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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Erreicht Deutschland die Ziele der „Leitstudie 2010“ zur Energiewende?
Jahresprognose 2013
Von Prof. Sigismund Kobe

Unter dem Begriff „Energiewende“ wurde von der Bundesregierung eine weitreichende Umstellung der Energiewirtschaft in Angriff genommen. Konkrete Ziele orientieren sich an einer „Leitstudie 2010“, die einen Zeitrahmen bis 2050 umfasst. In diesem Zusammenhang wurden mittelfristig wichtige Teilziele formuliert, z. B. soll der Anteil erneuerbarer Energien (EE) an der Bruttostromerzeugung am Ende des Jahres 2020 mindestens 35% betragen und zwei Jahre später sollen die letzten der derzeit noch stromproduzierenden neun Kernkraftwerke endgültig außer Betrieb genommen werden. Hier wird die Entwicklung der jährlichen Stromerzeugung durch Windenergie- und Photovoltaikanlagen in Deutschland 2010-2013 analysiert und mit den Vorgaben der Leitstudie 2010 verglichen.
 

Prof. Sigismund Kobe
Quelle: www.physik.tu-dresden.de
Wegen des zu erwartenden zusätzlichen Stromerzeugungsbedarfs nach Abschaltung von weiteren Kernkraftwerken zwischen 2015 und 2022 wird ein Neuordnen der Prioritäten bei der Umsetzung der Ziele der Energiewende nahegelegt. Der Stand der Umsetzung der genannten Ziele bis 2011 wurde in einem ersten Monitoring-Bericht der Bundesministerien für Wirtschaft und Technologie sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit „Energie der Zukunft“ [1] analysiert. Dieser Bericht wurde von einer unabhängigen Expertenkommission begutachtet [2].
 
Datengrundlage
 
Die diesem Artikel zugrunde liegende Studie bezieht aktuelle Daten bis zum 10.11.2013 in die Analyse ein. Verwendet wurden Angaben zur Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990–2012 nach Energieträgern (Stand: 14.2.2013) [3] sowie Daten der EEX Strombörse [4], die durch das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg zeitnah ausgewertet werden [5]. Als Kenngröße wird die jährliche Stromerzeugung verwendet. Die Jahresprognose 2013 für die Stromproduktion von Windenergie- und Photovoltaik- Anlagen erfolgt auf der Grundlage von Daten für den Zeitraum vom 1.1.-10.11.2013. Details der Datenanalyse werden diskutiert.
 
In einer Abbildung sind die Energiedaten für die Gesamtproduktion von Windstrom, der Offshore-Anteil von Windstrom sowie die Stromerzeugung durch Photovoltaikanlagen für die Jahre 2010-2013 den entsprechenden Daten gemäß den Szenarien der Leitstudie [6] (Tab. 10-7, S. 191f.) für die Jahre 2010-2023 gegenübergestellt. Weiterhin ist der zusätzliche Bedarf an grundlastfähigem Strom aufgrund des geplanten Abschaltens von neun Kernkraftwerken bis 2022 angegeben (Daten gemäß [7]).
 
Erreichbarkeit der Erneuerbaren-Ziele
 
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine detaillierte Mittelfristprognose zum 31.12.2020 nicht möglich. Jedoch ist absehbar, dass – insbesondere durch den Rückstand bei Offshore-Windenergieanlagen – der Wert von 108 TWh Windstrom nicht mehr erreicht werden kann. Im Gegensatz dazu liegen die Planziele für Photovoltaik-Strom (43,9 TWh) im realisierbaren Bereich, obwohl voraussichtlich nach Erreichen des Deckelungswertes von 52 GW für die Photovoltaik- Förderung etwa im Jahre 2017 der weitere Anstieg etwas flacher ausfallen wird.
 
Auch unter der optimistischen Annahme, dass die Anteile der Stromerzeugung mittels Biomasse (49,5 TWh) und Wasserkraft (22,2 TWh) sich so entwickeln, wie in den Szenarien der Leitstudie vorgesehen, kann man aufgrund der vorliegenden Daten einen Anteil der EE an der Bruttostromerzeugung von höchstens 30–32 % im Jahre 2020 erwarten. In den Szenarien der Leitstudie nimmt die Stromerzeugung durch Windenergie eine herausgehobene Stellung ein. 2020 soll deren Anteil an der Stromerzeugung durch EE 48 % betragen, eine Steigerung auf 51 % im Jahre 2030 ist vorgesehen. Es ist zu beachten, dass bei Nichterreichen dieser Zielwerte für Windstrom eine Kompensation durch andere EE-Träger nicht möglich sein wird.
 
Ein Ersatz durch Biomasse muss verworfen werden, da diese Energieform nicht zu den „erneuerbaren Energien“ im engeren Sinne gehört: Im Gegensatz zu Wind, Sonne und Wasser steht Biomasse nicht unmittelbar am Generator zur Verfügung, sondern muss unter nicht unerheblichem Einsatz von nicht-erneuerbaren Energieträgern – zumeist fossilen Ursprungs wie Benzin und Diesel – z. B. auf landwirtschaftlichen Nutzflächen erzeugt und dann transportiert werden. Biomasse macht zur Zeit 26 % der EE-Anteile für die Stromproduktion aus.
 
Größtes Problem: Begrenzte Speichermöglichkeiten
 
Das größte Problem besteht jedoch nicht in dem summarischen Beitrag der EE an der Stromerzeugung, sondern betrifft die voraussichtlich auch 2020 noch nicht vorhandene Möglichkeit, diesen Strom in ausreichender Menge zu speichern. Es ist noch offen, ob es gelingt, chemische Verfahren der Stromspeicherung bis zu diesem Zeitpunkt großtechnisch umzusetzen. Nach dem Wegfall von drei Kernkraftwerken ist es erforderlich, Speicherkapazitäten in beträchtlichem Umfang für wind- und sonnenarme Perioden vorzuhalten. Diese müssen außerdem mit einer Leistung von bis zu 4 GW abrufbar sein. Ansonsten wäre man gezwungen, extra für solche Fälle auf fossile Energieträger zurückzugreifen.
 
Eine derart hohe Speicherkapazität entspricht etwa der von vier Pumpspeicherwerken in der Größe des größten derzeit in Deutschland vorhandenen Werkes (Standort: Goldisthal; elektrische Leistung: 1,06 GW, Speicherkapazität: 8,4 GWh). Diese wären nach acht Stunden erschöpft. Aus dem Kurvenverlauf ist zu erkennen, dass zwischen 2021 und 2023 zusätzlich noch einmal das Doppelte dieses Bedarfs – und damit insgesamt auch eine Leistung von bis zu 12 GW – ständig verfügbar sein muss, um die bis 2022 weggefallenen Kapazitäten weiterer sechs Kernkraftwerke zu kompensieren.
 
Da bei jeder Form von Speicherung auch die Zeiten für die Ladezyklen mit berücksichtigt werden müssen, erweist sich die Forderung nach ständiger Verfügbarkeit als begrenzender Faktor bei der Umsetzung der in der Leitstudie [6] formulierten Ziele. Der quantitative Aspekt des Speicherbedarfs wird in anderen Szenarien, z. B. in der Mittelfristprognose im Auftrag der Netzbetreiber vom November 2012 [8], nicht berücksichtigt.
 
Neuordnung der Prioritäten notwendig
 
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch die Analyse aktueller Kenngrößen wie „jährliche Stromproduktion“ und „Speicherbedarf“ ein Neuordnen der Prioritäten bei der Umsetzung der Ziele der Energiewende nahegelegt wird.
 
Zur Datenermittlung der Prognose von PV- und Wind-Stromertrag für 2013
 
Die für 2013 ermittelten Werte der Stromproduktion (vgl. Abb., für 2013 ist eine Hochrechnung aus den Werten für den Zeitraum 1.1.-10.11.2013 angegeben) beruhen auf den Energiedaten der EEX Strombörse. In den 314 Tagen vom 1.1.–10.11.2013 wurden 28,4 TWh PV-Strom erzeugt. Unter der Annahme, dass dies gerade 314/365 = 86 % des Jahreswertes entspricht, würden sich 33 TWh für das ganze Jahr 2013 ergeben. Dieser Wert muss als obere Schranke angesehen werden, da der Stromertrag jahreszeitlich schwankt und das Maximum um die Jahresmitte erreicht wird.
 
In den Monaten Mai bis August wird der Hauptbeitrag erzielt. Legt man die Jahresgänge von 2011 und 2012 zugrunde, so wurden bis zum 10.11.2011 95,5 % bzw. bis zum 10.11.2012 96,8 % des Jahresertrages erzielt. Bezogen auf diese beiden Jahresgänge wäre analog für 2013 ein Stromertrag von 29,8 TWh bzw. 29,4 TWh erreichbar. Im Mittel über die letzten sechs Jahre gab es in der Zeit vom 11.11. bis 31.12. gerade einmal 35 Volllaststunden (Daten nach [9]). Bei 35 GW Spitzenleistung ergibt sich damit insgesamt ein Jahresertrag von 29,7 TWh. Zusammenfassend kann man also für 2013 empirisch einen PV-Ertrag von etwa 30 TWh erwarten (vgl. Abb., 2013).
 
Bei der Prognose für den Wind-Stromertrag muss mit stärkeren Schwankungen um den Mittelwert gerechnet werden. Bis 10.11.2013 wurden 37,8 TWh Windstrom erzeugt. Die Analyse nach dem mittleren (86 %) Konzept ergibt einen Erwartungswert von 43,9 TWh. Die Jahresgänge von 2011 (viel Wind im Dezember, Ertrag bis 10.11.: 78 %) und 2012 (viel Wind im 1. Halbjahr, Ertrag bis 10.11.: 83,4 %) unterscheiden sich und würden für 2013 zu einer Prognose von Werten zwischen 48,5 TWh (entsprechend 2011) bzw. 45,3 TWh (entsprechend 2012) Anlass geben. Eine Abschätzung für den Stromertrag aus Windenergieanlagen ergibt demnach empirisch einen Ertrag, der bei 47 ± 2 TWh liegen wird (vgl. Abb., 2013). (PK)
 
Anmerkungen
[1] Erster Monitoring-Bericht „Energie der Zukunft“ (Stand: Dezember 2012), abrufbar unter: http://www. bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/ Allgemeines/Bundesnetzagentur/MonitoringEnergiederZukunft/ Monitoring-Bericht%20Energie%20der%20 Zukunft%202012.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (wenn nicht anders angegeben, wurden die Webseiten am 2.7.2013 abgerufen).
[2] Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“, Dezember 2012, abrufbar unter:http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Allgemeines/Bundesnetzagentur/MonitoringEnergiederZukunft/ StellungnahmederExperten2012. pdf?__blob=publicationFile&v=1
[3] Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2012 nach Energieträgern (Stand: 14.2.2013), abrufbar unter: http://ag-energiebilanzen.de/viewpage. php?idpage=65
[4] Daten der EEX Strombörse, abrufbar unter: http:// www.transparency.eex.com/de/daten_uebertragungsnetzbetreiber/stromerzeugung/tatsaechliche-produktion-solarhttp://www.transparency.eex.com/de/daten_uebertragungsnetzbetreiber/stromerzeugung/tatsaechliche-produktion-wind
[5] Burger, B: Stromproduktion aus Solar- und Windenergie, abrufbar unter: http://www.ise.fraunhofer.de/de/daten-zu-erneuerbaren-energien (abgerufen am 12.11.2013).
[6] Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und global: „Leitstudie 2010“ (Stand: 1.2.2011), abrufbar unter: http://www.bmu.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/ allgemein/application/pdf/leitstudie2010_bf.pdf
[7] Deutsches Atomforum e. V.: Kernkraftwerke in Deutschland, abrufbar unter:http://www.kernenergie.de/kernenergie/themen/kernkraftwerke/kernkraftwerke-in-deutschland.php
[8] r2b energy consulting GmbH: Jahresprognose 2013 und Mittelfristprognose bis 2017 zur deutschlandweiten Stromerzeugung aus EEG geförderten Kraftwerken (10.11.2012), abrufbar unter:http://www.r2b-energy. eu/uploads/pdf/publikationen/r2b_EEG_Mifri_Prognose_10112012.pdfsowie hier:
http://www.dlr.de/dlr/Portaldata/1/Resources/documents/leitstudie2010.pdf
[9] Solarenergie-Förderverein Deutschland e. V. (SFV): Stromertragsdaten von PV-Anlagen, abrufbar unter: http://www.pv-ertraege.de/cgi-bin/pvdaten/src/bundes_uebersichten.pl (abgerufen am 13.09.2013).
[10] Außerdem ist der zusätzliche Stromerzeugungsbedarf nach dem Atomausstieg angegeben. Der Bruttostromerzeugung in Deutschland beträgt ca. 600 TWh/a.
 
Prof. Sigismund Kobe arbeitet im Institut für Theoretische Physik an der TU Dresden
Die Erstveröffentlichung seines Beitrags finden Sie in Heft 12 von
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 2013 auf Seite S. 55


Online-Flyer Nr. 440  vom 08.01.2014

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