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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
EU-Kommission will Bürgereinfluss bei TTIP und CETA ausschalten
Bündnis Stop TTIP kündigt Widerstand an
Von Peter Kleinert

Das Bündnis Stop TTIP für eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen die internationalen Handels- und Investitionsverträge TTIP und CETA hat - gestützt auf ein Gutachten - Widerstand gegen die am Donnerstag verkündete Entscheidung der EU-Kommission angekündigt, die EBI nicht zuzulassen. „Jetzt geht die Auseinandersetzung erst richtig los“, erklärt Michael Efler, EBI-Kontaktmann für das mittlerweile knapp 230 Organisationen aus 21 EU-Ländern umfassende Bündnis. „Die Ablehnung der Bürgerinitiative reiht sich ein in die Strategie der EU-Kommission, Bevölkerung und Parlamente aus den Verhandlungen um CETA und TTIP rauszuhalten. Statt Bürgerinnen und Bürgern werden hier lieber Lobbyisten gehört.“


Quelle: blog.campact.de
Die Ablehnung der EBI wird damit begründet, die Verhandlungsmandate zu TTIP und zum CETA seien keine Rechtsakte, sondern interne Vorbereitungsakte zwischen den EU-Organen und insofern durch eine Bürgerinitiative nicht anfechtbar. „Die Auffassung der Kommission, dass nur Rechtsakte mit Wirkung auf Dritte durch eine EBI berührt werden dürfen, ist offensichtlich rechtsfehlerhaft. Das Verhandlungsmandat der Kommission ist ein förmlicher Beschluss des Rats und ein Rechtsakt. Würde die Rechtsauffassung der Kommission Bestand haben, hieße das im Klartext: Der Bevölkerung sind bei der Entwicklung internationaler Verträge jeder Art die Hände gebunden – eine Auskunft, die ebenso erschreckend wie skandalös ist“, so Efler.
 
Darüber hinaus, so die Begründung, könne die Kommission keine negativen Ratifizierungsvorschläge machen und insofern der EBI-Forderung, die Verhandlungen über CETA und TTIP nicht abzuschließen auch nicht nachkommen. „Im Umkehrschluss heißt das, internationale Verhandlungen der Kommission dürfen durch Bürgerinnen und Bürger nur bejubelt, nicht aber kritisiert werden“, fasst Efler zusammen. Das EBI-Bündnis, das vor Einreichung der Bürgerinitiative ein eigenes Rechtsgutachten eingeholt hatte, erwägt nun rechtliche Schritte und will den für diesen Fall vorgesehenen Weg vor dem Europäischen Gerichtshof prüfen.
 
„Statt auf die Bedenken angesichts einer bürgerfernen Handelspolitik einzugehen, verweigert die Kommission die Auseinandersetzung“, so Efler. „Das erscheint aus Bürgersicht als Akt der Willkür, verprellt engagierte Menschen in Europa und ist Wasser auf die Mühlen der Europa-Gegner.“ Vor diesem Hintergrund fordert das Bündnis auch den neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker auf, den undemokratischen Kurs der EU-Kommission zu korrigieren und sein Versprechen wahrzumachen, Demokratie und Transparenz herzustellen. „Offenbar fürchtet die Kommission diese EBI, die das Potential hat, zur bisher erfolgreichsten Bürgerinitiative zu werden“, sagt Efler. „Wenn die Brüsseler Bürokratie glaubt, die Bürgerproteste gegen die Investitionsverträge mit dieser Ablehnung stoppen zu können, hat sie sich geirrt. Wir werden es nicht auf sich beruhen lassen, dass die Kommission versucht, Bürgerinnen und Bürgern die Hände zu binden.“

Berliner Wassertisch – Sprecherin Ulrike Fink von Wiesenau

Ulrike Fink von Wiesenau, Demokratie-Expertin und Pressesprecherin des Berliner Wassertisches, der die Europäische Bürgerinitiative mit auf den Weg gebracht hat, kommentiert: „Nun, da der Widerstand gegen die geheim verhandelten Freihandelsabkommen sich in einem Bündnis von über 230 Organisationen aus 21 EU-Ländern formiert hat, und die EBI zur bisher erfolgreichsten Bürgerinitiative zu werden droht, erleben wir den Maskenfall der Kommission: Bevölkerung und Parlamente müssen draussen bleiben, wenn Lobbyisten ihr Werk gegen das Gemeinwohl entgegen aller berechtigten Widerstände durchziehen. Zu glauben, dass die Proteste der Menschen in dieser Weise zum Schweigen gebracht werden können, spricht Bände vom Demokratieverständnis der Brüsseler Entscheidungsträger, ihre Versprechen von mehr Demokratie und Transparenz enthüllen sich zur Kenntlichkeit. Mit juristischen Winkelzügen auf Zeit zu spielen, statt sich der Kritik der Inhalte zu
stellen, führte schon zum Waterloo des Berliner Senates beim erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheid."

Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) – Lothar Reinhard, Fraktionssprecher
 
Was um Himmels Willen unterscheidet das „Tun der Kommission“ denn eigentlich von den selbstherrlichen Entscheidungen irgendeiner Diktatur in Afrika, Asien oder anderer Bananen“republiken“. Doch unabhängig von den fundamentalen Demokratiedefiziten der EU sollten alle EU-Verfechter mal auf den Boden der Realitäten kommen, sonst kracht demnächst das ganze Konstrukt der EU erbarmungslos auseinander. Nächste Woche könnte es z.B. sein, dass Schottland sich von Großbrittannien trennt, nach über 200 Jahren. Ob die Engländer dann der EU den Rücken kehren, wird sich zeigen. Und wenn Katalonien Spanien verläßt, was ist dann? Und wenn Belgien endgültig auseinander fliegt? Uswusf.?
Glaube doch keiner, Frankreich sei für die EU ruhiges Gewässer. Und auch Deutschland als der noch schlafende Riese wird nur solange vieles ausgleichen, solange hier der Export noch boomt. Wenn sich aber die EU nicht demokratisiert, wird die Eurosklerose derart Fahrt aufnehmen, dass den Eurokraten Hören und Sehen vergeht. Die Anzeichen sind bereits wie Menetekel am Horizont. Doch wen juckt es? Die Lobbyisten sicher nicht, die die EU im Würgegriff haben.
 
Rechtsgutachten widerspricht der EU-Kommission
 
Das von Michael Efler erwähnte Rechtsgutachten wurde von Prof. Dr. Bernhard Kempen verfasst. Er ist Direktor des Instituts für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität zu Köln und in dieser Eigenschaft seit vielen Jahren mit unionsrechtlichen Fragen befasst. In seinem 22 Seiten langen Gutachten liest man u.a.:
 

Prof. Dr. Bernhard Kempen
Quelle: uni-Marburg.de
"Eine EBI, die auf eine Initiative für eine neue Verordnung oder Richtlinie hinausläuft, ist dabei unproblema-tisch, weil und soweit es sich bei diesen Formen zweifellos um Rechtsakte handelt. Zu den Rechtsakten zählt aber auch der Beschluss (Art. 288 Abs. 4 AEUV), sei es in seiner adressatenbe-zogenen, sei es in seiner adressatlosen Variante…
… Die EBI zielt in den beiden vom Auftraggeber vorgelegten Entwurfsvarianten (in der zweiten Variante nur bezogen auf TTIP) nicht auf einen Vorschlag für einen autorisierenden Beschluss ab, sondern im Gegenteil auf einen Vorschlag für einen Beschluss, der eine zuvor erteilte Ermächtigung aufheben soll...
…Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein solcher Beschluss durch den Rat nicht gefasst werden könnte und dass die Kommission nicht einen solchen Beschluss vorschlagen könnte. Mit der durch den Rat autorisierten Aufnahme von Vertragsverhandlungen ist kein Vertragsautomatismus verbunden. Die Verhandlungen sind nicht zwingend bis zu einem wie auch immer gearteten Vertragsabschluss zu bringen. Es sind ohne weiteres Konstellationen vorstellbar, in denen die Kommission im Verlauf der Verhandlungen erkennt, dass die ursprünglichen Verhandlungsziele bei weitem nicht erreicht werden können, oder dass der Vertrag als Ganzes wegen einer zwischenzeitlichen Änderung des politisch-wirtschaftlichen Kontextes keinen Sinn mehr macht. In solchen Situationen ist es der Kommission unbenommen, dem Rat den Abbruch der Verhandlungen vorzuschlagen…
…Maßgeblich ist, dass Vertragsverhandlungen abgebrochen werden können, wenn der Rat auf Vorschlag der Kommission das Verhandlungsmandat aufhebt…
… Gleich der erste Erwägungsgrund spricht allgemein von dem „Recht“ der Unionsbürger, „sich über eine europäische Bürgerinitiative am demokratischen Leben der Union zu beteiligen."…
…Nach den vorstehenden Ausführungen ist klar, dass die beiden von dem Auftraggeber entworfenen EBI-Varianten grundsätzlich rechtlich zulässig, also registrierungsfähig sind…"
 
Fazit von Prof. Kempen:
 
"1.
Eine EBI mit dem Ziel, TTIP und CETA zu verhindern, ist rechtlich zulässig.
2.
Wegen des inneren Sachzusammenhangs ist es zulässig, beide Verträge zum Gegenstand einer EBI zu machen.
3
Unter den beiden vorgelegten Varianten dürfte nach dem derzeitigen Stand der Vertragsverhandlungen zu CETA der Variante 2 der Vorzug zu geben sein.
4.
Alternativ zu den vorgelegten Entwurfstexten dürfte es ausreichen, die EBI so zu formulieren, dass allein das Ziel, den Abschluss der völkerrechtlichen Verträge zu verhindern deutlich wird."
 
Die am vergangenen Donnerstag verkündete Entscheidung der EU-Kommission, die Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen die internationalen Handels- und Investitionsverträge TTIP und CETA nicht zuzulassen, muss also vom neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker korrigiert werden. (PK)
 
Begründung der EU-Kommission zur Ablehnung:
http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/non-registered/details/2041
Das komplette Gutachten von Prof. Dr. Bernhard Kempen: 
http://stop-ttip.org/wp-content/uploads/2014/09/EBI-Gutachten20140430.pdf


Online-Flyer Nr. 476  vom 17.09.2014

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