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Lokales
Aufgeblähte Bürokratien in Regierungsbezirken und Teilstädten umstrukturieren!
Die Krise im Ruhrgebiet verschärft sich
Von Lothar Reinhard

Seit Monaten verkünden diverse Gutachten mit unterschiedlichen Schwerpunkten, dass das Ruhrgebiet als größtes deutsches Ballungsgebiet mit über 5 Mio. Menschen inzwischen zur „Absteigerregion“ (Prognos-Zukunftsatlas) bzw. zum „Armenhaus Deutschlands“ (Wohlfahrtsverbände) geworden sei. Der Schuldenreport von Ernst&Young bilanzierte: "De facto sind viele deutsche Städte längst bankrott." Gemeint sind vor allem Revierstädte, zu denen auch alle negativen Spitzenreiter gehören: Oberhausen mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung (8369 €), Essen mit dem absolut höchsten Schuldenstand (3,2 Mrd.) und Mülheim mit der größten Schuldenzunahme (87% in nur 2 Jahren).
 

Die drei RegierungspräsidentInnen im Ruhrgebiet
Quelle: MBI 
Der Absturz der RWE- Aktien trifft die vielen RWE-Städte des Ruhrgebiets zusätzlich empfindlich durch Wegbrechen von Dividende und notwendiger Wertberichtigung der Bilanzen. Die eigentlich reiche Stadt Mülheim mit der immer niedrigsten Arbeitslosigkeit im Revier, ist mit Abstand am stärksten pro Kopf mit dem trudelnden Energiekonzern verbandelt. Entsprechend hoffnungslos steht der - durch das misslungene Prestigeprojekt „Ruhrbania“ und hemmungslose Umwegfinanzierungen über PPP-Konstruktionen - bereits hoch defizitäre Haushalt kurz vor dem Kollaps bzw. der bilanziellen Überschuldung.
 
Alle o.g. Untersuchungen beziehen sich auf die Zeit bis Ende 2012. Im Jahr 2013 verdunkelte sich der Himmel über dem Ruhrgebiet aber erst richtig. Viele Großbetriebe des Reviers sind auf Schrumpfkurs, von Opel, RWE, Thyssen-Krupp, Karstadt, EON, Hochtief, bis Evonik usw.. Die zig-tausendfachen Entlassungen treffen vor allem Facharbeiter und besser-Ausgebildete. Im „Gegenzug“ müssen die bankrotten Ruhrgebietsstädte überverhältnismäßig viele Armutsflüchtlinge verkraften, was sich ab Januar 2014 eher noch verstärken dürfte.
 
Kurzum: Die Lage im krisenerprobten Ruhrgebiet ist dramatischer als je zuvor seit Kriegsende, doch noch nicht hoffnungslos!
Nach Kohle- und Stahlkrisen in den vergangenen Jahrzehnten nun also eine Rundum-Strukturkrise des Reviers?
 
Sicherlich ist die Lage ernster und bedrohlicher wie lange nicht. Doch die heraufziehende schwere Krise bietet auch die Möglichkeit, endlich aus dem Kirchturmsdenken und der Zerstückelung der Metropole Ruhr in allen Bereichen herauszukommen.(1) Die 53 Revier-Kommunen in 3 verschiedenen Regierungsbezirken konkurrieren weiter nahezu selbstmörderisch um Firmenansiedlungen, Einkaufszentren, Wohnungen im Grünen uswusf.. Fast jede Kommune leistet sich den Luxus einer Tourismus-GmbH, einer Wirtschaftsförderungs GmbH, einer eigenen ÖPNV-Gesellschaft uswusf.. Bisher gab noch keine der 53 Revier-Kommunen etwas ab. Wenn interkommunale Zusammenarbeit, dann bisher immer nur etwas Zusätzliches. Das aber führt nicht mehr wirklich weiter. In Zeiten der Überschuldung fast aller Revierstädte muss das Gegenteil geschehen:
 
Dazu muss auf Dauer auch die Zuständigkeit gleich dreier RP`s, auch noch aus sehr unterschiedlichen Umfeldern (Düsseldorf, Münster, Arnsberg), beendet werden, sprich ein RP Ruhr muss her. Clement war daran gescheitert, die Rüttgers-Regierung verschob den vor den Wahlen versprochenen RP Ruhr, bis sie wieder abgewählt war, und die folgende Kraft-Regierung will an RP Ruhr usw. bisher überhaupt nicht heran.
 
Will aber die „Absteigerregion“ Ruhrgebiet auf Dauer nicht zur Absturzregion werden, müssen sowohl diese anachronistische Struktur der Aufsichtsbehörden, als auch die sprichwörtliche Kirchturmspolitik angegangen und geändert werden!
 
Wenn sich nämlich nichts an den aufgeblähten Bürokratien auf lokaler und RP-Ebene ändert (weil zu viele Parteigänger davon profitieren), wird das Ruhrgebiet schwer zu retten sein, auch nicht mit neuen Milliardenhilfsprogrammen.Fünf Regierungsbezirke gibt es in NRW und jeder hat einen Regierungspräsidenten. NRW leistet sich damit einen teuren und luxuriösen Mittelbau, der in weiten Teile genau so überflüssig ist, wie die Regierungspräsidenten/innen, die diesen Behörden vorstehen.Drei Behörden, eine für das Rheinland, eine für Westfalen und eine für das Ruhrgebiet würden ausreichen, um die Landesteile zu verwalten. Es wäre eine vernünftige Reform, die allerdings bislang an den  Lobbyisten scheiterte, denn in diesen Behörden sitzen viele, die überflüssig sind, aber wissen, wie sie ihre Interessen auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen können.
 
Eigentlich unverzüglich muss auch die jeweilige Stadtpolitik aller 53 Kirchtürme konsequent in Richtung Ruhrstadt oder Teilmetropole Ruhr-West o.ä. umorientiert werden, d.h. auch Verschmelzung ganzer Teilbereiche mit den Nachbarstädten und Abgabe von Entscheidungskompetenzen z.B. an den Regionalverband Ruhr (RVR). Das ganze muss sich auf viele Bereiche beziehen, die wichtigsten sind:
 
>         Ein gemeinsamer ÖPNV mit fusionierter Verkehrsgesellschaft,
 
>         eine einheitliche Gewerbesteuer, die nur an den RVR gezahlt wird,
 
>         eine koordinierte Baulandausweisung mit zuvor festgelegten Tabuzonen
           (z.B. Regionale Grünzüge),
 
>         Zusammenlegung und Arbeitsteilung von Behörden und städtischen
           Gesellschaften der heutigen Teilstädte.
 
Im Zuge dessen müsste auch die sukzessive Auflösung aller Ausgliederungen, städtischer und halbstädtischer GmbHs u.ä., und Rücküberführung in die Kernhaushalte angegangen werden 
 
Für die meisten Menschen im Ruhrgebiet finden Arbeit, Freizeit, Einkaufen, Gesundheitssektor usw. ohnehin längst städteübergreifend statt, nur für die jeweiligen OBs, Stadträte und Verwaltungen nicht. Jede „selbständige“ Teilstadt hält die gesamte Verwaltung, den Apparat, die Infrastruktur vor, ganz so als wäre ein sog. polyzentrischer Stadtteil wie Bottrop, Mülheim oder Duisburg ein wirkliches Mittel- oder Oberzentrum.
 
Am deutlichsten wird die ganze Misere beim ÖPNV, dem teuersten und am wenigsten effektiven Nahverkehr aller Ballungsgebiete weit und breit! Die Folgen der „Tunnelitis“ für ein U-Bahn-System ohne zentralen Knotenpunkt sind bereits kaum noch bezahlbar, noch mehr aber behindert das Neben- und oft sogar Gegeneinander verschiedener Teilstädte jede wirkliche Zukunftsorientierung.
 
Wer das nun jahrelange Gerangel in Mülheim um den eigenmächtigen Versuch von „Bus statt Bahn“ gegen Landesgesetze oder Nachbarstädte verfolgt hat, packt sich an den Kopf, denn außer vielen Gutachterkosten, endlos vielen Beratungen usw. ist auch nach Jahren nichts wirklich dabei herausgekommen. Nicht einmal die Taktzeiten der gemeinsamen StraBa-Linien 112 mit Oberhausen und 901 mit Duisburg sind auf einen Nenner zu bringen, weil jede Stadt eigene Vorstellungen von Einsparungen hat.
 
Alles absurd, wenn z.B. viele Mülheim-Styrumer Schüler, die in Oberhausen zum Gymnasium gehen oder umgekehrt noch mehr Oberhausener zur Gesamtschule in Styrum, an der Stadtgrenze aussteigen müssen, weil die 112 in MH noch 10 Min.-Takt, in OB seit kurzem aber 20 Min.-Takt hat. Mülheim will nun aber demnächst auf 15 Min. gehen. Hinzu kommen enorm hohe „overhead“-Kosten in jeder Teilstadt (nannte man früher „Wasserköpfe"), daneben Vorhalten von Werkstätten u.v.m. in jeder Teilstadt. Alles zusammen irrwitzig teuer,
 
Die vom Land subventionierte gemeinsame Gesellschaft VIA von Essen, Duisburg und Mülheim steckt noch in den Kinderschuhen, weil zu sehr rein additiv, ohne Kompetenzen der Einzelstädten zu beschneiden und zu konzentrieren. (PK)
 
(1) http://www.mbi-mh.de/wp-content/uploads/2013/02/RVR-Gebiet.jpg
 
Lothar Reinhard ist Fraktionssprecher der Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) im Stadtrat


Online-Flyer Nr. 439  vom 01.01.2014

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