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Globales
"Wir vertreten einen Dritten Weg für die Entwicklung Syriens"
Interview mit der Kurdin Asya Abdullah Osman
Von Martin Dolzer

Asya Abdullah Osman (42) ist seit 2012 Co-Vorsitzende der syrisch-kurdischen Partei der demokratischen Einheit (PYD), zu deren Mitgründern sie im Jahre 2003 gehörte, und Mitglied des Hohen Kurdischen Rates. Mit Martin Dolzer sprach sie u.a. über die kurdischen Interessen im syrischen Bürgerkrieg, die "Freie Syrische Armee" und die "Rebellen", die Haltung der PYD zu einer möglichen türkischen Intervention und die Gleichberechtigung der kurdischen Frauen.
 
Martin Dolzer: Was ist der Hohe Kurdische Rat für ein Gremium?
 
Asya Abdullah Osman: Wir sind ein Zusammenschluss der Kurdischen Volksräte in Syrien, die von der PYD aufgebaut wurden, sowie des Nationalen Volksrates, einem Verband 15 weiterer syrisch-kurdischer Parteien unterschiedlicher politischer Ausrichtung. All diese Parteien haben sich in der nordirakischen Stadt Erbil (Hewler) darauf geeinigt, gemeinsam für die Stabilität der kurdischen Regionen Syriens und die Rechte der dortigen Bevölkerung zu arbeiten und dafür den Hohen Kurdischen Rat gegründet.
 
In der Bundesrepublik ist auch die PYD nur wenig bekannt. Was sind ihre Ziele?
 
Die PYD sieht sich in der Verantwortung für die kurdische Bevölkerung Syriens (West Kurdistan) und ist eine eigenständige Partei. Sie wird oft fälschlicher Weise als Ableger der PKK bezeichnet, weil sie wie diese eine basisdemokratische Gesellschaft anstrebt. Das ist aber nicht richtig. Wir vertreten einen Dritten Weg für die Entwicklung Syriens und sehen uns als Alternative zum Assad-Regime wie auch der aus dem Ausland beeinflussten Kräfte, z.B. dem Syrischen Nationalrat oder der Freien Syrischen Armee. Unser Hauptziel ist ein friedliches, demokratisches und geschwisterliches Zusammenleben aller Ethnien und Religionsgruppen. Dafür streben wir auch eine demokratische Verfassung an, die die Rechte sämtlicher Minderheiten berücksichtigt. Eine Verfassung ohne Berücksichtigung der Rechte der kurdischen Bevölkerung, wie sie z.B. die Exilopposition anstrebt, ist für uns nicht akzeptabel. In diesem Rahmen arbeiten wir mit der Demokratischen Opposition zusammen. Die PYD wird von ca. 70% der 3 Millionen KurdInnen in Syrien unterstützt.
 
Welche Rolle spielen die Frauen in der PYD?
 
Ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auch in der Gleichberechtigung der Frau. Wir haben eine 40%-Quote für sämtliche Gremien und ein Mann/Frau Vorstandsmodell. Zudem haben wir bereits eine Vielzahl von Frauenbildungszentren errichtet. Wir gehen davon aus, dass eine freie Gesellschaft nicht ohne die Befreiung der Frau entstehen kann. Die Frauen müssen zunächst eigene Strukturen aufbauen und ihr eigenes Leben gestalten lernen, um dann positiv auf die Gesellschaft rückwirken zu können. Die PYD misst den Demokratiegrad einer Gesellschaft oder Organisation auch an der Gleichberechtigung. Der Vorstand der Opposition, die sich in Doha gerade neu formiert hat, besteht ausschließlich aus Männern. Eine derart patriarchale Herangehensweise zieht sich durch die gesamte Politik der so genannten Rebellen und die syrische Gesellschaft.
 
In den kurdischen Provinzen herrscht im Gegensatz zum Bürgerkrieg und Chaos in weiteren Teilen Syriens eine große Stabilität. Woran liegt das?
 
Die PYD arbeitet schon seit Jahren am Aufbau basisdemokratischer Strukturen. Im Rahmen des Aufstands gegen die Regierung Assad haben wir nun in weiten Teilen der kurdischen Provinzen die Kommunalverwaltungen meist ohne größere Auseinandersetzung mit dem Militär in Form von Volksräten (TEV-DEM) übernommen. Wir beziehen die Bevölkerung in die Verwaltung und Gestaltung des Alltags, in die Rechtsprechung und den Aufbau von Bildungsorganisationen mit ein. Deshalb hat sich eine kraftvolle Dynamik und insbesondere eine positive Perspektive entwickelt. Das ist ein großer Unterschied zu dem Konzept eines Kampfes gegen das Regime und gegeneinander, wie es weite Teile der „Rebellen“ praktizieren. Um die Stabilität abzusichern zu können, haben sich aus der Bevölkerung heraus die bewaffneten Volksverteidigungskräfte YPG gebildet. Viele Inlandsflüchtlinge sind aufgrund der relativ hohen Sicherheit in die kurdischen Provinzen des Landes geflohen. Wir haben sie trotz enormer wirtschaftlicher Probleme mit offenen Armen empfangen.
 
Kleingruppen, die sich der Freien Syrischen Armee zuordnen, versuchen seit mehreren Wochen die PYD in den Bürgerkrieg hineinzuziehen. Welche Absicht verfolgen diese?
 
Es gibt eindeutige Belege dafür, dass die meisten dieser Gruppen aus der Türkei unterstützt werden. Die türkische Regierung will mit aller Macht die Entwicklung einer demokratischen und selbstbestimmten kurdischen Region in Syrien verhindern. In den Städten Efrin und Aleppo haben diese Gruppen kurdische Stadtteile angegriffen und mehrere Zivilisten getötet. Immer wieder kommt es auch zu Entführungen und Übergriffen auf die Landbevölkerung. Am Donnerstag hat eine weitere dieser Gruppen die türkisch-syrische Grenze überschritten und sich vorerst in der Nähe des Ortes Tirbese verschanzt. Es ist deutlich, dass von ausländischen Kräften aus unterschiedlichen Eigeninteressen versucht wird, den Bürgerkrieg durch das Aufhetzen der Gruppen gegeneinander auch in den kurdischen Regionen zu forcieren. Unsere Arbeit basiert dagegen auf einer friedlichen und Demokratischen Ideologie. Was in Syrien passieren soll, kann letztendlich nur die dortige Bevölkerung entwickeln. (PK)
 


Online-Flyer Nr. 426  vom 02.10.2013

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