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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Deutsche Überwachung des gesamten Netzverkehrs im Stile der NSA?
Auf Augenhöhe mit den USA
Von Hans Georg

Berlin nutzt die Affäre um die NSA-Spionage zur machtpolitischen Stärkung Deutschlands und der EU. Führende Politiker fordern den umgehenden Ausbau deutsch-europäischer Internet-Strukturen, die US-amerikanischem Zugriff prinzipiell nicht mehr offenstehen. Dies sei heute ebenso nötig, wie man einst Airbus habe gründen müssen, um gegen Boeing konkurrieren zu können, erklärt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe.
 

Hermann Gröhe, CDU-Generalsekretär
Quelle: wikipedia
Ein Abbau der Internet-Totalüberwachung ist nicht geplant; vielmehr ist eine mit dem Zurückdrängen der NSA einhergehende Kompetenz-Erweiterung für die deutschen Geheimdienste und Repressionsbehörden im Gespräch. Die Maßnahmen stehen im Zusammenhang mit globalen Machtkämpfen. Deutschen Außenpolitik-Experten zufolge geht schon die NSA-Spionage auf Rivalitäten zwischen den USA und der EU zurück: Washington sehe die Dominanz des US-Dollar durch den Aufstieg des Euro bedroht - und spioniere deshalb gezielt die EU-Vormacht Deutschland aus. Im Berliner Polit-Establishment heißt es, man müsse jetzt endlich mit Washington "auf Augenhöhe" kommen. Die geplante Ablösung von den USA im IT-Bereich ist Teil einer weltpolitischen Offensive, die Berlin aktuell in die Wege leitet.
 
Sprache der Verdummung
 
In der Affäre um das Ausspionieren der deutschen Kanzlerin durch die NSA raten Insider zunächst zu einer Versachlichung der Debatte. Exemplarisch hierfür sind Äußerungen des Politik-Professors Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität. Münkler, ein Beiratsmitglied der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, verfügt im deutschen Polit-Establishment über einigen Einfluss. Er hat sich bereits im Juli recht illusionslos über die NSA-Affäre geäußert. "In der Politik ist Vertrauen nicht vorhanden, es muss erst geschaffen werden. Im Wesentlichen als Ergebnis von Beobachtung", schrieb er in einem Medienbeitrag; dabei seien es "schon immer die 'Freunde'" gewesen, "auf die die Überwacher ein besonderes Auge hatten": "Bei Feinden weiß man ja, woran man ist". Die jüngste "Empörung über die Freundes-Spionage" zeige nur, "wie wenig die Kultur des Überwachens bislang verstanden wird".[1] Die Rede von "Freunden", die sich "vertrauen" müssten, hat Münkler vor kurzem ganz offen als "Sprache der Verdummung" eingestuft: Sie verschleiere gegenüber dem Publikum die realen Verhältnisse stetiger Konkurrenz in der Politik.[2]
 
Rivale zum Dollar
 
Auch über die Hintergründe der NSA-Spionage gegenüber der Bundesregierung liegen im Berliner Establishment durchaus klare Einschätzungen vor. Wie etwa Josef Braml, ein USA-Spezialist der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), urteilt, ist die Abhör-Affäre "ein weiteres Indiz für die wachsende Rivalität zwischen den USA und Europa".[3] "Das Interesse an Merkels Handy" sei dabei "rein wirtschaftlich begründet".[4] "Der Dollar als Weltleitwährung ist angezählt", erklärt Braml: Die "unipolare Weltordnung, in der der Dollar dominiert hat", wandle sich mit dem Aufstieg des Euro und des chinesischen Renminbi "in eine multipolare"; dies sei mit erheblichen Problemen für die US-Wirtschaft verbunden. "Der Euro ist jetzt der Rivale zum Dollar geworden", sagt Braml, "und das führt dazu, dass die USA sehr genau wissen wollen, was die Führungsmacht des Rivalen Europa so denkt und tut." Der DGAP-Experte umschreibt mit seinen Aussagen zur Rolle des Euro ("Rivale zum Dollar") ein zentrales politisches Ziel, das die Bundesrepublik seit je mit der EU-Währung verfolgt (german-foreign-policy.com berichtete [5]).
 
Kein Bittsteller mehr
 
Über die Konsequenzen, welche die aufstrebende deutsch-europäische Wirtschafts- und Währungsmacht nun zu ziehen habe, hat sich schon Ende Oktober Herfried Münkler geäußert. Münkler erklärt zu dem Spionageverbund der NATO-Staaten, in dem der BND mit der NSA kooperiert [6], es sei "klar (...), dass der Bundesnachrichtendienst im Prinzip auf amerikanische Spy-Software angewiesen ist (...) und den Zugriff auf dieses Equipment damit bezahlt, dass er die Amerikaner an den Informationen teilhaben lässt". Damit sei es "auch klar, dass wir Europäer uns in einer Situation der Abhängigkeit befinden". Die EU habe nach 1990 "einen verheerenden strategischen Fehler" begangen, "insofern man nicht ein gemeinsames europäisches Programm aufgelegt hat zur Entwicklung eigener Fähigkeiten". Das müsse "so schnell wie möglich" nachgeholt werden. Es sollten daher umgehend "entsprechende europäische Unternehmen damit beschäftigt werden", eigene IT-Kapazitäten zu entwickeln - Spionagetechnologie inklusive -, die bei Bedarf auch gegen US-Stellen eingesetzt werden könnten. Berlin und die EU befänden sich dann endlich nicht mehr "in der Rolle des Bittstellers, des Abhängigen".[7]
 
Die post-amerikanische Ära
 
Tatsächlich werden entsprechende Maßnahmen mittlerweile eingeleitet. Dies betrifft nicht zuletzt die globale Internet-Infrastruktur. So weisen Kommentatoren darauf hin, dass Brasilien Pläne forciert, "mit Glasfaserkabeln nach Europa und zu allen lateinamerikanischen Staaten die Hegemonie der Vereinigten Staaten bei der Datenübertragung zu durchbrechen".[8] Brasilien gehört zu denjenigen Staaten, mit denen Deutschland auch in der Hoffnung kooperiert, gemeinsam die Vorherrschaft der USA zu brechen (german-foreign-policy.com berichtete [9]). "Auch die Europäer dürften sich an den Aufbau einer verbesserten Infrastruktur für den eigenen Datenverkehr machen", heißt es in dem erwähnten Kommentar weiter: Damit würden sie "weniger abhängig von Amerika - und weniger angreifbar". Man stehe vor dem Beginn einer "post-amerikanischen Ära". Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich fordert inzwischen tatsächlich, Internetanbieter hätten in Zukunft "Datenverkehre in Europa ausschließlich über europäische Netze zu leiten". Laut CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe geht es bei dieser Forderung ausdrücklich um globale Rivalitäten: "Es ist eine Frage der Selbstbehauptung, eine stärkere eigene IT-Kompetenz aufzubauen - so wie sich die Europäer seinerzeit entschieden haben, den Flugzeughersteller Airbus zu gründen und nicht Boeing die alleinige Vorherrschaft zu überlassen".[10]
 
Ganz im Stile der NSA
 
Dass die angestrebte IT-Ablösung von den USA keineswegs die Befreiung von der Überwachung mit sich bringt, zeigen beispielhaft aktuelle Pläne zum Ausbau der deutsch-europäischen Internet-Spionage. Einem Papier zufolge, das im Zusammenhang mit den aktuellen Koalitionsverhandlungen diskutiert wird und aus dem Bundesinnenministerium stammen soll, müsse künftig die "Ausleitung" des Datenverkehrs an "Netzknoten" wie etwa dem Internet-Austauschpunkt DE-CIX in Frankfurt am Main den deutschen Diensten im großen Stil erlaubt werden. Experten zufolge ermöglicht dies "eine Überwachung des gesamten Netzverkehrs im Stile der NSA".[11] Zudem ist zu hören, Innenpolitiker plädierten dafür, Mautdaten in Zukunft auch zur Strafverfolgung zu nutzen und die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Offiziell werden einige dieser Forderungen gegenwärtig dementiert; allerdings hat der BND mit entsprechenden Spionage-Schritten längst begonnen (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Einschränkungen für den BND, der an der NSA-Totalüberwachung in erheblichem Maße teilnimmt und technisch wohl in der Lage ist, sie eigenständig fortzuführen, stehen in Berlin nicht zur Debatte.
 
Abschied von der Führungsmacht
 
Tatsächlich dienen die geplanten Kompetenz-Erweiterungen für die deutschen Geheimdienste und Repressionsbehörden dem Ausbau Deutschlands und der EU zur eigenständig operierenden globalen Macht. Sie werden zu einem Zeitpunkt diskutiert, da Berlin eine neue weltpolitische Offensive einleitet (german-foreign-policy.com berichtete [13]), die geeignet ist, den Aufstieg der deutsch dominierten EU zu einer solchen globalen Macht zu fördern. Die Bundesrepublik nutzt dabei aktuelle Schwächen der Vereinigten Staaten. DGAP-Experte Braml urteilt: "Wir müssen uns davon verabschieden, dass Amerika weiterhin diese starke westliche Führungsmacht ist".[14] Dass Berlin freilich keinen vollständigen Bruch mit Washington anstrebt, sondern einen deutsch-europäischen Machtgewinn gegenüber den USA bei gleichzeitiger Kooperation gegenüber gemeinsamen Gegnern, das hat kürzlich Herfried Münkler bestätigt. Es komme "nicht darauf an", erläuterte er, dass "die deutsch-amerikanischen Beziehungen Schaden leiden, sondern dass die deutsch-amerikanischen oder auch die europäisch-amerikanischen Beziehungen auf ein Fundament gestellt werden, das tatsächlich im Begriff der Augenhöhe angemessen abgebildet werden kann."[15] (PK)
 
 
[1] Herfried Münkler: Misstraue deinem Nächsten: zur Geschichte der Überwachung; www.tagesspiegel.de 03.07.2013
[2] Europäische Geheimdienste stärken; www.dradio.de 26.10.2013
[3] Obamagate; www.bild.de 25.10.2013
[4] "Das Interesse an Merkels Handy ist wirtschaftlich begründet"; www.zeit.de 24.10.2013
[5] s. dazu Vom Dollar zum Euro und Vom Dollar zum Euro (II)
[6] s. dazu Beredtes Schweigen
[7] Europäische Geheimdienste stärken; www.dradio.de 26.10.2013
[8] Vor einer post-amerikanischen Ära; www.faz.net 26.10.2013
[9] s. dazu Herausforderer der USA und Partners in Leadership
[10] Friedrich will IT-Sicherheitsgesetz durchsetzen; www.handelsblatt.com 03.11.2013
[11] CDU und CSU wollen Internet im NSA-Stil überwachen; www.heise.de 03.11.2013
[12] s. dazu Beredtes Schweigen
[13] s. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik und Die Dominanz über Europa
[14] "Das Interesse an Merkels Handy ist wirtschaftlich begründet"; www.zeit.de 24.10.2013
[15] Herfried Münkler: Misstraue deinem Nächsten: zur Geschichte der Überwachung; www.tagesspiegel.de 03.07.2013
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank von
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58727 übernommen.


Online-Flyer Nr. 432  vom 13.11.2013

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