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Kultur und Wissen
Der größte und älteste israelische Friedensaktivist in Israel ist nun 90 Jahre alt!
Uri Avnery - "Hoch soll er leben!"
Von Inga Gelsdorf

Wenn man ihn sieht, glaubt man das kaum. Unermüdlich kämpft er mit seiner Feder und seinen Worten für Gerechtigkeit und Frieden. Er ist ein Held (ohne Waffen) und hat verdient, dass man über ihn berichtet. Er hat sein Leben dem Frieden in seinem Land geopfert, kaum einer war so mutig wie er, immer allen voran. Bei Demonstrationen stand und steht er immer in der ersten Reihe. Davon konnten ihn weder Mordversuche, noch Verletzungen durch Tränengas und Gummigeschosse abhalten. Mutig und unbeirrbar setzt er seinen Kampf mit friedlichen Mitteln fort.

Uri Avnery
Quelle: http://www.arabnews.com
 
Dabei war es zunächst ganz anders: 1923 als Heinz Ostermann in Beckum geboren und 1933 mit seinen Eltern wegen der Nazis ins heutige Israel ausgewandert, trat er als Vierzehnjähriger dem Irgun, einer zionistischen Untergrundorganisation bei, die gegen die britische Besatzung und die Araber kämpfte. Die Irgun verübte mehrere Terroranschläge, z.B. auf arabischen Märkten, weltweit bekannt wurde ihr Anschlag auf das King David Hotel, wobei mehr als 70 Menschen getötet wurden. 1942 verließ er diese Organisation. Er setzte sich für die Gleichberechtigung der Araber ein. 1948 trat er freiwillig in die Armee ein und kämpfte mit einer Spezialeinheit für die Unabhängigkeit. Er wurde schwer verwundet. Da wurde ihm erst bewusst, was die Armee tat.
 
Nach seiner Genesung wurde er zu einem der größten Friedensaktivisten unserer Zeit. Als Journalist und Publizist kaufte er die Wochenzeitung, HaOlam Hase ("Diese Welt“), in der er vor allem Ben Gurion nicht nur kritisierte, sondern scharf angriff. Er verabscheute dessen Sozialpolitik und seine Politik gegenüber den Arabern und plädierte für die Trennung von Religion und Staat. Daraufhin wurden Anschläge auf ihn verübt. Er gründete eine Partei und war von 1965 – 1973 und 1977 – 1981 Parlamentsmitglied der Knesset. Auch diese Position nutzte er für seinen Kampf um Gerechtigkeit und für einen Schlagabtausch mit Ben Gurion. Er hielt über tausend Reden und setzte einige Veränderungen durch.
 
1982 fuhr er über die Front in den Libanon nach Beirut und traf dort als erster Israeli Yassir Arafat, weshalb er in Israel als Hochverräter galt. Schon bald merkte er, dass Arafat, genau wie er selbst inzwischen, eine Zweistaatenlösung mit dem Ziel einer Wirtschaftsunion zwischen Israel, Jordanien, Ägypten, Libanon und „Palästina“ vor Augen hatte. Der einstige Feind wurde zum Freund, was sein Buch "Mein Freund, der Feind" bezeugt.
 
Bereits lange vor dem Oslo-Abkommen im Jahre 1993 hatte Uri Avnery mit einigen anderen Israelis einen Friedensplan ausgearbeitet. Eigentlich hätte man ihn nach Oslo zu den Verhandlungen schicken sollen. Eigentlich hätte er den Friedensnobelpreis verdient, denn er hat die ersten Kontakte zur PLO geknüpft und seit dem Treffen mit Arafat vertieft. Aber keine seiner Bemühungen, keiner seiner Vorschläge wurde angenommen. Aufgrund der Oslo-Abkommen schöpfte er wieder neue Hoffnung, die jedoch 1995 mit der Ermordung von Ministerpräsident Jitzchak Rabin auf einer großen Friedenskundgebung durch einen jüdischen Terroristen jäh zerschlagen wurde.
 
1993 gründete Avnery mit Rachel, die seit 1953 als Ehefrau stets an seiner Seite war, den israelischen Friedensblock Gush Shalom.
 

Nach einem israelischen Angriff auf ein
palästinensisches Dorf
NRhZ-Archiv
Uri Avnery ist ein Augenzeuge. Wenn man seine Bücher liest, erkennt man, wie viel Blutvergießen und Leid man beiden Völkern hätte ersparen können, wenn man seinen Rat und seine Erfahrungen berücksichtigt hätte. Als er fürchtete, dass der spätere Ministerpräsident Ariel Sharon Arafat töten lassen wollte, zogen er, seine Frau Rachel und andere israeli- sche Friedensaktivisten als Schutzschilder in die Mukata, Arafats Sitz, ein. „Wir hörten, wie die Kugeln einschlugen, die Panzer kamen immer näher...“, schildert er die Situation. Diesen Anschlag auf ihn konnten sie verhindern, aber nicht seinen späteren Tod. Uri Avnery ist fest davon überzeugt, dass sein Freund Arafat vergiftet wurde, denn er war Stunden zuvor noch bei ihm. Da hatte dieser keinerlei Beschwerden.
 
Ohnmächtig musste er (und muss er noch heute) mit ansehen, wie eine Zweistaatenlösung aufgrund der zersiedelten Gebiete immer schwieriger zu realisieren ist, obwohl diese seit langem sowohl von der UN als auch von der Internationalen Gemeinschaft als einzige Lösung betont wird. Seit Oslo hat sich die Situation der Palästinenser immer mehr verschlechtert. Der Zaun, bzw. die 8 Meter hohe Mauer, wächst ständig. Die Lebensbedingungen der Palästinenser im Gazastreifen bleiben katastrophal, auch wenn keine Raketen auf Israel abgefeuert werden. Uri Avnery schreibt dazu in seinem Artikel über die Hamas, zu der er auch Kontakte geknüpft hatte: „Frieden schließt man mit Feinden, nicht mit Freunden.“
 
Von den derzeitig begonnenen Friedensverhandlungen erhofft er sich nur dann etwas, wenn die USA als ehrlicher Vermittler auftrieten und nicht Israel einseitig unterstützen. Er warnt vor einem erneuten Zwischenabkommen. „Eine Einigung bei den Kernfragen ist unerlässlich. Das war der fatale Fehler bei dem Oslo-Abkommen. Bei jeder Übergangsmaßnahme gab es neue Streitigkeiten. Während der endlosen Streitigkeiten um „einen sicheren Übergang“ zwischen der Westbank und dem Gazastreifen (…), gab Oslo seine arme Seele auf.“(siehe:"Der Truthahn unter dem Tisch“)
 
Trotz aller bisherigen Rückschläge im Friedensprozess hat Uri Avnery bis heute seinen Optimismus bewahrt. Er lobt die Haltung der EU und die neuen Richtlinien, die besagen, dass israelische Firmen und Institute, die in irgendeiner Form in Verbindung mit Gebieten stehen, die Israel seit 1967 besetzt, keine Förderinstrumente der EU in Anspruch nehmen können. Ab Januar 2014 sollen sie in Kraft treten. Aber er ist sich auch bewusst, dass die israelische Regierung und ihre Lobbyisten auf die EU massiven Druck ausüben werden, um das Inkrafttreten dieser Bestimmung zu verhindern. Die ersten Versuche hätten bereits stattgefunden. Deshalb hat er mit Gush Shalom gemeinsam einen Brief an die EU-Außenminister und -Vertreter gesandt, um ihnen den Rücken zu stärken und sich für die Richtlinien zu bedanken.
 
Bis zu ihrem Tod im Jahre 2011 stand seine Frau Rachel stets an seiner Seite. Trotz dieses schmerzlichen Verlustes setzte er seinen friedlichen Kampf für Frieden und Gerechtigkeit fort. Er ist ein Mensch, der sich durch nichts und niemanden von seinem Ziel abbringen lässt, der einen unerschütterlichen Optimismus besitzt, dem nichts zu schwer und nichts zu viel ist, der nichts und niemanden fürchtet. Chapeau!
 
Er ist ein Vorbild für alle, die sich für Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Für diesen Einsatz erhielt er viele Preise, u. a. 1997 den Aachener Friedenspreis, 2001 den Alternativen Nobelpreis, 2002 den Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg. Und wenn jemand den Friedensnobelpreis verdient hat, dann sicherlich er.
 
Uri Avnery hat zahlreiche Schriften und Bücher veröffentlicht. Die neuesten: "Ein Leben für den Frieden“ und "Von Gaza nach Beirut – Israelisches Tagebuch“. Sein Buch "Zwei Völker – Zwei Staaten“ aus dem Jahre 1995 ist heute wieder aktuell. Zurzeit schreibt er an einem neuen Buch. Danken wir ihm für seinen Einsatz und wünschen ihm, dass er noch viele Jahre so fit und gesund bleibt wie heute und noch viele Artikel, Schriften und Bücher veröffentlichen kann. „Ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ist möglich“, sagt er. Hoffen wir, dass diese Hoffnung sich endlich erfüllt.
 
Für mich ist es eine Ehre, seine Artikel, die regelmäßig auch in der NRhZ veröffentlicht werden, zu übersetzen, wenn Ellen Rohlfs, die mit ihm seit langen Jahren befreundet und seine Übersetzerin ist und die selbst den alternativen Nobelpreis erhalten und Bücher veröffentlicht hat, ausfällt. (PK)
 
Inga Gelsdorf ist Aktivistin für Gerechtigkeit und Frieden in Israel-Palästina. 
 


Online-Flyer Nr. 424  vom 18.09.2013

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