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Inland
BND-Präsident Gerhard Schindler: " Optimierung unserer technischen Mittel"
Eine deutsch-europäische NSA für 300 Mio. Euro
Von Hans Georg

Der Bundesnachrichtendienst (BND) plant eine "Strategische Initiative Technik" und will künftig soziale Netzwerke im Internet im großen Stil in Echtzeit ausforschen. Dies belegen aktuellen Berichten zufolge interne Geheimdienstdokumente. Demnach soll in den nächsten sechs Jahren fast eine Drittelmilliarde Euro ausgegeben werden, um den technologischen Rückstand der Berliner Auslandsspionage gegenüber der US-amerikanischen NSA zu verringern oder aufzuholen.
 

BND-Präsident Gerhard Schindler
Quelle: ARD Panorama 
Neben dem Ausforschen von Facebook oder Twitter geht es bei der Initiative auch um biometrische Erkennungs-verfahren oder "verbesserte Sensorik". Die Maßnahmen stehen im Zusammenhang mit Ankündigungen der Bundes-regierung, auf dem Gebiet der Internet-Spionage die Abhängigkeit von den USA zu durchbrechen und die "digitale Souveränität" zu erlangen, die dann zum Abhören in nationaler Eigenregie genutzt werden kann. Als Vorbild wird häufig die Schaffung des Airbus genannt, mit dem es gelang, die US-amerikanische Dominanz in der Luft- und Raumfahrt zu durchbrechen. "Wir können nicht dulden, dass eine amerikanische digitale Besatzungsmacht in Deutschland regiert", hat unlängst ein CSU-Politiker erklärt.
 
Abhängig von US-Spähtechnologie
 
Die Forderung, der BND müsse seine technologischen Fähigkeiten deutlich stärken, wird seit dem vergangenen Herbst immer wieder energisch vorgetragen. Anlass ist der NSA-Skandal, der die Kooperation deutscher Dienste mit der US-Spionage, zugleich aber auch ihre Abhängigkeit von dieser deutlich erkennen ließ.[1] "Deutschland befindet sich in einer Situation der Ohnmacht", erklärte im Herbst exemplarisch der Berliner Regierungsberater Herfried Münkler, ein Beiratsmitglied der Bundesakademie für Sicherheitspolitik: "Das Land ist abhängig von der Spähtechnologie der Amerikaner." "Im Prinzip" benötige man "eine europäische NSA", um gegenüber den USA tatsächlich eigenständig auftreten zu können: "Ein Schwächling, der auf dem Schulhof den stärkeren Jungs großzügig anbietet, sie heute einmal nicht zu verhauen, ist nur eine Witzfigur".[2] Münkler zufolge habe die EU in den 1990er Jahren "einen verheerenden strategischen Fehler" begangen, "insofern man nicht ein gemeinsames europäisches Programm aufgelegt hat zur Entwicklung eigener Fähigkeiten" in der Internetspionage. Das müsse nun "so schnell wie möglich" nachgeholt werden. Erst wenn sie eigene Web-Spionagekapazitäten besäßen, befänden sich Berlin und die EU nicht mehr "in der Rolle des Bittstellers, des Abhängigen".[3]
 
Der Airbus für's Internet
 
Tatsächlich hat die Bundesregierung bereits Ende 2013 entschlossene Schritte in diese Richtung in Aussicht gestellt - und dabei immer wieder suggeriert, es gehe vor allem darum, die Bürger des eigenen Landes von der NSA-Spionage zu befreien. Anfang Dezember etwa äußerte der damalige innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl: "Wir können nicht dulden, dass eine amerikanische digitale Besatzungsmacht in Deutschland regiert". Uhl ergänzte: "Ich glaube, wir sollten in Deutschland die Souveränität auf dem Gebiet der IT zurück erlangen. ... Das werden wir tun." Verkehrs- und Internetminister Alexander Dobrindt (CSU) vertrat wenige Wochen später die Meinung, "wir" müssten "als Deutsche und Europäer unsere digitale Souveränität zurückgewinnen". "Dafür werden wir viel Geld ausgeben müssen", kündigte Dobrindt an: "Ich erinnere an die große Technologieoffensive der 80er Jahre von Franz Josef Strauß in der euopäischen Luft- und Raumfahrt."[4] Gemeint war der Aufbau von Airbus/EADS, um die damalige US-Dominanz auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrt zu brechen. Die Initiative - heute als Vorbild für gleichartige Schritte im Internet gepriesen - hatte Erfolg.
 
Fünf Maßnahmepakete
 
Der Bundesnachrichtendienst kündigt nun erste umfassende Schritte an. BND-Präsident Gerhard Schindler hat am 8. Mai auf einem Symposium des Inlandsgeheimdienstes (Bundesamt für Verfassungsschutz) berichtet, die Behörde bemühe sich zur Zeit um "die Optimierung unserer technischen Mittel": "Nur mit modernster Hardware" könne man "den rasanten Entwicklungen im Cyber-Raum folgen".[5] Behauptete Schindler damals noch, es gehe bei den Planungen vorrangig um die Abwehr von Wirtschaftsspionage im Internet, so war wenige Tage später bereits zu hören, man habe "fünf Maßnahmepakete" im Blick, die auch den "Ausbau der Datenanalyse" und "verbesserte Sensorik" vorsähen. Veranschlagt würden dafür rund 300 Millionen Euro für die Jahre von 2014 bis 2020.[6] Die Summe ist am Wochenende in mehreren Berichten bestätigt worden.
 
"Strategische Initiative Technik"
 
Aus den Berichten, die sich auf BND-Mitarbeiter und auf interne Geheimdienst-Papiere stützen, geht hervor, dass das Gesamtprojekt als "Strategische Initiative Technik" (SIT) geführt wird. Es umfasst zum Beispiel die Anschaffung mobiler Geräte zum Abfangen von Raketentest-Messdaten, aber auch die Bereitstellung von Technologien, mit denen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter systematisch ausgeforscht werden können ("Echtzeitanalyse von Streaming-Daten"). Zurzeit werde dazu an der Münchener Bundeswehr-Universität für den BND eine Studie über die "Automatisierte Beobachtung von Internetinhalten" erstellt. Auch suche der Auslandsgeheimdienst "Software-Sicherheitslücken für gezielte Spähattacken (zu) nutzen".[7] Dass derlei Sicherheitslücken nicht zuletzt bei "De-Mail" bestehen, das von der Bundesregierung ausdrücklich als "sicher" bezeichnet wird, kritisieren Experten seit Jahren; zuletzt hieß es in einer Stellungnahme des "Chaos Computer Club" vom 7. Mai, Ergebnisse von "De-Mail" seien "stark zentralisierte Infrastrukturen, die besonders attraktive Angriffsziele darstellen". Weiter hieß es: "Den Kontroll- und Überwachungsambitionen deutscher Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden ist es sicherlich auch zu verdanken, dass konzeptionelle Fehler in diesen Architekturen ... zu dauerhaften und absichtlichen Risiken führen."[8]
 
"Metadaten erzählen alles"
 
Wie es weiter heißt, will der BND auch seine biometrischen Kapazitäten ausweiten. Demnach solle die Bilderkennung automatisiert werden; auch wolle man in Zukunft anhand von "Fingerabdrücken und Iris-Scans ... Zielpersonen identifizieren können".[9] Insbesondere habe man es auf sogenannte Metadaten - Verbindungsdaten - abgesehen, wird berichtet. Dies dient gewöhnlich dazu, die Proteste gegen das Ausforschen von Mobiltelefonen zu dämpfen: Der Geheimdienst höre nicht den Gesprächsinhalt ab, sondern stelle nur fest, wer wann mit wem kommuniziere, wird regelmäßig erklärt. Tatsächlich besitzen gerade Metadaten für Geheimdienste und Repressionsapparate oft entscheidende Bedeutung. Dies hat sich erst kürzlich der US-Journalist David Cole von höchsten Geheimdienststellen in den USA bestätigen lassen. "Metadaten erzählen dir alles über das Leben einer anderen Person", zitiert Cole den NSA-General Counsel Stewart Baker: "Wenn du genug Metadaten hast, brauchst du eigentlich keinen (Gesprächs-)Inhalt mehr." Der ehemalige NSA- und CIA-Direktor Michael Hayden hat laut Cole mit Blick auf die US-Attacken mit Killerdrohnen offen eingeräumt: "Wir töten Menschen auf der Grundlage von Metadaten."[10]
 
Perspektive 2020
 
Die zeitliche Zielperspektive - 2020 - zeigt, dass der BND in sechs Jahren seine Eigenständigkeit gegenüber den US-Diensten deutlich ausgeweitet haben will. Dieselbe Perspektive gilt für andere Projekte, nicht zuletzt für den Bau deutsch-europäischer Killerdrohnen, auf deren Herstellung sich im November letzten Jahres mehrere EU-Staaten geeinigt haben (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Auch diese sollen um das Jahr 2020 herum einsatzbereit sein - und dies, ganz wie die neuen BND-Technologien, unabhängig von den USA. (PK)
 
[1] S. dazu Bei Freund und Feind, Kein Rechtsstaat und Beredtes Schweigen.
[2] "Mit Jammern ist es nicht getan". www.taz.de 19.11.2014.
[3] S. dazu Auf Augenhöhe mit den USA.
[4] S. dazu Der Airbus für's Internet.
[5] Rede des BND-Präsidenten Gerhard Schindler anlässlich des 11. Symposiums des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 8. Mai 2014.
[6] René Heilig: BND cleverer als die NSA? www.neues-deutschland.de 17.05.2014.
[7] John Goetz, Hans Leyendecker, Frederik Obermaier: BND will soziale Netzwerke live ausforschen. www.sueddeutsche.de 30.05.2014.
[8] Linus Neumann: Effektive IT-Sicherheit fördern. Stellungnahme zur 7. Sitzung des Ausschusses Digitale Agenda des Deutschen Bundestages. Mittwoch, 7. Mai 2014.
[9] John Goetz, Hans Leyendecker, Frederik Obermaier: BND will soziale Netzwerke live ausforschen. www.sueddeutsche.de 30.05.2014.
[10] David Cole: "We Kill People Based on Metadata". www.nybooks.com 10.05.2014.
[11] S. dazu Der Klub der Drohnen-Nutzer.

Diesen Beitrag haben wir mit Dank übernommen von
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58880
 


Online-Flyer Nr. 461  vom 04.06.2014

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