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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Golfdiktaturen die wichtigsten Kooperationspartner der Bundesrepublik
Die Risiken der Repression
Von Hans Georg

Deutsche Außenpolitik-Spezialisten äußern Bedenken gegen die intensive Kooperation Berlins mit den arabischen Golfdiktaturen, insbesondere mit Qatar. Wie es in einer aktuellen Analyse des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) heißt, könne sich die Zusammenarbeit zwar wirtschaftlich überaus nützlich gestalten. Politisch sei allerdings in Rechnung zu stellen, dass Qatar sich gegenüber äußerer Einflussnahme bislang als ungemein resistent erwiesen habe. Dies gelte nicht nur etwa für den Wunsch Berlins und Brüssels, mit den Golfstaaten ein Freihandelsabkommen abzuschließen, sondern auch in puncto Menschenrechte und Einbindung der Bevölkerung mit den Mitteln parlamentarischer Demokratie.
 
Der Autor des GIGA weist darauf hin, dass selbst der qatarische Herrscherclan auf lange Sicht innere Unruhen nicht für unmöglich hält - und deswegen die Unterzeichnung internationaler Menschenrechtsabkommen verweigert. An die Grenzen repressiver Regimesicherung, wie sie zuletzt beim Sturz der Staatspräsidenten Tunesiens und Ägyptens erkennbar wurden, erinnert in einem aktuellen Papier auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Demnach berge die - von Qatar unterstützte - Repression gegen die Opposition in Bahrain die Gefahr, dass die dortigen Unruhen früher oder später auf andere Staaten übergriffen, insbesondere auf Saudi-Arabien - mit fatalen Folgen. Mit Panzerlieferungen an Saudi-Arabien und Qatar unterstütze Berlin jedoch die Repression.
 
Hochkarätig flankiert
 
Anlass für die Veröffentlichung der aktuellen GIGA-Analyse ist der Berlin-Aufenthalt des Premier- und Außenministers von Qatar, Hamad bin Jassim al Thani, Mitte April.[1] Wie der Verfasser des Papiers feststellt, konferierte der qatarische Regierungschef nicht nur persönlich mit der deutschen Kanzlerin. Auch das "Wirtschafts- und Investitionsforum Qatar" am 15. und 16. April, das diesmal in der deutschen Hauptstadt durchgeführt wurde, sei mit persönlichen Auftritten der Bundeskanzlerin sowie des deutschen Außenministers "politisch sehr hochkarätig flankiert" worden.[2] Hintergrund sind nicht nur die immer intensivieren Wirtschaftsbeziehungen: Einerseits hat die Qatar Investment Authority mittlerweile über zehn Milliarden Euro in deutsche Konzerne investiert; andererseits bemühen sich Unternehmen aus der Bundesrepublik um gewinnträchtige Geschäfte in der Golfdiktatur, die in den kommenden Jahren Milliardensummen investieren will - vor allem in ihre Infrastruktur. Von großer Bedeutung ist jedoch vor allem die außenpolitische Kooperation zwischen Berlin und Doha, die in jüngster Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat.
 
Gemeinsame Interventionen
 
Dies gilt, wie es in der GIGA-Analyse heißt, nicht zuletzt für die außenpolitischen Interventionen, die das Emirat Qatar seit dem Jahr 2011 unternimmt. Qatar mische sich, schreibt der Autor des Papiers, in zunehmendem Maß "aktiv zugunsten bestimmter Akteure in politische Prozesse" im Ausland ein.[3] Wen Doha unterstützt, ergibt sich dabei zur Zeit aus sozialen und religiösen Faktoren. So trage Qatar dazu bei, heißt es in der Analyse, den Monarchen in Bahrain gegen wachsenden Widerstand an der Macht zu halten - ein Schritt, der langfristig die Herrschaftselite der Feudalclans in den Diktaturen der Arabischen Halbinsel gegen Unruhen der Unterschichten sichern soll. Wie die GIGA-Analyse festhält, fördert Doha zugleich in den übrigen Staaten der arabischen Welt islamistische Kräfte, besonders die Muslimbruderschaft - und wird deshalb von "säkulare(n) Politiker(n)" der betroffenen Länder offen kritisiert. Lediglich im Westen werde "die neue Regionalpolitik Katars (...) weniger kritisch bewertet", urteilt der Autor. Tatsächlich fügen sich Dohas Aktivitäten zu ganz erheblichen Teilen in die 2011 erfolgte Wende der westlichen Politik gegenüber der arabischen Welt ein, die mit der Stärkung bestimmter islamistischer Strömungen verbunden ist (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Als Beispiel dafür kann die gemeinsame Einmischung Qatars und der westlichen Staaten im syrischen Bürgerkrieg gelten - auch wenn die Unterstützung dortiger Islamisten mittlerweile aus westlicher Sicht aus dem Ruder läuft.[5]
 
Dank Wohlstand noch kaum Opposition
 
Wie die GIGA-Analyse erkennen lässt, zeichnet sich inzwischen auch bei deutschen Außenpolitik-Spezialisten eine gewisse Reserve gegenüber der erstarkenden Kooperation Berlins mit den Golfdiktaturen, insbesondere mit Qatar, ab. Der Autor weist darauf hin, dass das Emirat sich mit Macht "kulturellen und politischen" Einflüssen wie auch konkreten Forderungen aus dem Ausland verweigert, sobald diese seinen eigenen Interessen nicht entsprechen. So seien zum Beispiel die Verhandlungen der EU mit dem Gulf Cooperation Council [6] über ein Freihandelsabkommen "seit zwei Jahrzehnten nicht abgeschlossen" worden [7]. Insbesondere Qatar trete mittlerweile äußerst "selbstbewusst" auf. Dies gelte auch in Sachen Menschenrechte und parlamentarische Demokratie. So seien etwa bereits für das Jahr 2003 "Parlamentswahlen" angekündigt worden - doch "die Herrscherfamilie blockiert bislang deren Durchführung". Auch existiere "praktisch keine politische Opposition". Die Ursachen dafür sind der Analyse zufolge nicht nur darin zu suchen, dass die milliardenschweren Einnahmen aus der Öl- und Gasproduktion es dem Al Thani-Clan ermöglichen, der kleinen Zahl qatarischer Staatsbürger - es handelt sich um rund 300.000 Menschen - ein überaus attraktives Einkommen zu sichern: Das "weltweit höchste Pro-Kopf-Einkommen von derzeit über 100.000" US-Dollar hilft bislang, regimekritische Aktivitäten zu unterbinden.
 
15 Jahre für ein Gedicht
 
Berücksichtigt werden muss der GIGA-Analyse zufolge jedoch auch, dass in denjenigen Fällen, in denen die Verlockungen des Wohlstands nicht mehr greifen, Doha mit brutaler Repression reagiert. Dies zeige etwa der Fall des Lyrikers Muhammad bin al Dhib al Ajami, der eine gewisse "Kritik" an den Verhältnissen im Land "als Gedicht verpackt" habe. Er sei deshalb, berichtet der Autor vom GIGA, "wegen Beleidigung des Emirs und angeblichen Plänen zum Sturz des Systems angeklagt" worden. Immerhin habe das zuständige Gericht nicht, wie zeitweise befürchtet worden sei, "lebenslängliche Gefängnis- beziehungsweise die Todesstrafe" verhängt, sondern stattdessen "eine 15-jährige Haft".[8] Der Autor weist darauf hin, dass Doha "weder den Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte noch den über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte unterzeichnet" hat: "Dies verdeutlicht die Unsicherheit der politischen Elite darüber, ob die Bürgerinnen und Bürger des Landes durch den enormen Wohlstand dauerhaft gegen Forderungen nach mehr politischer Teilhabe immunisiert werden können."
 
Ohne Partizipation keine Stabilität
 
Befürchtungen, die hochgradig repressiven Golfdiktaturen seien auf lange Sicht ebenso von inneren Unruhen bedroht wie zuvor die repressiven Regime Ben Alis, Mubaraks und Assads, werden mittlerweile auch in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) offen geäußert. So heißt es in einem aktuellen SWP-Papier, Besorgnisse müsse besonders die Repression des bahrainischen Regimes wecken, das seit Anfang 2011 mit brutaler Gewalt gegen Proteste vorgeht - diese richten sich gegen die soziale, wirtschaftliche und politische Diskriminierung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Land. In den letzten zwei Jahren seien dabei zwischen 80 und 120 Menschen zu Tode gekommen, erklärt die SWP.[9] Die Gefahr, dass die Spannungen eskalierten und auch Saudi-Arabien erfassten, in dessen Ostgebieten eine große, ebenfalls schwer bedrängte schiitische Bevölkerungsminderheit angesiedelt sei, dürfe keinesfalls vernachlässigt werden. Einen Ausweg könne, urteilt der Autor, auf lange Sicht nur ein Ende der Diskriminierung bieten: Saudi-Arabien sowie Bahrain würden "nur stabil bleiben, wenn sie mehr Rechtsstaatlichkeit und Partizipation zulassen". Berlin müsse darauf hinweisen, dass "eine Fortsetzung der bisherigen Politik destabilisierend wirkt".
 
Aufstandsbekämpfung
 
Tatsächlich träfe eine Destabilisierung der Golfdiktaturen die derzeit wichtigsten Kooperationspartner der Bundesrepublik und des gesamten Westens im Mittleren Osten. Der SWP-Autor weist darauf hin, dass Berlin dieser Tatsache gegenwärtig mit der Hochrüstung der Regime Rechnung trägt: So sind, bestätigt die Analyse, die Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A7+, die die Bundesrepublik an Saudi-Arabien liefern will, "für die Aufstandsbekämpfung konzpiert".[10] Waffenlieferungen wie diese vertrügen sich nicht "mit Bemühungen um eine friedliche Konfliktlösung", wie sie in den Golfdiktaturen zur langfristigen Sicherung politischer Stabilität jedoch dringend erforderlich seien, schreibt der Autor des SWP-Papiers. Die Antwort Berlins gab kürzlich ein Rüstungskonzern bekannt: Demnach wird er Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A7+ auch an Qatar liefern. Ohne Zustimmung der Bundesregierung wäre das selbstverständlich nicht möglich. (PK)
 
[1] s. dazu Im Bündnis mit der Diktatur
[2], [3] Oliver Borszik: Ambivalente Erfahrungen mit der "Gestaltungsmacht" Katar, GIGA Focus Nahost 3/2013
[4] s. dazu Vom Feind zum Partner, Der Feind meines Feindes, Die Islamisierung der Rebellion, Keine freiheitlichere Ordnung und Die Muslimbrüder als Partner
[5] s. dazu Die Islamisierung der Rebellion, Im Rebellengebiet (II) und Im Rebellengebiet (III)
[6] Dem Gulf Cooperation Council (GCC) gehören Bahrain, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an.
[7], [8] Oliver Borszik: Ambivalente Erfahrungen mit der "Gestaltungsmacht" Katar, GIGA Focus Nahost 3/2013
[9], [10] Guido Steinberg: Kein Frühling in Bahrain, SWP-Aktuell 23, März 2013
 
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58589 übernommen.


Online-Flyer Nr. 404  vom 01.05.2013

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