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Globales
Interview mit Boliviens Umweltminister José Antonio Zamora Gutierrez
"Es darf keinen Preis für CO2 geben"
Von Benjamin Beutler

Am Dienstag ist in Berlin der Petersberger Klimadialog zu Ende gegangen. Boliviens Umweltminister José Antonio Zamora Gutierrez spricht im Interview über internationale Klimapolitik, Klimagerechtigkeit und den Spagat zwischen Entwicklung und Umweltschutz.


Boliviens Umweltminister José Antonio Zamora Gutierrez
Quelle: Blickpunkt Lateinamerika
 
Beutler: Beim Klimagipfel 2010 in Cancún weigerte sich Bolivien als einzige Nation der Welt für die Abschlusserklärung zu stimmen. Was macht ihr Land zum enfant terrible der Klimaverhandlungen?
 
Zamora Gutierrez: Weil wir stören. Seit der Präsidentschaft von Evo Morales 2006 hat sich Bolivien dem Leben verpflichtet. In der Idee von der Mutter Erde, auch in unserer Verfassung festgeschrieben, kommt diese Haltung zum Ausdruck. Sie gilt es zu schützen. Die kapitalistische Entwicklung der letzten 200 Jahre, mit ihren Produktions- und Konsumweisen hat zu den aktuellen Krisen geführt, auch zur Umwelt- und Klimakrise. Jetzt ist ein Limit erreicht. Bankenkrisen, Wertekrisen oder Eigentumskrisen kann der Mensch beheben, der Kapitalismus hat bisher immer Auswege gefunden. Die Klimakrise lässt sich weder verhandeln, noch lässt sich auf Zeit spielen, wie damals in Cancún. Vor allem aber ist in der kapitalistischen Welt eine Lösung nicht möglich. Bolivien setzt sich für einen Wandel in Produktion und Konsum ein, dieser aber muss auf globaler Ebene passieren.
 
Was schlägt Bolivien vor?
 
Wir dürfen den Klimawandel nicht der Privatwirtschaft überlassen. Wir sind gegen den Handel mit Verschmutzungsrechten, es darf keinen Preis für C02 geben. Klimaschädliche Produktionsweisen werden über mehr Markt nur gefestigt, genau die Mechanismen, die uns die Krise gebracht haben. Auch das REDD-Programm, also Geld für den Schutz von Regenwald zum CO2-Senken, lehnen wir als nicht zielführend ab. Wir glauben nicht an Umweltdienstleitungen, weil sie die Systemlogik des Marktes stützen. Dafür werden wir natürlich angefeindet, darum mag man uns nicht.
 
Sind Klimaveränderungen überhaupt schon spürbar?
 
Der Klimawandel beschert unserem Land eine große Rechnung, obwohl wir für nur 0,01 Prozent der Klimaschuld verantwortlich sind. Die Andengletscher sind in den letzten 30 Jahren 40 Prozent abgeschmolzen. Geht dieser Trend weiter, sind sie in den nächsten Jahrzehnten weg. Millionenstädte wie La Paz und El Alto bekommen Trinkwasserprobleme. Die Gletscher sind auch von kultureller Bedeutung, für viele Menschen sind sie Götter. Wir haben Überschwemmungen und Dürren, Landwirtschaft und Viehzucht leiden. Die Regenzeiten verschieben sich. Viele junge Menschen gehen ins Ausland, und die Alten bleiben. Aus dem Hochland siedeln viele Bauern in die Amazonas-Tiefebene, durch Abholzung entsteht starker Druck auf die Umwelt. Aber was sollen wir machen, wir können den Menschen nicht verbieten zu essen.
 
Straßenbau, Bergbau oder Gasförderung, die Natur schützen und Entwicklung voranbringen, ist das nicht auch in Bolivien ein Widerspruch?
 
Wir sehen die Mutter Erde nicht als Objekt. Sondern als Person, mit der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ausgehandelt wird. Das Kyoto-Protokoll ist für uns ein Fortschritt. Doch gibt es Staaten, die nicht einmal beigetreten sind, so wie die USA. Oder die das Abkommen wieder verlassen haben, so wie Kanada. Bolivien braucht Entwicklung, wir haben das Recht auf Wohlstand ohne Armut. Die am wenigsten entwickelten Länder haben den Klimawandel nicht in Gang gesetzt. Wir leben mit den Konsequenzen des Klimawandels. Jetzt versuchen wir eigene Entwicklungsmodelle, und werden von Industrieländern als Umweltsünder kritisiert.
 
Wie erklären Sie sich diese Kritik?
 
Das ist Teil einer alten Politik und Weltsicht. Die USA etwa haben uns immer als ihren Hinterhof betrachtet. Wir seien so etwas wie ihr Garten. Unsere Aufgabe sei der Schutz der Wälder zu Gunsten der Länder des Nordens. Sie können mit ihrer industrialisierten Wirtschaftsstruktur die Luft weiter verschmutzen, wir aber hätten die Pflicht, den Amazonas nicht anzurühren. Unsere Rolle sei die des Luftreinigers. Aber so werden wir nie etwas produzieren, uns nie entwickeln. Seit den 1990gern sind fast 50 Prozent unseres Staatsgebietes Schutzgebiete. Sollen wir Parkwächter bleiben, ohne Straßen zu bauen, ohne Gas zu fördern, nur den Sauerstofflieferanten für den Norden geben? So würden wir für immer in Armut leben. (PK)
 
Dieses Interview hat Benjamin Beutler für die aktuelle Ausgabe von "Blickpunkt Lateinamerika" gemacht. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich (März, Juni, September und Dezember) und kann bei Adveniat abonniert werden: blickpunkt@adveniat.de
 


Online-Flyer Nr. 468  vom 23.07.2014

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