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Kultur und Wissen
„Long Distance Revolutionary“ - Dok-Film aus den USA über Mumia Abu-Jamal
Mumias Botschaften aus der Hölle
Filmtipp von Harry Popow

Da „lebt“ ein Mann in einem sechs Quadratmeter engen Raum. Dreiundzwanzig Stunden pro Tag. Halbdunkel. Er sitzt und schreibt. Mit der Hand. Ohne PC, ohne Internet. Tausende angriffslustige Kommentare. Weltweit - trotz starker Hindernisse - gesendet und veröffentlicht. Woche für Woche. Und er liest viel. Wenn Besuch zugelassen ist, trägt er Handschellen. Und täglich das Warten. Auf die Giftspritze. Monat für Monat. Jahr für Jahr. So eingepfercht muss er ausharren, der 1982 zum Tode Verurteilte. Und schreibt das Unbewiesene seiner angeblichen Schuld an der Ermordung eines Polizisten mit Artikeln und Büchern in die Welt hinaus. Es geht ihm nicht um sich selbst, um sein Ego. Er klagt die Vereinigten Staaten des schlimmsten Rassismus an. Und er lebt und übersteht die Qualen der Hölle und wird zum Idol aller Freiheitsliebenden, aller US-Afro-Amerikaner, zur Kultfigur. Und ist nicht zum Schweigen zu bringen, nicht totzukriegen. Bis 2011, als dieses Urteil aufgehoben und in ein lebenslanges Eingesperrtsein umgewandelt wird. Weil er Freunde hat, Mitstreiter, Sympathisierende. 



Mumia Abu-Jamal

Quelle: www.mumiafilm.de

Sein Name: Mumia Abu-Jamal. Ein US-amerikanischer schwarzer Menschenrechtler. Seit über dreißig Jahren geht sein Name um die Welt. Eine Symbolfigur, die im Namen von fast 3000 Todeskandidaten von Afro-Amerikanern in den USA und Millionen aufrechter Menschen Mut macht, nicht klein beizugeben. Ein Name, der den Millionärs-Eliten der USA das Gruseln lehrt. Bereits 1996 wurde unter der Produktionsleitung von Peter Kleinert - heute Herausgeber und Redakteur der www.nrhz.de („Neue Rheinische Zeitung“) - der erste Film über ihn und mit ihm in der Todeszelle gedreht. "Hinter diesen Mauern - Mumia Abu-Jamal und der lange Kampf um Freiheit" befasste sich auch mit den verbrecherischen Fehlurteilen der amerikanischen Justiz. Und in diesen Tagen des Oktober 2013 kommt erneut ein Dokumentarfilm über ihn in die deutschen Kinos: „Long Distance Revolutionary“. Länge: 120 Minuten. Produziert in Amerika.
 
Ein Film, der Unruhe schafft
 
Das vorneweg: Es ist ein Film, der Unruhe schafft, der einen nicht dazu bringt, sich ruhig im Fernsehsessel zurückzulehnen. Ein Film der Schnelligkeit, der Kontraste, der ans Herz rührenden Emotionen. Dabei erinnere ich mich an das Buch von Joe Bageant, das ich kürzlich rezensierte, „Auf Rehwildjagd mit Jesus. Meldungen aus dem amerikanischen Klassenkampf“. Der Autor stellte darin u.a. fest, das Denken vieler Amerikaner drehe sich um das eigene Wohl, gegen Krieg haben sie weitgehend nichts und die Arbeiterklasse will vom Klassenkampf nichts hören. Ohne Bildung, meint Joe Bageant, könne sich nichts ändern: „Was meine Leute wirklich brauchen, ist jemand, der einmal ordentlich auf den Tisch schlägt und laut und verständlich sagt: ´Hört mal zu, Ihr verdammten Büffelhörner! Wir sind blöder als ein beschissener Hackklotz und hätten dafür sorgen sollen, dass man uns was beibringt, damit wir wenigstens ein bisschen kapieren, was in dieser beschissenen Welt abläuft.´“
 
Einer haut ebenfalls kräftig auf den Tisch: Mumia Abu-Jamal. Es gibt also auch das andere Amerika... „Die Blitze sollen unsere Botschaft tragen“. Ein Spruch von Mark Twain zu Beginn des Films. Ein Schwarzer liest lautstark aus dem Buch: „Days & Nightmares“ (Alptraum). Autor: Mumia Abul-Jamal: „Eingehüllt ins süße, trügerische Entkommen des Traums höre ich die unverkennbaren Geräusche: Knüppel klatschen auf Fleisch, Stiefel treten zu, Schreie, Flüche... und alles vermischt in der Filmmaschine des Gehirns, erinnert an die größten Hits der Polizei – Hits gegen mich. Eine neue Dämmerung, neue Prügelorgie, ein neuer Gefangener in Handschellen, in den Betonboden geklatscht von einer Wärter-Schwadron.“
 
Ein mitreißend lebendiges Bild des heute 59jährigen
 
Und dann geht es mit den Sequenzen im Sekundentakt: Fotos und Interviews mit dem gefangenen Idol, Kommentare von KollegInnen, Freunden und Freundinnen, ehemaligen WeggenossInnen aus der Black Panther Party, seiner Schwester Lydia und seiner 89-jährigen Literaturagentin. Und: Tariq Ali, Noam Chomsky, Alice Walker, Angela Davis und viele andere sprechen über den Menschen, den Autor und den Visionär. Er und seine Stimme dominieren den zweistündigen aufregenden und die menschliche Seele herausfordernden Film. Sie sind Überbringer der Botschaften des unrechtmäßig Inhaftierten. Darüber hinaus als Illustrationen: Dokumente, Plakate, Zeitungsausschnitte, Tonbandgeräte, Grafiken. Im starken Kontrast dazu: Prügelnde Polizei, Folterungen, Gehängte, Feuer, Explosionen, Gefängnistrakte, Schüsse, Hetzreden von Rassisten der schlimmsten Art. So entsteht ein mitreißend lebendiges Bild des heute 59jährigen, aufgehoben in der Wärme Gleichgesinnter, im Schoß der gegen Ungerechtigkeit und für Gleichberechtigung Kämpfenden. So bilden Inhalt und Form, Aufnahmen und Untertitel, von denen noch zu sprechen ist, eine wunderbare Ehe, die den Visionen und dem Anliegen dieser amerikanischen Kultfigur gerecht werden.
 
Welch eine geistige Helligkeit strahlt dir entgegen, wenn du - Dank der Nahaufnahmen - aufmerksam den Worten und der Mimik und Gestik unseres Helden folgst. Seine Augen, die dich offen ansehen, auch mal mit einem Seitenblick, Nachdenklichkeit ausdrückend. Seine Hände, die das Kinn oft stützen, seine Kraft in der Zelle, wo er gezwungen ist, bei spärlicher Beleuchtung zu lesen und zu schreiben. Dann erst seine Stimme, von der im Film des Öfteren die Rede ist. Tief und dunkel, angenehm und sympathisch. Da möchtest du ihm gegenüber sitzen und seinen Worten lauschen.
 
Kampf um die Gleichberechtigung der Afro-Amerikaner
 
Du erfährst von seiner Kindheit, von seiner Liebe zur Aufrichtigkeit, die gleichermaßen auch sein Motiv bildet für den Kampf um die Gleichberechtigung der Afro-Amerikaner im gottgelobten Land USA. Eine Stimme im O-Ton: „Er war glaub ich nicht unbedingt daran interessiert, eine Religion zu finden oder einen Glauben – er wollte herausfinden, was Liebe ist.“ Eine weitere Meinung: „Ich glaube, Mumia würde Che zustimmen, der sagte: ´Auf die Gefahr hin, lächerlich zu wirken – ein Revolutionär wird von Liebe geleitet und von Liebe für die Menschen.´“
 
Beeindruckend die Wirkung dieses Mannes auf seine Landsleute. Nicht nur wegen der Stimme, die er als Rundfunkjournalist eine Zeit lang in den Äther schmettern konnte. Sondern vor allem wegen des Inhalts, wegen des Protestes gegen die Allmacht des Kapitals, die im Rassismus das Ventil für den Kampf gegen die Afro-Amerikaner gefunden hat. Dieser Hass, der aus den Mündern solcher Leute wie Nixen u.a. so liest, wie H.R. Haleman, der frühere Stabschef von Präsident Richard Nixon, dessen Strategie zitierte: „Die Schwarzen sind das eigentliche Problem. Wir brauchen ein System, dem das klar ist und das dabei so tut, als wäre es nicht so.“
 
"Sie sind die einzigen, die eine Atombombe auf andere geworfen haben."
 
Was die Filmaufnahmen nicht zeigen können, das vermitteln die Untertitel (ins Deutsche übersetzt von Annette Schiffmann): So sagt Mumia, die USA anprangernd: „Sie sind die einzigen, die eine Atombombe auf andere geworfen haben, die ganze Populationen anderer Menschen kolonisiert und versklavt haben... und die gigantische Völkermorde begangen haben – an amerikanischen Natives, an Juden (...) Keine einzige Nation auf der Welt hat derart schockierende und blutige Praktiken verschuldet wie die Menschen der Vereinigten Staaten von heute.“ Und an anderer Stelle: „Das Schlimmste ist, dass die Leute sich an die Grausamkeit gewöhnen. Ich weiß noch, in Vietnam, in den späten 60er Jahren, als ich das erste Mal sah, was die amerikanischen Bomben anrichteten. Einen ganzen Tag lang war ich fertig – die toten Kinder, die da auf der Straße lagen...“
 
Der Kommentar eines US-Bürgers lautet so: „Er versteht, dass wir diesen Kampf fortsetzen müssen, weil alles bis heute so weitergeht... und es geht nicht um ihn, es geht um alle, es geht ums Kollektiv. Er zieht die Medien zur Verantwortung, die Welt und uns selbst – damit wir die Wahrheit sehen hinter dem, was vor sich geht. Er hat eine Vision von der Chance zur Freiheit.“
 
Mumia: „Wenn du raus auf die Straße gehst und die Mittel einer imperialen Macht benutzt, dann kannst du nicht gewinnen. Du kannst nicht mit Geld gewinnen. Auch nicht mit Knarren. Um die Zapatisten zu zitieren: Unsere Worte sind unsere Waffen.“
 
Kurz nach Vollendung dieses Films wurde Mumias Todesurteil aufgehoben. Er bleibt im Gefängnis – ohne Möglichkeit auf Bewährung. Aber seine Botschaften erreichen immer mehr Menschen... (PK)
 
 
"MUMIA - Long Distance Revolutionary"
Ein Film von Stephen Vittoria, USA – mit deutschen Untertiteln (Übersetzung Annette Schiffner)
Deutsche Kino-Premiere: 5. Oktober 2013, 20:00 Uhr, BERLIN, Babylon-Mitte mit Q&A-Video-Liveschaltung zum Regisseur in Los Angeles nach der Vorführung
Weitere Screenings dort: 6., 7. und 8. Oktober – www.babylonberlin.de
 
Anlässlich des weltweiten Tages gegen die Todesstrafe am 10. Oktober zeigt Monoduofilms den neuen Film über Mumia Abu-Jamal in 11 deutschen Städten – weitere folgen im November und Dezember – unerwartete Erfolgsgeschichte (39 Städte) in den USA – beeindruckte Kritiken bis in die New York Times
 
Zum ersten Film "Hinter diesen Mauern - Mumia Abu-Jamal und der lange Kampf um Freiheit aus dem Jahr1996 finden Sie weitere Informationen unter http://www.kaos-archiv.de/ in der Rubrik Dokumentarfilme
 
Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com
 


Online-Flyer Nr. 426  vom 02.10.2013

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