NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

zurück  
Druckversion

Sport
Brisante Doping-Studie der Humboldt-Universität am Montag als Buch erschienen
Siegen um jeden Preis
Von Bernd J.R. Henke und Johann Blaha

Zeitgleich zur 82. Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, der am Montag im Maria-Lüders-Haus am Schiffbauerdamm in Berlin tagte, erschien im renommierten Göttinger Sportbuchverlag "Die Werkstatt" die vieldiskutierte brisante Doping-Studie der Berliner Humboldt-Universität. Der Dopingforscher Werner Franke betonte in einem ersten Statement: „Das deutsche Volk hat diese Studie jetzt anscheinend gebraucht, um aufgerüttelt zu werden.“
 

Gekürzte aber hoch interessante
Fassung der Dopingstudie
Foto: Verlag "Die Werkstatt", Göttingen
Nachdem die mit öffentlichen Mitteln finanzierte Studie zunächst nicht erscheinen durfte, erzwangen Berichte der "Süddeutschen Zeitung" vor wenigen Wochen die Veröffentlichung einer stark gekürzten Fassung im Internet, die auf der Homepage des Auftraggebers der Studie - dem Bundesinstitut für Sport (BISp) - zu lesen war. Professor Gerhard Treutlein, der ehemalige Leiter des Zentrums für Dopingprävention der PH Heidelberg, sprach als Einzelsachverständiger vor. Der Sportausschuss befasste sich in öffentlicher Sitzung mit dem Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“. Es berichteten neben dem Doping-Experten Treutlein Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA).
 
Sichtbar und nachvollziehbar
 
Das 448 Seiten umfassende Buch informiert insbesondere über die Geschichte, Recht und Ethik der Zeit von 1972 - 1990. Mit der Langfassung kann nach Meinung des Verlages die interessierte Öffentlichkeit das zentrale Ergebnis der Doping-Studie sichtbar besser nachvollziehen. "Im Buch könne das Team um den Sporthistoriker und Doping-Fachmann Giselher Spitzer für die 70er und 80er Jahre nachweisen, dass führende Sportfunktionäre wie Willi Daume, früherer Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), und August Kirsch, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), gut informiert gewesen seien über die Dopingpraxis, die auch damals schon gegen Verbandsregeln verstoßen und die Gesundheit der Sportler gefährdet habe", so die Information des Verlages.
 
Steuergelder
 
Brisant seien ebenso die Enthüllungen über die führenden Institute der Sportmedizin, die sich intensiv der Dopingforschung widmeten und deren Ergebnisse, unter Missachtung ärztlicher Ethik, für die Anwendung im Spitzensport nutzbar machten. Finanziert wurde diese Forschung zum Teil mit Mitteln des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, mithin aus Steuergeldern. Das im gesamten historischen Ablauf involvierte Bundesinstitut (BISp) hatte paralell zum Buch und zur Anhörung in der Sondersitzung des Sportausschusses eine erklärende umfassende Projektbewertung zum Forschungsprojekt "Doping in Deutschland" im Laufe der letzten Woche veröffentlicht. Dabei wurde auf die Zielsetzungen, die Genese und das Studiendesign des Forschungsprojektes eingegangen, Aspekte der Projektsteuerung beschrieben sowie eine Projektbewertung mit einem abschließenden Fazit vorgenommen. Neben den während der Projektlaufzeit erfolgten zahlreichen Transferaktivitäten des BISp zum Projekt (zum Beispiel Pressekonferenzen) soll hiermit ein weiterer Beitrag zur Transparenz in dem Projekt "Doping in Deutschland" geleistet werden.
 
Stotternder Kandidat 
 
Die frühere Leichtathletik Olympiasiegerin in der 4x100 Meter Staffel der Frauen, Ingrid Mickler-Becker, äußerte sich in einem aktuellen Interview des Berliner Tagesspiegel, dass sie entsetzt gewesen sei, als der Sportwissentschaftler Professor Spitzer sich öffentlich im Fernsehen geäußert hatte. "Er (Spitzer) sprach von flächendeckendem Doping in der Bundesrepublik. Dabei ist das doch gar nicht durch die Studie gedeckt. Da hätte doch auch Herr Bach auf die Barrikaden steigen müssen, aber ich habe bisher nur etwas Stotterndes von ihm vernommen, er habe nicht viel von Doping gewusst. Das dürfte seiner Kandidatur für die IOC-Präsidentschaft geschuldet sein", so die heute 70-jährige Ingrid Mickler-Becker, die nach ihrer Karriere als Gymnasiallehrerin arbeitete. 2003 wurde Spitzer für sein Engagement bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung des flächendeckenden Dopings in der ehemaligen DDR mit der Heidi-Krieger-Medaille ausgezeichnet
 
Die ehemalige Beamtin im NRW Schuldienst ist ein Beleg dafür, dass im Mainstream der Gesellschaft zwar die staatliche Dopingkultur der ehemaligen DDR thematisiert wurde, aber eine ernsthafte Auseinandersetzung über die westdeutsche Dopingpraxis immer noch relativiert wird. Die integere Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker gehörte mit Sicherheit nicht zu den schwarzen Schafen, das sei hier angemerkt. Sie steht aber in ihrer leisen Kritik am deutschen IOC-Kandidaten Thomas Bach für eine gewisse Anpassung an die einflußreicheren politisch gut vernetzten Karrierefunktionäre des deutschen Sportes.
 
Der DOSB Präsident, IOC-Vizepräsident und Fechtolympiasieger 1976 von Montreal schickt sich zurzeit an, auf der Weltbühne des Sportes die Nummer Eins zu werden. Thomas Bach wurde in der montäglichen Sondersitzung des Deutschen Sportausschusses von DOSB-Generalsekretär Michael Vesper vertreten, da er sich auf dem Weg nach Rio de Janeiro befindet, wo in einer Woche die Wahl zum Nachfolger von IOC-Präsident Rogge ausgetragen wird. Dass zur aktiven Zeit von Bach das Doping im Olympiazentrum der Fechter in Tauberbischofsheim nicht gerade unbekannt war, sei ebenfalls angemerkt.
 
Anti-Doping-Gesetz
 
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte während der Sondersitzung ein Expertengespräch über ein Anti-Doping-Gesetz nach der Bundestagswahl an. Er terminierte sein Vorhaben auf den Donnerstag nach der Wahl. „Ich bin für alle Argumente offen. Wenn Ermittler sagen, wir brauchen im Anti-Doping-Kampf neue Vorschriften, müssen wir das aufnehmen“, sagte der Minister. Ob das Statement des Ministers reiner Wahlkampf war, werden wir spätestens dann erfahren, wenn er denn wiedergewählt als Minister irgendeiner neuen Koalitionsregierung verfügbar wäre.
 
Drehbuchreif
 
Sein Hinweis, dass er in den kommenden Monaten auch das Gespräch mit den Justizministern der Länder zu einem möglichen Anti-Doping-Gesetz suchen möchte, liegt wohl nicht in seiner Hand. Konkret sieht Wahlkämpfer Friedrich ein Problem in der Vereinbarkeit der Parallelität von Sport- und Strafgerichtsbarkeit. „Wir müssen aufpassen, dass das strafrechtliche Verfahren nicht die schnelle Reaktionsfähigkeit der Sportgerichtsbarkeit aushebelt“, sagte er. „Die Studie entwirft ein Szenario, dessen Dichte und Plausibilität Drehbuchreife besitzt", lautet die spontane Reaktion der Süddeutschen Zeitung.
 
Für unsere interessierten Leserinnen und Leser veröffentlichen wir im Folgenden das uns vom Verlag zur Verfügung gestellte Inhaltsverzeichnis des Buches, welches schon fast einem Drehbuch gleicht:
 
Doping 1972–1990: Einführung … 7
1 Projektauftrag, Forschungsstand und methodisches Vorgehen … 8
2 Kurzgefasste Ergebnisse der ersten Projektphase 1950–1972 … 11
3 Veröffentlichungen zu den geleisteten Arbeiten … 13
4 Rezeption der öffentlichen Präsentationen und der Fund von Originalunterlagen … 15
5 Literatur … 19
 
Dopingsanktionen bis 1977 – das Exempel DLV … 23
1 Vorbemerkung … 24
2 Rechtliche Voraussetzungen … 24
3 Umsetzung … 27
4 Resümee … 34
5 Quellen und Literatur … 37
 
Die „Kolbe-Spritze“ als Auslöser der Dopingdebatte in der Bundesrepublik Deutschland … 39
1 Vorbemerkung … 40
2 Genese und Vorbereitung des Berolase-Thioctacid-Projektes … 41
3 Die Kolbe-Spritze in Montreal … 48
4 Reaktionen nach Montreal … 50
5 Konsequenzen … 59
6 Resümee … 61
7 Quellen und Literatur … 63
 
Anabolika im bundesdeutschen Leistungssport vor der Grundsatzerklärung 1977 … 65
1 Vorbemerkung … 66
2 Die Anabolika-Forschung bis 1977 … 67
3 Anabolika in der sportmedizinischen Forschung bis 1977 … 68
4 Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft … 82
5 Sportverbände und Anabolika … 106
6 Trainer und Anabolika … 119
7 Sportler/Sportarten und Anabolika … 125
8 Anabolika in der öffentlichen Debatte bis 1976 … 134
9 Resümee … 142
10 Quellen und Literatur … 148
 
Das BISp-Forschungsprojekt „Regeneration und Testosteron“, 1985–1993 … 155
1 Problemstellung: die besondere Rolle des Testosterons seit Verbesserung des Testverfahrens auf Anabolika … 156
2 Testosteron und Testosteronforschung im Sport vor 1985 … 158
3 Die Genese des Projektes „Regeneration und Testosteron“ … 173
4 Die Studie „Regeneration und Testosteron“ … 188
5 Die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion 1991 … 223
6 Resümee und Bewertung … 244
7. Quellen und Literatur … 254
 
Die ethische Problematik des Dopings: von der „Kolbe-Spritze“ über die Grundsatzerklärung bis zu den BISp-finanzierten Anabolika- und Testosteronstudien … 259
1 Die Bedeutung der „Kolbe-Spritze“ für die normative Dopingdiskussion … 260
2 Übergang: die BISp-geförderten Anabolika-Studien … 268
3 Die „Grundsatzerklärung für den Spitzensport“ von 1977 … 271
4 Die Empfehlungen des DSÄB zur Neufassung der „Rahmenrichtlinien zur
Bekämpfung des Dopings“ … 297
5 Von der ersten bis zur zweiten „Grundsatzerklärung für den Spitzensport“ … 303
6 Die BISp-geförderte Studie „Regeneration und Testosteron“ … 327
7 Zusammenfassung: die Hauptergebnisse … 353
8 Quellen und Literatur … 355
 
Doping von 1972 bis 1990 – Eine rechtshistorische Stellungnahme … 359
1 Einleitung … 360
2 Die „Kolbe-Spritze“ … 360
3 Anabolika-Doping … 373
4 Resümee … 395
5 Quellen und Literatur … 396
 
Doping 1972–1990: Desiderata … 399
1 Desiderata … 400
2 Dopinganalytik … 409
3 Quellen und Literatur … 424
 
Überblick über die Ergebnisse zum Doping in Deutschland 1972–1990 … 429
1 Die öffentliche Anabolika-Debatte bis 1976 … 430
2 Anabolikaeinsatz als Trainingsmittel … 433
3 „Kolbe-Spritze“ und Anabolika-Missbrauch aus interdisziplinärer Sicht … 434
4 Grundsatzerklärung und Rahmenrichtlinien … 437
5 Die Jahre zwischen 1977 und 1990 … 439
6 Ergebnisse: Doping in der Bundesrepublik Deutschland 1972–1990 … 443
7 Ausblick: riskanter Gebrauch von Rauschmitteln und fehlende Meldepflicht abhängig beschäftigter Ärzte … 445
8 Schluss … 446
9 Quellen und Literatur … 446
 
Die vollständige Fassung der Untersuchung von Giselher Spitzer, Erik Eggers u.a. ist soeben im Lager des Verlags in Rastede eingetroffen. Direktbestellungen beim Verlag werden sofort bedient, im Handel wird das Buch in einigen Tagen verfügbar sein.
Vorbestellungen über                                                                                               info@werkstatt-auslieferung.de / Telefon 04402-92630 / Telefax 04402-926350
 
Die Stellungnahme des Bundesinstituts für Sport (BISp) wurde am 27. August 2013 auf die Homepage gesetzt, also knapp eine Woche vor der Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. Die Stellungnahme behandelt aus der Sicht des BISp die Problematik zwischen dem Auftraggeber der Studie und den beauftragten Forschern.
http://www.bisp.de/cln_350/nn_15924/SharedDocs/Downloads/Aktuelles/Stellungnahme__BISp__DiD__2013__27__08,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Stellungnahme_BISp_DiD_2013_27_08.pdf
 


Online-Flyer Nr. 422  vom 04.09.2013

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE