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Aktueller Online-Flyer vom 27. April 2024  

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Kommentar
Kölner Ratssitzungen am 30. April
Kürzung, Lähmung und Lügen
Von Claus Ludwig

Die etablierten Parteien haben die Sitzung zum Kölner Doppelhaushalt 2013/14 und die folgende reguläre Ratssitzung (beide am 30. April) durch ihre Taktik-Tricksereien zu einem unwürdigen Schauspiel gemacht. Die Folgen der beschlossenen Kürzungen für die Betroffenen – z.B. für arbeitende Frauen, die wegen der Streichung bei der Übermittagsbetreuung in der Offenen Ganztagsschule (OGTS) ihren Job aufgeben müssen – wurden nicht einmal thematisiert.


Oberbürgermeister Jürgen Roters mit der
entscheidenden StimmeNRhZ-Archiv
Der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt in einem Kom- mentar vom 3. Mai: „Wie kommt das denn bei jenen Eltern an, die zähneknir-schend hinnehmen müssen, dass für ihr Kind kein Platz frei ist in der Ganztagsbetreuung, wenn die Politik nach monate-langen dramatischen Sparappellen kurz vor Toresschluss Millionen für Verkehrsprojekte nicht nur findet, sondern scheinbar willkürlich verschiebt?“
 
Es wurden lediglich die üblichen Floskeln des Bedauerns – man hätte es sich nicht leicht gemacht, man könne es nicht jedem Recht machen usw. – heruntergebetet. Die grüne Fraktionsvorsitzende Moritz ließ tief blicken, als sie die Einmischung der Betroffenen als „manchmal störend“ bezeichnete.
 
Das Haushaltsdefizit im Jahr 2013 bleibt trotz der Kürzungen bei über 300 Mio. Euro. Die Kürzungen entfalten für den Haushalt mit insgesamt 5,1 Mio. in 2013 und 11,7 Mio. Euro in 2014 eine geringe Wirkung, sind für die Betroffenen – das Seniorennetzwerk, Eltern von OGTS-Kindern, Bürgerzentren, die sozialen Dienste der freien Träger usw. – aber teils verheerend.
 
SPD, Grüne und Oberbürgermeister Roters haben den Kürzungshaushalt mit einer Stimme Mehrheit durchgesetzt. CDU und FDP stimmten dagegen, weil sie noch massivere Einschnitte forderten. Die LINKE. lehnte den Haushalt ab. Sie hatte zum Finanzausschuss einen eigenen Veränderungsnachweis ohne Kürzungen eingebracht, inklusive der Rücknahme von Kürzungen aus den vergangenen Jahren. Außerdem trat die LINKE. für eine Erhöhung der Gewerbesteuer ein. Auch die ProKöln-Rassisten, die Freien Wähler und Deine Freunde lehnten den Haushalt ab.
 
Wer schummelt am Besten?
 
Alle bürgerlich-etablierten Parteien haben keine ernste Debatte über die Kürzungen geführt. Stattdessen waren sowohl die Haushaltssitzung als auch die reguläre Ratssitzung am selben Tag vom Taktieren der Etablierten rund um das Thema „Vorzeitige Inbetriebnahme des südlichen Streckenabschnittes der Nord-Süd-Stadtbahn“ bestimmt.
 
FDP und Grüne waren immer für die vorzeitige Inbetriebnahme, um die durch die Unfallstelle am Waidmarkt unterbrochene U-Bahn-Strecke nicht bis 2019 oder gar 2022 ungenutzt zu lassen. Die SPD ist dagegen, weil sie dies für zu teuer hält. Auch die LINKE. ist dagegen, weil die hohen Kosten nicht dem begrenzten Nutzen entsprechen. Die CDU schwankte und war offensichtlich bereit, ihre Stimmen im Gegenzug für Zugeständnisse zu „verkaufen“.
Zu diesem Zweck war unter Federführung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Börschel ein gemeinsamer Antrag von SPD, Grünen und CDU vorbereitet worden, der die Verlängerung der Linie 7 im Rechtsrheinischen über Zündorf hinaus vorsah und über 6 Mio. Euro für die Unterhaltung von Straßen beinhaltete. Dieser Antrag wurde erst am Beginn der Ratssitzung von den drei Fraktionen eingebracht und sollte ohne eigene Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt abgestimmt werden. Die LINKE. protestierte gegen dieses Vorgehen.
 
Schon die allgemeine Haushaltsdebatte war daher von verkehrspolitischen Fragen geprägt, die Sozialkürzungen und ihre Folgen spielten nur im Beitrag der LINKE. eine wichtige Rolle. Die CDU dachte oder behauptete dies zu denken, es ginge bei diesem „Deal“ um 6 zusätzliche Mio. Euro, über den Betrag hinaus, den SPD und Grüne per Beschluss des Finanzausschusses vom 12. April ohnehin für die Sanierung von Straßen, Radwegen und Plätzen in den Haushalt eingestellt hatten. Trotz ihrer grundlegenden Ablehnung des Haushaltes wollte sie wohl ihren Leuten verkünden, man hätte eigene Vorstellungen durch die Hintertür einbringen können. Das scheint das Motiv für ihr Abstimmungsverhalten in der Haushaltssitzung am Morgen des 30.4. gewesen zu sein, als sie mit der SPD für die Verwaltungsvorlage zur Nord-Süd-Bahn stimmte, in der die vorzeitige Inbetriebnahme abgelehnt wurde. Die Grünen hingegen dachten oder behaupteten dies zu denken, es ginge bei den 6 Mio. Euro lediglich um den Betrag, der schon durch SPD und Grüne in den Haushalt aufgenommen worden war. Entweder die SPD-Fraktionsspitze hatte ihren Antragspartnern zwei unterschiedliche „Wahrheiten“ untergejubelt oder die CDU hatte sich ihre eigene Interpretation gebastelt, um die rot-grünen Bündnispartner gegeneinander aufzubringen.
 
Auf jeden Fall entschied sich die SPD-Spitze, ob spontan oder vorher geplant, lässt sich nicht feststellen, für die Variante, dass die 6 Mio. nicht zusätzlich sein sollten, sondern schon längst im Haushalt eingestellt waren. Damit flog das ganze Konstrukt auseinander. Die CDU war der SPD bei der Abstimmung gegen die Nord-Süd-Stadtbahn brav gefolgt und hatte im Gegenzug nichts dafür bekommen.
 
Die Grünen mussten nun von dem Verdacht ausgehen, dass die SPD es sich offen gehalten hatte, sich anders zu entscheiden und die Forderung der CDU zu erfüllen, um deren Stimmen gegen den eigenen Koalitionspartner einzusetzen. Daraufhin wurde die Ratssitzung für eineinhalb Stunden unterbrochen. Die Machtspiele der Fraktionsspitzen, teilweise über die Köpfe ihrer Fraktion, und die Unfähigkeit der Verwaltungsspitze um OB Roters, dafür zu sorgen, dass jederzeit klar ist, über welche Haushaltsposten abgestimmt werden soll, lähmten den gesamten Stadtrat und führten dazu, dass auch die Ratsmitglieder, die nicht an den Tricksereien beteiligt waren, warten mussten, bis die Protagonisten des Klüngels ihre Positionen neu justiert hatten. Dies führte schließlich zu einem erneuten Dringlichkeitsantrag für die nachmittägliche reguläre Ratssitzung. Die CDU vollzog einen 180-Grad-Schwenk und setzte mit Grünen, FDP und den – allerdings nicht benötigten – Stimmen von „ProKöln“ und „Deine Freunde“ die vorzeitige Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn durch. Ob dies nur zu erneutem Stress oder zu einem Bruch der rot-grünen Ratsmehrheit führen wird, ist noch offen.
 
Versagen angesichts der Rassisten
 
Zu allem Überfluss waren sämtliche Ratsfraktionen so sehr mit ihren Tricksereien und sich selbst beschäftigt, dass am Beginn der Ratssitzung fünf Redebeiträge der „ProKöln“-Rassisten (1x „Aktuelle Stunde“, 4x Antragsbegründung) ohne jeden Widerspruch im Plenum blieben.
„ProKöln“ konnte ohne Gegenargumente die These verbreiten, die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien sei verantwortlich für hohe Mieten und Wohnungsmangel und nutzte auf zynische Weise den Tod zweier Menschen bei einem Hausbrand in Höhenberg, um MigrantInnen per se Verstöße gegen den Brandschutz zu unterstellen. Wenn „ProKöln“ am Beginn einer Ratssitzung über eine halbe Stunde die Themen bestimmt, ohne dass dem widersprochen wird, hilft das dieser Gruppe, ihre Ideen als relevant zu verkaufen oder gar zu suggerieren, es gäbe keine guten Argumente dagegen.
 
Die bürgerlichen Parteien werden im Nachhinein wohl wie immer behaupten, es wäre ihre Strategie, „ProKöln“ nicht durch Antworten „aufzuwerten“. Tatsächlich sind sie oftmals strukturell unfähig oder zu feige, den Rassisten etwas entgegen zu setzen. Und am 30. April war es ihnen schlicht egal, wie viel rassistisch gehetzt wird, weil sie gedanklich in dem Geklüngel um die Nord-Süd-Stadtbahn gefangen waren.
 
Leider scheut auch die linke Ratsfraktion mehrheitlich davor zurück, „ProKöln“ alleine zu konfrontieren. Mehrere GenossInnen befürchten, dass das dazu führen würde, dass die etablierten Parteien dies als einen Schlagabtausch „zwischen Rechts- und Linksaußen“ hinstellen könnte. Das mag sein, ist aber das geringere Übel gegenüber der unwidersprochenen rassistischen Hetze. „ProKöln“ hat in der „Aktuellen Stunde“ die Zuwanderung von Menschen aus Südosteuropa als entscheidend für die Verknappung von bezahlbarem Wohnraum in Köln genannt. Das ist blanker Unsinn, wird aber nicht von Allen durchschaut. Letztendlich ist die LINKE. die Kraft, welche die soziale Demagogie der Faschisten am Besten entlarven kann, weil sie, anders als die bürgerlichen Parteien, selber für grundlegende soziale Verbesserungen eintritt, anstatt Sozialabbau zu betreiben, der zu Spaltung und Ängsten in der armen Bevölkerung führt. Es wäre daher nötig, dass die LINKE. auch alleine gegen „ProKöln“ Stellung bezieht und deren Behauptungen demontiert, wie es in Einzelfällen auch durchaus erfolgreich geschehen ist. Der Autor dieses Kommentars steht dafür zur Verfügung, die Rückendeckung von Partei und Fraktion würde in solchen Situationen allerdings eine große Hilfe sein. (PK)
 
Claus Ludwig ist Mitglied des Kölner Stadtrats in der Fraktion der LINKE.


Online-Flyer Nr. 405  vom 08.05.2013

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