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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Globales
Deutschland muss den Asylantrag von Edward Snowden annehmen
Whistleblower sind Helden
Von Jana Muschalik

Edward Snowden sitzt derzeit isoliert und ohne gültigen Pass im Transitraum des Moskauer Flughafens Scheremetjewo. Das Zimmer im Transithotel ist stickig. Er darf es nicht verlassen, mit Ausnahme eines kurzen Spazierganges im bewachten Flur. Seinen Job hat er mittlerweile verloren. Seinen 30. Geburtstag hat er am 21. Juni gehetzt und fernab von Familie und Freundin allein verbracht. Er wird als Staatsfeind Nr. 1 vom mächtigsten Staat der Welt gejagt. Und er wird im Stich gelassen von den anderen Staaten, die von seinen Informationen über den Überwachungswahn der USA profitieren. Asyl hat er bisher von keinem dieser Staaten angeboten bekommen.
 

Whistleblowing - eine Alternative
zum Schweigen
Aktueller Hintergrund
 
Am 20. Mai 2013 flog der 30-jährige IT-Experte von Hawaii nach Hongkong mit hochbrisanten und geheimen Unterlagen des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA. Fast 10 Jahre hatte er für NSA gearbeitet. Er weiß, dass die USA alles daran setzen werden, ihn für seine Enthüllungen zu bestrafen. Schließlich hat er öffentlich gemacht, dass die NSA die Bürgerinnen und Bürger auch befreundeter Staaten kompromisslos abhört und in ihren Machtzentralen Wanzen versteckt. Allein in Deutschland hat die FSA monatlich 500.000.000 Telefonate, E-Mails, SMS oder Chatbeiträge überwacht, systematisch kontrolliert und gespeichert. Heraus kam auch, dass die NSA Computersysteme von Partnerländern infiltriert und den größten Gipfel der Industrieländer – den G20-Gipfel – ausspioniert hat. „Was sie tun, stellt eine existenzielle Bedrohung der Demokratie dar“, erklärte Snowden den Grund für seine Veröffentlichungen. Ihm gehe es um Transparenz, Internetfreiheit und die Grundrechte von Menschen. Menschen zu schaden, sei nicht sein Ziel.
 
Whistleblowing ist bedeutsam für unsere Gesellschaft
 
Whistleblower sind Helden. Es sind Menschen, die ihre eigene Existenz aufs Spiel setzen, um andere Menschen oder unsere Gesellschaft zu schützen. Das Engagement von Whistleblowern ist extrem wichtig für eine Gesellschaft. Sie enthüllen interne Machenschaften, die sonst verborgen blieben. Sie schützen unsere Gesundheit und Umwelt. Sie decken Korruption, Steuerhinterziehung oder Verstöße gegen Gesetze auf. Sie weisen auf Risiken und nicht tolerierbare Gefahren hin. Wie viel Schaden könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Einzelnen und der Gesellschaft abwenden, wenn sie sich rechtzeitig an die Öffentlichkeit wenden würden. Ein Hinweis eines Mitarbeiters der Genehmigungsgruppe hätte die aberwitzigen Plänen des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland (CDU) aufdecken und 21 Menschen bei der Loveparade 2010 retten können. 12 Kinder könnten noch leben, wenn die Einsturzgefahr der Eislaufhalle in Bad Reichenhall 2006 öffentlich gemacht worden wäre. Die völkerrechtswidrige Invasion in den Irak 2003 mit einer Million toten Irakern hätte nie stattgefunden, wenn Eingeweihte die absichtliche Irreführung der Weltgemeinschaft seitens der USA öffentlich gemacht hätten. Der Mut von Whistleblowern ist für jede Gesellschaft überlebensnotwendig.


Edward Snowden
Quelle: NRhZ - Archiv
 
Deswegen stellt sich die Frage, warum Edward Snowden bisher durch keinen demokratischen Staat geschützt und unterstützt wird. Schließlich hat er das getan, was alle Welt ständig einfordert. Er hat Zivilcourage gezeigt und aus Gewissensgründen gehandelt. Er hat unsere Freiheit und Demokratie verteidigt. Dafür hat er sein komfortables Leben auf der Sonneninsel Hawaii aufgegeben. Er hat sein Jahresgehalt von 200.000 Dollar geopfert und seinen Job verloren. Er hat seine Freiheit eingebüßt und muss Repressalien gegen Freunde und Familie fürchten. Wird er gefasst, droht ihm das Schicksal von Bradley Manning - lebenslange Freiheitsstrafe. Manning hatte Videoaufnahmen des  Beschusses und Todes irakischer Zivilisten und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber am 12. Juli 2007 in Bagdad (1) über Wikileaks öffentlich gemacht.

Bradley Manning war Angehöriger der US-Streitkräfte, wurde im Mai 2010 unter dem Verdacht verhaftet, Videos und Dokumente kopiert und WikiLeaks zugespielt zu haben.
Quelle: wikipedia
 
Die Situation für Whistleblower ist extrem schwierig. Oft verlieren sie nicht nur ihren Arbeitsplatz und damit ihre finanzielle Existenzgrundlage. Oft geht der Veröffentlichung ein langer Prozess und Leidensweg voraus. Interne Mahnungen werden nicht gehört. Ein Ohnmachtsgefühl schleicht sich ein. Zu oft werden sie auch krank, wie es dem LKW-Fahrer Miroslaw Strecker 2007 erging, nachdem er einen der größten Gammelfleisch-Skandale in Deutschlands aufgedeckt hatte. Elf Tonnen Fleischabfälle wurden von Tierfutter in Döner-Fleisch umetikettiert. Für seinen Einsatz erhielt er vom damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer die Goldene Plakette für Zivilcourage. Von seinem Arbeitgeber wird er daraufhin gemobbt. Er wurde krank und erhielt drei Jahre später die Kündigung.
 

Daniel Ellsberg ist einer der bekanntesten
Whistleblower der US-Geschichte. Er
brachte 1973 die geheimen Pentagon-
Papiere in die Öffentlichkeit, die  Lügen
mehrerer US-Regierungen über den
Vietnamkrieg enthüllten. Im Juni 2013
bezeichnete er die Veröffentlichungen von
Edward Snowden als die „wichtigsten in der
Geschichte der USA“, wichtiger noch als
seine eigenen.
Quelle: wikipedia
Eine solch deprimierende Erfahrung machte auch Brigitte Heinisch, eine Altenpflegerin aus Berlin. Aufgrund von Personalmangel konnten die ihr und ihren Kolleginnen anvertrauten Menschen nicht mehr ausreichend versorgt werden. Sie lagen im Urin und Kot. Manche wurden an Betten fixiert. Nachdem die Leitung des Altenheims und die Überwachungsbehörden nicht regierten, stellte sie Strafanzeige. Sie wurde daraufhin entlassen und musste bis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, um 2012 Recht und eine kleine Entschädigung zu bekommen. 
 
HinweisgeberInnen auch in Deutschland noch schutzlos
 
„Solche Menschen müssen wir unterstützen“, forderte Karin Binder, Obfrau im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der Fraktion DIE LINKE am 13. Juni 2013 in der abschließenden Beratung der Gesetzesvorstöße der Oppositionsfraktionen für ein Whistleblower-Schutzgesetz. Seit 2011 kämpfen DIE LINKE (Bundestagsdrucksache 17/6492), SPD (Bundestags-drucksache 17/8567) und Bündnis 90/Grünen (Bundestagsdrucksache 17/9782) für einen besseren Schutz von Whistleblowern in Deutschland. Sie setzten im März 2012 eine Anhörung im Ausschuss und Soziales durch, um auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen. Leider vergeblich. Die Koalition wiederholte mantra-artig, dass Denunzianten nicht geschützt werden dürften und die Interessen der Arbeitgeber zu berücksichtigen sind. Binder kritisiert, dass „die bisher auf Richterrecht beruhende Abwägung zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern führt.“

Barack Obama nannte vor seiner Wahl Whistleblower die "wertvollste Quelle“ für Informationen über Regierungsfehlverhalten und versprach die Transparenz des Regierungshandelns zu steigern. Während seiner Präsidentschaft wurden bisher fünf Whistleblower aus US-Geheimdiensten unter dem Anti-Spionage-Gesetz angeklagt, das auch die Todesstrafe vorsieht - mehr als bei jedem seiner Vorgänger.
NRhZ-Archiv
 
Bis heute gibt es nur einen lückenhaften Schutz für Whistleblower in Deutschland. Die Anzeige von internen Missständen ist nur in begrenzten Ausnahmenfällen möglich. Dabei sind die Anforderungen an den Whistleblower hoch. Im Zweifel müssen die Hinweisgeber beweisen, dass der Missstand tatsächlich bestand und ihre Veröffentlichung berechtigt war. Für Edward Snowden scheint der Nachweis möglich zu sein. Dafür hat er jedoch viel auf sich genommen. Um an die Nachweise zu gelangen, hat er seinen gutbezahlten Job bei der CIA aufgegeben und 40 Prozent weniger Gehalt bei der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton akzeptiert. (2)
 
Im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen will DIE LINKE jedoch weitergehen. In ihrem Antrag forderte sie als erstes Ziel, dass es endlich eine positive kulturelle Einstellung und gesellschaftliche Anerkennung gegenüber Whistleblowern geben muss. Für diesen Paradigmenwechsel bedarf es mehr als eines Schutzgesetzes. Es muss eine öffentliche Einrichtung, vergleichbar der britischen Public Concern at Work (PCaW), geben, die (potentielle) Whistleblower berät und das öffentliche Bewusstsein ändert.
 
Schutz von Whistleblowern weltweit notwendig
 
Snowden harrt noch immer im ungemütlichen Transithotel des Moskauer Flughafens aus. Am 1. Juli 2013 hat Snowden 15 Asylanträge gestellt, auch an Deutschland. Bisher hat nur der russische Präsident Putin den an Russland gerchteten Antrag angenommen. Jedoch mit einer vergifteten Forderung. Die USA nunmehr zu schützen und keine weiteren US-Geheimnisse mehr zu verraten widerspricht absolut Snowdens Motivation. Das kann er nicht annehmen, will er sich und seine Ziele nicht verraten. „Whistleblower brauchen internationalen Schutz und unsere Solidarität“, erklärt Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. „Die Bundesregierung sollte sich ein Beispiel an dem mutigen Schritt Ecuadors für die Freiheit und das politische Asyl für Whistleblower nehmen.“ Deutschland muss den Asylantrag von Snowden annehmen, wenn Demokratie noch zum deutschen Staatsverständnis gehört und ihm der Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger wichtig ist.  (PK)

(1) Videoaufnahmen des Beschusses und Todes irakischer Zivilisten und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber am 12. Juli 2007 in Bagdad
(2) Booz Allen Hamilton
 
Autorin Jana Muschalik (40) studierte nach einer Lehre und Arbeit als Finanzbuchhalterin bei HOCHTIEF von 1994 bis 2001 Rechtswissenschaft in Dresden, Spanien und Frankfurt (Oder). Anschließend arbeitete sie am Lehrstuhl für Völkerrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Von 2002 bis 2004 legte sie das zweite juristische Staatsexamen ab und beendete ihr Masterstudium "European Studies". Seit 2006 arbeitet sie für die Fraktion DIE LINKE im Bundestag, zunächst im Bereich Petitionen und Demokratie und seit 2008 als Referentin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das Thema Whistleblowing betreut sie seit 2008 für die Fraktion.
 


Online-Flyer Nr. 413  vom 03.07.2013

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