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Globales
Warum hält die Schweiz ihre Kriegsmaterialverordnung nicht ein?
Kein Friedensnobelpreis für den Bundesrat
Von Heinrich Frei

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen erhält den Friedensnobelpreis. Das ist ein guter Entscheid. Die Bundesrätinnen und Bundesräte, also die Regierung der neutralen, friedliebenden Schweiz, werden vorläufig den Friedensnobelpreis nicht bekommen. Die Schweiz beherbergt zwar in Genf UNO-Organisationen, und in Genf hilft unser Land immer wieder Abrüstungs- und Friedenskonferenzen organisieren. Aber das Geschäft der Schweiz mit dem Tod, mit dem Krieg, steht der Verleihung des Friedensnobelpreises an unsere Bundesrätinnen und Bundesräte weiter im Wege.
 

Offizielles Foto des Bundesrates 2013 (v. l. n. r.):
Johann Schneider-Ammann, Simonetta Sommaruga,
Didier Burkhalter (Vizepräsident), Eveline Widmer-
Schlumpf, Ueli Maurer (Bundespräsident), Alain Berset,
Doris Leuthard, Corina Casanova (Bundeskanzlerin)
Quelle: Bundesrat
Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet gehört unser Land leider immer noch zu den grossen Exporteuren von Kriegsmaterial. Und jetzt wollen christliche (CVP) und andere bürgerliche Politiker, (FDP, SVP und BDP) die Schweizer Kriegsmaterial-exporte sogar noch mehr liberalisieren, sie möchten ungehinderter an Staaten wie Saudiarabien, Pakistan, in Krisengebiete, an Länder die Kriege führen und an Diktaturen im Pulverfass des Nahen Ostens Waffen liefern. Begründet wird dies, mit der Krise der Rüstungsindustrie.
 
Die Kriegsmaterialverordnung der Schweiz verbietet seit 2008 klar und deutlich Kriegsmaterialexporte an Staaten, die in einen „bewaffneten Konflikt verwickelt sind“ oder an Länder, welche „die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen“. Wie wurde diese klare Verordnung eingehalten? An Saudiarabien wurde 2009 für 131,6 Millionen Franken Kriegsmaterial verkauft, 2010 für 132,6 Mio. Fr., 2011 für 20,6 Mio. Fr. und 2012 für 24,8 Mio. Fr. Nach Pakistan lieferte unser Land 2009 für 1,5 Mio. Fr. Kriegsmaterial, 2010 für 14 Mio. Fr., 2011 für 6,35 Mio. Fr. und 2012 für 960.679 Fr. (laut den Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft, SECO).
 
Sowohl in Saudi-Arabien wie in Pakistan wurden die Menschenrechte von 2009 bis 2012 „systematisch und schwerwiegend“ verletzt, wie Berichte von Amnesty International dokumentieren. Beide Staaten waren auch in „bewaffnete Konflikte verwickelt“. Der größte Teil der Schweizer Kriegsmaterialexporte ging aber an Nato-Staaten, die in Afghanistan, in Libyen und in Mali in „bewaffnete Konflikte verwickelt“ waren. Warum kam die Kriegsmaterialverordnung im Falle von Saudiarabien, Pakistan und den Nato-Staaten nicht zum Zuge? Muss der Bundesrat die Kriegsmaterialverordnung nicht einhalten?
 
Erwähnen muss man auch noch: Bei 46 Prozent der Kriegsmaterialexporte ist letztlich nicht bekannt, wer der „Endempfängerstaat“ von so genannten Kleinbestandteilen ist. Diese "Kleinbestandteile" werden im Ausland in Waffensysteme eingebaut, und können dann frei irgendwo hin weiterexportiert werden. (1)
 
70 Experten in Völkerrecht und Strafrecht kritisierten im Oktober 2009 Jahr die Praxis der Bewilligung von Kriegsmaterialexporten. Sie gelangten im Oktober 2009 mit einem offenen Brief an Bundesrätin Doris Leuthard sowie an die Direktion für Völkerrecht im Außendepartement von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey an die Öffentlichkeit. Die Professoren bemängelten wie die seit Dezember 2008 geltende revidierte Kriegsmaterialverordnung gehandhabt werde. Insbesondere kritisierten sie die Auslegung des Artikels, wonach ein Exportverbot für Länder gilt, die "in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt" sind. Würde dies umgesetzt, hielten die Professoren fest, dürften weder nach Deutschland noch in die USA Rüstungsgüter geliefert werden, denn diese Nationen seien in Afghanistan und im Irak an Kriegen beteiligt. (PK)
 
(1) Im Tages Anzeiger vom 29. Januar 2013 liest man dazu in einem Artikel von
Christian Brönnimann unter dem Titel "Schweiz verliert Kontrolle über immer mehr Waffenexporte":
"In der Tabelle Ausfuhr von Kriegsmaterial des SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft) werden die „Endempfängerstaaten“ aufgeführt. Dies ist irreführend, denn bei 46 Prozent der Kriegsmaterialexporte ist letztlich nicht bekannt, wer der „Endempfängerstaat“ von so genannten Kleinbestandteilen ist. Diese Kleinbestandteile werden im Ausland in Waffensysteme eingebaut und werden dann in vielen Fällen irgendwo hin weiterexportiert. Für Waffenteile, deren Herstellungskosten weniger als 50 Prozent der Herstellungskosten des Endproduktes ausmachen, muss der Exporteur von Kriegsmaterial nämlich in der Schweiz für gut zwei Dutzend Länder keine Nichtwiederausfuhr-Erklärung abgeben. Im letzten Jahr stieg der Anteil von solchen Waffenteilen auf 46 Prozent der gesamten Kriegsmaterialexporte. Über den Verbleib der Endprodukte dieser Waffenteile wissen selbst die Kontrollbehörden des Bundes keinen Bescheid."


Online-Flyer Nr. 428  vom 16.10.2013

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