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Lokales
Gravierender Fehler bei der Standortzulassung eines Werks in Mülheim - Teil 1
Die Fallwerk-Saga
Von Lothar Reinhard

Es gibt schwerwiegende städtebauliche Fehler, die irgendwann aber auch korrigiert werden müssen, um sinnvollere Möglichkeiten der Stadtentwicklung nicht auf weitere Zukunft zu blockieren. Ein solches Urururalt-Problem ist der Standort des sogenannten „Fallwerk Jost“ an der Weseler Straße, richtiger des schrottverarbeitenden Betriebes am Rande der Wohnbebauung Hofackers- und Eltener Straße in Mülheim-Speldorf.
 

Fallwerk Jost
Quelle: MBI
Seit 55 Jahren bearbeitet das Werk nicht nur Schrotte aller Art und Größe (inkl. u.a. Brückenteile, Lokomotiven u.ä.) mit unterschiedlichen Methoden und unter freiem Himmel. Es erzeugte seit Anbeginn auch eine weltrekordverdächtige Lawine von Protesten und Beschwerden wegen Höllenlärms, unzumutbaren Erschütterungen und Belastung von Luft und Boden mit Giftstoffen. Fragt man z.B. den vor 10 Jahren altersbedingt bereits pensionierten ehemaligen Jugendamtsleiter (dem sicherlich niemand MBI-Nähe unterstellen wird), so wird er ausführlich berichten, wie schon sein Vater als seinerzeitiger Vorsitzender des Speldorfer Bürgervereins Ende der 50iger Jahre heftig gegen dieses Werk protestierte und Beschwerden verschickte - vergebens wie viele zig-tausende in den folgenden Jahrzehnten bis heute. Dabei hätte es seit Anbeginn bis heute immer Ansatzpunkte für die Behörden von Stadt und Land gegeben, die massiven Beeinträchtigungen von Bevölkerung und Umwelt zumindest deutlich zu reduzieren, so man denn gewollt hätte. Im Folgenden einige Beispiele:
 
Bedenkliche ursprüngliche Genehmigung
 
Das Schrottwerk Weseler Str. ist das einzige uns bekannte Hammer- oder Fallwerk (= Zertrümmern von Schrott durch Herunterfallen schwerer Eisenkugeln aus großer Höhe) in ganz Deutschland, das am Rande von Wohngebieten zugelassen wurde. Warum gerade in Speldorf, s.u.. Weil dies bedenklich war, gab es auch keine einfache Genehmigung. Nur einer von 2 Falltürmen sollte probehalber betrieben werden, und ein Gutachten sollte dann klären, ob und wie dieser weiter arbeiten dürfe und ob ein zweiter zugelassen werde. Das erfuhr die Bürgerinitiative erstmals in den 90er Jahren nach einer Akteneinsicht in die Genehmigungsunterlagen. Das geforderte Gutachten war nicht in den Unterlagen und beide Falltürme arbeiteten von Beginn an bis letztes Jahr unbehelligt von Beschränkungen o.ä.. Die Behörden argumentierten bei jeder Beschwerde mit Bestandsschutz, obwohl der ursprüngliche Bestand in dem Ausmaße alles andere als sauber zustande kam.
 
Haarsträubende Berechnungen zu den unzumutbaren Lärmbelästigungen
 
Das letzte der BI bekannte Lärmgutachten zum Fallwerk Jost wurde Ende der 90er von der damals zuständigen STUA (Staatl. Umweltamt) in Duisburg erstellt. Das kam zum Gesamtergebnis einer zulässigen Lärmbelastung durch folgende Rechenkünste: Das Wohngebiet Hofackerstr. wurde als Mischgebiet bewertet, womit die Grenzwerte deutlich erhöht wurden. Dann wurde bei zugelassener Arbeitszeit des Werks von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends festgestellt, dass das Werk nur von 7 bis 7 arbeite und entsprechend subtrahierte man vom Dauerpegel den Wert für 3 von 15 nicht genutzten Stunden. Weil das den sog. Dauerlärmpegel immer noch nicht unter den MI-Grenzwert brachte, subtrahierte man weitere 5 dBA wegen „Messungenauigkeit“ zugunsten des Werks (dBA sind übrigens logarithmisch, nicht linear, 5 dBA also keine Restgröße!). Damit waren die Grenzwerte unterboten und alles „zulässig“. Dass in den 90ern bereits bekannt war, dass Impulslärm wie z.B. von den Falltürmen nicht wie Dauerlärm behandelt werden darf, berücksichtigte die STUA bei ihrem Lärmgutachten überhaupt nicht.
 
Auch warum just dieses lärmintensive Werk in dem breit angelegten Lärmminderungsplan der Stadt Mülheim aus 2011 gänzlich ausgespart wurde, konnte bis heute nicht nachvollziehbar begründet werden.
 
Unerträgliche Erschütterungen über den zulässigen Werten
 
Die Erschütterungsmessungen Anfang des neuen Jahrtausends hatten dagegen Werte ergeben, die insgesamt eindeutig über dem Zulässigen lagen. Da der Betrieb sich auf keine Zugeständnisse einließ, eröffnete der Regierungspräsident als nun zuständige Behörde ein Gerichtsverfahren, scheiterte dort aber etwas kläglich, weil anscheinend nicht gründlich genug vorbereitet.
 
Woanders nicht genehmigt, in Mülheim zugelassen: z.B. Falltürme
 
Die Dortmunder schrottverarbeitende RRD (hauptsächlich Tochter des Stahlimperiums von ex-RWE-Chef Großmann) wollte in Dortmund Falltürme errichten auf ihrem Gelände im Hafen neben der skandalträchtigen Envio. Als die Falltürme nicht genehmigt wurden, mietete die RRD die Türme auf dem Jostschen Werk an. RRD war seltsamerweise als Mieter mit von der Partie, als der RP 2011 den Vertrag mit der Fa. Jost (und der RRD!) unterzeichnete - zur „Durchführung von Vorsorgemaßnahmen zur Anpassung der Anlage an den Stand der Technik“. 1 Jahr später verabschiedete sich RRD ganz von den Mülheimer Falltürmen, warum auch immer. Diese sind seither vorerst, möglicherweise aber nur vorübergehend stillgelegt.
 
Woanders nicht genehmigt, in Mülheim auch ohne Genehmigung installiert
 
Die sehr deutlich leistungsstärkere Schrottschere, um deren Genehmigung es u.a. beim laufenden Verfahren geht, sollte unseres Wissens eigentlich in dem Jostschen Schrottwerk in Herne aufgebaut werden. Nachdem der dort zuständige RP (wahrscheinlich Arnsberg) dies nicht genehmigt hatte, wurde sie 2007 in Mülheim anstelle der kleineren alten aufgestellt, aber ohne eine Genehmigung auch nur zu beantragen. Das Typenschild der alten wurde auf die neue montiert und keiner schien etwas zu bemerken.
 
Bodenbelastungen im der Wasserschutzzone IIIa: Verharmlost, vertuscht?
 
Nachdem ca. 1990 die aufgestellten Schilder „Wasserschutzzone“ deutlich machten, dass das Fallwerk Jost eindeutig innerhalb derselben lag, kamen erste Fragen nach Alt- und Neulasten dort auf. Schließlich wurden dort über Jahrzehnte auf unbefestigtem Boden und an der freien Luft Legierungen aller Art mit Schweißen, Brennen, Zerschneiden, Zerdeppern usw. bearbeitet. Erste Bodenproben der ans Werk grenzenden Gärten zeigten deutlich überhöhte Schwermetallbelastungen, weit höher als an der westlich gelegenen Hansastr., was die städtische Behauptung widerlegte, alles käme per Westwind aus Duisburg. Auch in Nutzpflanzen und -tieren wurden überhöhte Werte festgestellt. In Bodenproben vom Werksgelände selbst wurden dann besorgniserregende Belastungen insbesondere von Blei und Cadmium nachgewiesen. Die untere Wasserbehörde versuchte noch, mit Wasserproben und ungeeigneten Schlussfolgerungen das Werk zu entlasten. Doch weder waren die Messstellen dazu richtig ausgewählt, noch waren die Schlussfolgerungen schlüssig oder nachvollziehbar, und so verschwand auch dieses untaugliche Gutachten schnell wieder in der Versenkung. Der Rat beschloss 1992 einstimmig, das Werk zu verlagern. Der damalige Speldorfer NRW-Wirtschaftsminister Hombach, nebenbei auch Vorsitzender der SPD Speldorf, verkündete später, er habe zur Verlagerung nur 1 Mio. DM auftreiben können, was nicht ausreiche.
 

 
Bei den Kommunalwahlen 94 erlebte die SPD einen Einbruch und die Grünen erzielten in Speldorf mit 14,6% ein Spitzenergebnis, u.a. wegen der Fallwerkproble-matik. Bevor sich in Mülheim als erster deutscher Großstadt ein schwarz-grünes Bündnis konstituieren konnte, trat Hombach zusammen mit dem damaligen RP Büssow vor die Presse und beide verkündeten, mit 400.000 DM Landesgeldern ein Gutachten für das ganze Hafengebiet zu finanzieren, nicht zuletzt um die Fallwerkproblematik zu lösen. Damit war dann Jahre Ruhe zur Wasserschutzproblematik, weil immer auf das ausstehende Gutachten verwiesen wurde. Als es endlich fertig war, blieb es unter Verschluss, so dass erst eine Akteneinsicht in die 15 dicken Aktenordner vor allem eines offenbarte: Das Hafengebiet war flächendeckend untersucht, das Fallwerkgelände aber ausgespart worden!
 
Einzelne Vorstöße der BI brachten noch die Zusage des Umweltamtsleiters, dem Werk mehr versiegelte Fläche und einen Ölabscheider (90er Jahre!) verordnet zu haben. Was wirklich umgesetzt wurde, konnte nicht mehr überprüft werden, da das Werk eine hohe Sichtschutzwand zu den Anwohnern errichtet hatte und alle Versuche einer Werksbesichtigung stets strikt ablehnte. Zwischenzeitlich hatte es noch ein Schreiben des Umweltamts an die Anwohner gegeben, bestimmte Nutzpflanzen aus ihren Gärten nicht zu verzehren, ferner Empfehlungen für schadstoffreduzierende Düngemittel. Ansonsten aber wurde die sensible Wasserschutzproblematik durch das o.g. Gutachten, durch Aussitzen und Totschweigen nahezu völlig aus der Diskussion gebracht.
 
Staubmessungen seit 2002 mit bedenklich hohen Schadstoffwerten
 
Erst im Zusammenhang mit der Diskussion um die illegal aufgestellte, viel leistungsstärkere Schrottschere kam eine Problematik ans Licht, von der bis 2010/11 weder in der Mülheimer Politik, noch unter der an das Fallwerk angrenzenden Wohnbevölkerung irgendjemand wusste. Seit 2002 werden u.a. wegen neuer EU-Bestimmungen regelmäßig Staubmessungen auch im Mülheimer Hafen und rund um das Fallwerk Jost durchgeführt. Dabei lagen die Schwermetallbellastungen, insbesondere Nickel, aber auch Chrom, Blei u.a., bei der Messstelle Weseler Str. immer in der „Spitzen“gruppe, häufig auch auf Platz 1 im gesamten RP-Bezirk. Weder die Wasserberieselung, noch die Stilllegung der Falltürme, wie vom RP erhofft, aber von der Sache her unwahrscheinlich, konnten einschneidende Verbesserungen bewirken.
 
Verlagerung des massiv störenden Schrottwerks einzig verträgliche Lösung!
 
Auch die zuletzt am preisgekrönten Kinderspielplatz am Fallwerksrand festgestellten besorgniserregenden Giftstäube bezeugen den akuten Handlungsbedarf, und der kann insgesamt bei der Menge von Problempunkten nur eine Verlagerung dieses an dem Standort völlig unpässlichen Werks bedeuten! Dafür aber müssen Stadt, Land und Werksinhaber dies auch alle wollen und gemeinsam angehen! Der MBI-Antrag, u.a. auch wegen der Nähe zur zukünftigen FH in Broich, die Verlagerung auch aus städtebaulichen Gründen zur obersten Priorität zu machen, bietet neben der Beendigung der diversen o.g. Probleme auch eine große Chance, für Speldorf und z.T. Broich Möglichkeiten einer besseren Stadtteilentwicklung zu eröffnen.
 
Warum das insbesondere für Speldorf überfällig ist, können Sie in „Teil 2 der Fallwerk-Saga“ oder „Warum eine derartig krasse Fehlentscheidung wie der Fallwerk-Standort Weseler Str. möglich war und über Jahrzehnte nicht korrigiert wurde“, lesen. In dem wird dargestellt, auf welchem Hintergrund und mit welchen gescheiterten Zielen von Stadtentwicklung das überhaupt möglich war. Also: Fortsetzung folgt… (PK)
 
Lothar Reinhard ist Fraktionsvorsitzender der Mülheimer BürgerInitiativen im Stadtrat.
 


Online-Flyer Nr. 421  vom 28.08.2013

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