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Lokales
Berlins Helmholtz-Zentrum weiter gefährlich – Atomreaktor, nein danke!
Merkwürdige Antworten vom Berliner Staatssekretär
Von Peter Kleinert

Vermutlich für die Entwicklung extrem belastungsfähiger Materialien zur weiteren Hochrüstung würden am Nuklearstandort Berlin-Wannsee anstelle der notwendigen sofortigen Stilllegung des altersschwachen über 40 Jahr alten, nicht mehr betriebssicheren sowie vollkommen ungeschützten und damit gefährlichsten Atomreaktors in Deutschland geheim gehaltene Notreparaturmaßnahmen durchgeführt. Um Licht ins Dunkel zu bringen, hatte der CDU-Abgeordnete Stefan Schlede am 24. Oktober an das Berliner Abgeordnetenhaus eine schriftliche Anfrage zu dem Forschungsreaktor in Wannsee gestellt. Diese sei von dem für die Atomaufsicht zuständigen SPD-Staatssekretär Christian Gaebler "im Interesse des Betreibers" beantwortet worden und stelle ein Beispiel organisierter Verantwortungslosigkeit dar. Deshalb hat das Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde e.V. (BÜSGM) den Fall aufgegriffen:

Antiatom Berlin protestiert gegen Forschungsreaktor Helmholtz-Zentrum
Foto: Umbruch Bildarchiv
 
Auf die Frage, seit wann der Forschungsreaktor im Helmholtz Zentrum (HZB) in Wannsee stillgelegt ist, kam die überraschende Antwort, dass er nicht stillgelegt wurde, sondern sich zur Durchführung umfangreicher Arbeiten nicht in Betrieb befinde. Gleichzeitig teilte der Staatssekretär mit, dass der Reaktor 2019 stillgelegt werden solle. "Ob momentan stillgelegt oder nicht in Betrieb - das dürfte für die Gefährdungslage gleichgültig und nur Wortklauberei sein", so BÜSGM. Nach dem Grund für die Stilllegung befragt, habe Gaebler geschrieben, dass die geplante Stilllegung im Jahr 2019 (danach war nicht gefragt, sondern nach der momentanen) auf einer Entscheidung des Aufsichtsrats des Helmholtz Zentrums-Berlin vom 25.06.2013 beruhe, der wegen einer Schwerpunktverschiebung in der wissenschaftlichen Ausrichtung des Instituts den Betrieb des Reaktors über das Jahr 2019 hinaus nicht mehr weiter fortsetzen wolle. "Kein Wort darüber, dass der Betrieb eingestellt werden musste, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet war und jetzt Notreparaturen durchgeführt werden, die nicht mit der ursprünglichen Betriebsgenehmigung übereinstimmen.
 
Ohnehin ist der Reaktor ein Hochsicherheitsrisiko, weil der kritischste Teil des ganzen Reaktors, die am heißen Reaktorkern befindliche mit explosivem Wasserstoff gefüllte Kalte Quelle nicht sachgemäß und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erneuert worden ist. Im Fall eines Unfalls sind die gesamte Hauptstadt und ein Teil der Mark Brandenburg gefährdet. Um diese Gefahr nicht öffentlich werden zu lassen, teilt der Staatssekretär, ohne danach gefragt zu sein, mit, dass der Reaktor 2019 stillgelegt werden soll."
 

SPD-Staatssekretär Christian Gaebler
Völlig inakzeptabel sei die Antwort auf die berechtigte Frage nach einem unabhängigen Gutachten (z.B. von der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.) zu den bisherigen Emissionen und der bisherigen Gesundheitsge-fährdung der unmittelbaren Nachbarschaft, "z. B. des direkt am Zaun des HZB gelegenen privaten Kinderspielplatzes, des 400 m vom Reaktor entfernten öffentlichen Kinderspielplatzes und des direkt in der Abwindfahne des Reaktors liegenden Wohngebietes." Gaebler verweise hier auf ein kontinuierliches Fernüberwachungssystem während der gesamten Betriebszeit und die damit erhobenen Messwerte. Er behaupte, diese schlössen eine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung in der Umgebung und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts aus.
 
"Abgesehen davon, dass es Stand der Wissenschaft ist, dass die in der Umwelt vorkommende natürliche Radioaktivität zu Genmutationen und Krebs führen kann, führt eine zivilisatorisch herbeigeführte zusätzliche Radioaktivität selbstverständlich zu einer höheren Gesundheitsgefährdung für das Betriebspersonal und die Bevölkerung." Verschwiegen habe Gaebler, dass mit dem Fernüberwachungssystem auch nur ein Teil der Radioaktivität, nämlich die Gammastrahlung, gemessen wird. "Die kurzlebigen Nuklide, die ungefiltert den nach oben offenen Reaktor verlassen, und die radioaktiven Gase fallen unter den Tisch. Man kann einiges darüber nachlesen in den Jahresberichten des Umweltbundesamtes und wird feststellen, dass sich die Emissionen des „kleinen“ Forschungsreaktors durchaus mit den Emissionen „großer“ AKW’s messen können. (1) Ignorant und verantwortungslos ist es, auf ein unabhängiges Gutachten zu verzichten und den Hinweisen aus der Nachbarschaft über signifikant hohe Krebsraten nicht nachzugehen."
 
In der Beantwortung einer „Kleinen Anfrage“ an das Berliner Abgeordnetenhaus vom 22.8.2012 wurde laut BüSGM angekündigt, dass im Rahmen der „anstehenden“ Staatsvertragsnovelle das Gemeinsame Krebsregister ermächtigt werden solle, regionale Auswertungen durchzuführen. "Es wurde nun nachgefragt, wie es darum steht. Es scheint Herrn Gaebler offensichtlich nicht zu stören, dass die Staatsvertragsänderung nach mehr als zwei Jahren immer noch nicht abgeschlossen ist. Offensichtlich spielt der Senat auf Zeit. Auf die Frage, ob es nach den Erkenntnissen des höchsten deutschen Fachgremiums, der Reaktorsicherheitskommission (447. Sitzung am 3.5.2012), dass es für die Risikobewertung allein auf den Umfang der bei einem größtmöglichen Unfall freigesetzten Radioaktivität ankommt und Wahrscheinlichkeitsberechnungen als obsolet betrachtet werden, ob also jetzt immer noch auf ein der Bevölkerung zuzumutendes Restrisiko verwiesen werden kann, antwortet Herr Gaebler mit der Feststellung:
„Gegenstand der anlagenspezifischen Sicherheitsüberprüfung deutscher Forschungsreaktoren unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima durch die Reaktorsicherheitskommission war die Frage, inwieweit die Anlagen Reserven bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen aufweisen. Nur für diese Frage waren Betrachtungen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es zu solchen Ereignissen kommen könnte, entbehrlich. Die Einteilung denkbarer Ereignisse in solche, gegen die von den Betreibern Schutzmaßnahmen zu fordern sind, und solche, für die das nicht zutrifft und die dem Restrisiko zuzuordnen sind, ist aber nach wie vor Grundlage der Auslegung der Anlagen und war Voraussetzung für die Beschäftigung mit auslegungsüberschreitenden Ereignissen.“
 
"Was will uns Herr Gaebler damit sagen?" fragt das Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde und antwortet: "Pech gehabt, wenn das Ding hochgeht, dafür war es nicht gebaut. Solche Schutzmaßnahmen könnten dem Betreiber nicht zugemutet werden. Dagegen wird der Bevölkerung seit Jahren die Wahrheit über die Gefahr des Reaktors verschwiegen."
 
Der Senat von Berlin wird vom Bündnis aufgefordert, "endgültig dafür Sorge zu tragen, dass die Gefährdung der Sicherheit der Berliner und Brandenburger Bevölkerung reduziert wird und dass Zusagen des Senats ernst genommen werden. Außerdem ist die lückenlose Information der Öffentlichkeit dringend notwendig. Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden aufgefordert, auf den Senat von Berlin entsprechend einzuwirken und dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit umfassend informiert wird." (PK)
 
(1) siehe auch Wissenssammlung von www.atomreaktorwannsee-dichtmachen.de
 
Das Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde e.V. ist erreichbar über buesgm@online.de, Website: www.okv-ev.de. Es ist Mitglied im Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden und im Antifaschistischen Komitee gegen Krieg und Sozialraub.


Online-Flyer Nr. 488  vom 10.12.2014

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