionalen Verbündeten des Westens. So hat Berlin etwa den saudischen Prinzen Turki al Faisal zum Thema Syrien-Krieg zu Rate gezogen; dabei machte Prinz Turki im Januar 2013 in Berlin energisch Druck und sprach sich sogar für die Lieferung von Panzer- und Luftabwehrraketen an die syrischen Aufständischen aus. Von 1977 bis 2001 als Leiter des bedeutendsten saudischen Geheimdienstes ("General Intelligence Presidency", GIP) tätig, der bereits damals mit dem deutschen BND kooperierte, hatte er im Afghanistan-Krieg maßgeblich die Verteilung westlicher und saudischer Unterstützungsleistungen an die Dschihadisten in Afghanistan koordiniert; bis zu fünf Mal im Monat soll er zu diesem Zweck nach Pakistan und bisweilen auch weiter nach Afghanistan gereist sein. Zu Turkis Kontaktpersonen am Hindukusch gehörte unter anderem Osama bin Laden, auf den der GIP-Chef große Stücke hielt. "Er sprach wenig und erhob nie seine Stimme", berichtete er später: "Kurzum, er war ein netter Kerl."[6] Prinz Turki unterhält beste Kontakte ins Berliner Polit-Establishment; unter anderem gehört er dem "Advisory Council" der Münchner Sicherheitskonferenz an.
 
Der Bandar-Plan
 
Zu den Saudis, die in den 1980er Jahren den Dschihad in Afghanistan förderten, gehört auch Prinz Bandar bin Sultan. Prinz Bandar war von 1983 bis 2005 als Botschafter seines Landes in Washington tätig; in dieser Funktion reiste er auch an den Hindukusch und traf dort unter anderem Osama bin Laden. Im Syrien-Krieg arbeitete er erneut eng mit der westlichen Welt zusammen und suchte in seiner Amtszeit als saudischer Geheimdienstchef (2012 bis 2014) den sogenannten Bandar-Plan zu realisieren. Dieser enthielt laut dem "Institute for National Security Studies" aus Tel Aviv drei Elemente, die wie in den 1980er Jahren auf Dschihadisten zielten.[7] Er sah vor, in Syrien neue, Riad loyale Milizen zu schaffen, zudem mit Al Qaida kooperierende syrische Gruppen - etwa "Jabhat al Nusra" und den IS - mit Agenten und Kämpfern zu infiltrieren und jihadistische Organisationen, die dies nicht zuließen, mit anderen Mitteln zu steuern. Im Rahmen des "Bandar-Plans" habe auch der IS Geld, Training und religiöse Unterstützung aus Saudi-Arabien erhalten, berichtet das "Institute for National Security Studies" - wenn auch womöglich nicht direkt vom saudischen Staat, sondern über "Privatfinanziers". Der "Bandar-Plan" wurde gestoppt, als der IS aus dem Ruder zu laufen und sich mit seinem Machtanspruch gegen saudische wie auch westliche Interessen zu wenden begann.
 
Der zweite Durchbruch
 
Da war es freilich schon zu spät. Den in Syrien kämpfenden Dschihadisten und insbesondere dem IS ist es, während der Westen von ihnen einen handfesten Beitrag zu Assads Sturz erhoffte, gelungen, sich in großen Teilen Syriens und - ab Januar 2014 - auch des Irak festzusetzen. Dort hat der IS ein staatsähnliches Gebilde errichtet, das ihm nicht nur eine einigermaßen solide finanzielle Basis und eine gewisse organisatorische Stabilität sichert, sondern ihm auch eine höchst beachtliche Attraktivität für das wachsende Spektrum der globalen Dschihadisten verleiht. Bereits Ende Oktober 2014 bezifferte ein UN-Bericht die Zahl der auswärtigen Kämpfer, die zur Unterstützung des IS nach Syrien und in den Irak gereist waren, auf mehr als 15.000.[8] Mit der Ausrufung des Kalifats am 29. Juni 2014 ist dem internationalen Dschihadismus in der Tat der zweite große Durchbruch nach demjenigen im Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre gelungen - und erneut hat der Westen, den Sturz einer ihm wie den Dschihadisten verhassten Regierung im Blick, maßgeblich dazu beigetragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Dabei interessierte sich der Westen, solange der IS lediglich regionale Stärke besaß, nicht dafür, dass die Organisation Andersgläubige drangsalierte, zur Feier ihrer Machtübernahme im syrischen Raqqa nicht-sunnitische Muslime öffentlich exekutierte und im Dezember 2013 mit der Hinrichtung von - arabischen - Journalisten begann.[9] Westlichen Politikern war dies, solange sie von den Dschihadisten Hilfe beim "Regime Change" in Damaskus erwarteten, kein Wimpernzucken, westlichen Medien allenfalls eine Randnotiz wert. Der Charakter des Terrors war damals freilich offen erkennbar.[10] Jetzt schlägt er mit den barbarischen Bluttaten in Paris auf die westlichen Metropolen zurück.
 
Eine Aufrüstungskampagne
 
Berlin nutzt das Pariser Massaker nun zu einer massiven Kampagne für die weitere Aufrüstung im geostrategischen Kampf um die Sicherung der Einflusssphären im Nahen und Mittleren Osten. german-foreign-policy.com berichtet am 14. Januar darüber. (PK)
 
 
[1] S. dazu Der Krieg kehrt heim (II).
[2] S. dazu Vom Westen befreit und Berliner Prioritäten.
[3] Guido Steinberg: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für Deutschland; Internationale Politik Mai/Juni 2012.
[4] S. dazu Gute Jungs, böse Jungs.
[5] Suhaib Anjarini: The mufti of the Syrian opposition. english.al-akhbar.com 05.03.2014.
[6] S. dazu Alte Verbündete und Gute Jungs, böse Jungs.
[7] S. dazu Berliner Prioritäten.
[8] Spencer Ackerman: Foreign jihadists flocking to Iraq and Syria on "unprecedented scale" - UN. www.theguardian.com 30.10.2014.
[9] Yasser Faisal al-Jumaili. cpj.org.
[10] S. dazu Syriens westliche Freunde.
 
Diesen Beitrag http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59030 vom 13. Januar haben wir mit Dank von gfp übernommen.


Online-Flyer Nr. 493  vom 14.01.2015

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