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Aktueller Online-Flyer vom 08. Mai 2024  

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Kommentar
Bundesinnenminister Friedrich (CSU) versucht die Volksseele zu schrecken
Armutseinwanderung??!
Von Harald Schauff und Peter Kleinert

Innenminister Friedrich (CSU), das Fernsehen und der Boulevard geben sich alle Mühe die Volksseele mit der Behauptung zu schrecken, Deutschland drohe von einer Einwanderungswelle armer Rumänen und Bulgaren überrollt zu werden. Am Donnerstag forderte Friedrich die EU im Ersten auf, etwas dagegen zu unternehmen. Diese Einwanderer kämen vor allem hierher, um Sozialleistungen zu kassieren. Man spritzt Wasser auf die Mühlen von Ressentiments, wonach Ausländern hierzulande alles Erdenkliche an Unterstützung ‘nachgeschmissen’ werde, während die ‘eigenen Leute’ mittellos auf der Straße stünden.
 

Bundesinnenminister Friedrich (CSU)
NRhZ-Archiv
Diese Klischees halten sich hartnäckig. Sie nähren sich bevorzugt von einigen wenigen Extremfällen. Der Regelfall straft sie Lügen. Das gilt auch für die Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Tatsächlich liegen sie beim Bezug von Sozialleistungen mit 9,3% deutlich unter dem Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (15,9 %) und etwas über der Quote derGesamtbevölkerung (7,4 %). (1) Von einer Plünderung der deutschen Sozialkassen kann also keine Rede sein. Derartige Behauptungen sind absurd und verärgern die zuständigen Ökonomen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Sozialforschung (IAB) in Nürnberg.
 
2012 kamen 71.000 Menschen aus den beiden Armutshäusern der EU nach Deutschland. Ab 2014 gilt für Bulgaren und Rumänen die volle Freizügigkeit. Sie sind dann berechtigt in Deutschland uneingeschränkt zu arbeiten wie alle EU-Bürger. Das IAB rechnet mit insgesamt 100.000 bis 180.000 Zuwanderern aus beiden Ländern. Anspruch auf Sozialleistungen haben sie jetzt schon. Allerdings nur, wenn sie arbeitslos sind oder nicht genügend verdienen.
 
Anders als viele glauben, ändert sich eins jedoch nicht: Kommen sie zwecks Arbeitssuche nach Deutschland, können sie nicht sofort Hartz IV oder andere Sozialleistungen beziehen. Gleichfalls kein Beleg existiert für die Behauptung, Bulgaren und Rumänen würden im großen Stil als Scheinselbstständige aufstocken. Insgesamt wurden aus beiden Ländern 1500 Selbstständige gezählt, die aufstocken. Ihr Anteil unter den Beziehern von Hartz IV liegt bei 5,1 % und damit leicht über dem Gesamtbevölkerungsschnitt von 2,1 %.
 
Oft zu hören ist auch der Vorwurf, kinderreiche Familien kämen extra für den Bezug von Kindergeld nach Deutschland. Staatliche Leistungen für ihren Nachwuchs erhielten in der Tat ganze 7,9 % der Bulgaren und Rumänen. Zum Vergleich: Bei der (gesamten in Deutschland lebenden) ausländischen Bevölkerung waren es 15,3 %, bei der Gesamtbevölkerung 10,7 %. Das Klischee erhebt also einmal mehr die Ausnahme zur Regel.
 
Dass sich die Vorurteile so hartnäckig halten, hat einen nachvollziehbaren Grund: Einige wenige Problembezirke in Deutschland, Städte wie Duisburg, Dortmund oder Berlin, in denen Armut und Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch sind, verzerren den Gesamteindruck. So erhält in Berlin etwa ein Fünftel der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung Sozialleistungen. Hinzu kommen weitere Aufwendungen durch Leistungen für Obdachlose, Krankenversicherung oder die Integration von Schulkindern. In solchen Problembezirken sind die Folgen der sozialen Verwerfungen besonders gut sichtbar. Dazu gehört auch die Ausbreitung rechter Klischees, die Menschen fremder Herkunft gern zu Sündenböcken einer bedenklichen Entwicklung stempeln. Der Blick auf die jüngere deutsche Geschichte, insbesondere in den Abgrund vor 70 bis 80 Jahren, sollte zusammen mit der Erkenntnis extrem ungleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse eigentlich immun machen gegen solche Ressentiments.

Wie recht der Kollege Harald Schauff mit diesem Kommentar hat kann man der am 5.12. bei der NRhZ-Redaktion eingetroffenen Pressemitteilung der Partei DIE LINKE entnehmen. Darin heißt es u.a.:

Bundesregierung betreibt Stimmungsmache gegen Migranten

"Die Stimmungsmache des Bundesinnenministers gegen bulgarische und rumänische Migranten geht weiter. Mit der hetzerischen Propaganda über vermeintliche Armutsmigration leistet er in Deutschland einem Klima Vorschub, in dem ein lebensgefährlicher Rassismus möglich ist", erklärt Sevim Dagdelen, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für Migration und Integration, anlässlich der von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Donnerstag in Brüssel zum Auftakt des Ratstreffens gemachten Äußerungen zur sogenannten Armutsmigration. Dagdelen weiter:
 
"Es wundert mich nicht, dass für die Bundesregierung diese Stimmungsmache laut ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion offenbar 'essentieller Bestandteil einer Debatte in einer pluralistischen Gesellschaft, über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen auch pointiert zu diskutieren' (BT-Drucksache 18/60) ist. Nur, hier wird nicht pointiert diskutiert, sondern schlicht gelogen und verdreht.
 
Wahr ist, dass die seit Beginn der EU-Mitgliedschaft im Jahr 2007 aus diesen beiden Ländern nach Deutschland gekommenen Menschen größtenteils einer Erwerbsarbeit nachgehen, 22 Prozent von ihnen sind hochqualifiziert und 46 Prozent qualifiziert. Von den insgesamt 6,16 Millionen Leistungsempfängern beträgt der Anteil bulgarischer und rumänischer SGB-II-Leistungsbezieher an allen Leistungsbeziehern 0,6 Prozent.
 
Es muss endlich Schluss damit sein, dass Friedrich die Stammtische bedient und eine sogenannte Armutsmigration als Schreckgespenst an die Wand malt. Die Feindseligkeit gegenüber EU-Bürgern, die von ihren Rechten Gebrauch machen, erscheint vor dem Hintergrund, dass Europa und die EU mit ihrer Freizügigkeit und den sogenannten 'europäischen Werten' immer und ständig von der Regierungsseite verehrt wird, geradezu grotesk. Ein Europa der Feindseligkeiten und des Rechtspopulismus à la Bundesregierung lehnt DIE LINKE ab." (PK)
 
(1) Zahlen aus der Frankfurter Rundschau von Ende Oktober, ‘Mythos Arm(utseinwanderung’
 
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner "Straßenzeitung Querkopf". "Querkopf" ist "eine Mitmachzeitung von kritischen Menschen, denen die gezielte Meinungsmache der allgemeinen Presse gegen den Strich geht. "Das Organ für alle, die sich gegen die Willkür der Mächtigen zur Wehr setzen, denen Macht- und Geldinteressen ein Dorn im Auge sind. Mach auch Du Deinem Ärger über die herrschenden Verhältnisse Luft im Querkopf!" Wer "Querkopf" verkaufen möchte: Im Kiosk am Kölner Salierring 15 gibt es die Zeitung von 7 bis 14 Uhr für Verkäufer, die vom Verkaufspreis 1,50 Euro 0,75 Euro erhalten.


Online-Flyer Nr. 436  vom 11.12.2013

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