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Lokales
Empörende Äußerungen zu den Neubauplänen für das Stadtarchiv
Kölns Stadtrat riskiert erneute Blamage
Von Dorothee Joachim und Reinhard Matz

Erschreckt und empört nehmen wir zur Kenntnis, dass wichtige Politiker im Kölner Stadtrat damit beginnen, Bedeutung und Folgen des Archiveinsturzes vom 3. März 2009 zu missachten. Neuerdings wird der Wiederaufbau des Historischen Archivs der Stadt Köln in der geplanten Form in Frage gestellt – damit sendet die Stadt ein verheerendes Signal an alle, die sich um die Wiederherstellung des Archivs bemühen und an alle, die die Kölner Stadtpolitik ohnehin schon mit Verwunderung verfolgen. Kölns Bild ist schon geschädigt, nun droht die nächste Blamage.

Gedenken an den Einsturz des Stadtarchivs 4 Jahre nach dem 3. März 2009
NRhZ-Archiv
 
Was vor knapp zwei Jahren – als der Neubauentwurf in einem Wettbewerb gekürt wurde – noch vollmundig erklärt wurde, soll nun nicht mehr gelten: Der Neubau sei ein wichtiger Schritt zur „Wiedergutmachung", hieß es noch im Juni 2011, und Oberbürgermeister Jürgen Roters sagte damals: „Die Stadt Köln hat es sich zum Ziel gesetzt, das sicherste und modernste Archiv Europas zu errichten. Diesen Anspruch haben wir an die Architekten gestellt, und ich bin zuversichtlich, dass wir dies jetzt auch erreichen werden.“
 
Nun plädieren Sprecher der Stadtratsfraktionen, die auch in der Wettbewerbsjury vertreten waren, für „mehr Sachlichkeit“ und wollen „die kostspielige Planung eines Bürgerarchivs hinterfragen“, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet.

Ein Schlag ins Gesicht

 
Dieser Ruf nach mehr „Sachlichkeit“ ist ein Schlag ins Gesicht aller Kölner und Freunde Kölns, die zuerst den Einsturz des Historischen Archivs verkraften mussten und danach die Unfähigkeit der Rathaus-Politiker, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Viele Bürger wurden dadurch wachgerüttelt und verfolgen Stadtpolitik nun besonders aufmerksam und kritisch. 
 
Vertrauen ist verloren gegangen und kann nur durch überzeugende Handlungen wieder gewonnen werden. Schon der Verlauf des Wettbewerbs „Erweiterung des Gymnasiums Kaiserin-Augusta-Schule und städtebauliche Entwicklung des Georgsviertels“ hat den Eindruck erweckt, die Erinnerung an das Unglück werde in einen Hinterhof verdrängt.
 
ArchivKomplex hat dazu eine Protesterklärung veröffentlicht, die zahlreiche prominente Unterstützer gefunden hat. ArchivKomplex appelliert nun an die Mitglieder des Stadtrates, die Bedeutung der Wiederherstellung des Stadtarchivs dauerhaft anzuerkennen. Das viel beschworene Kölner „Stadtgedächtnis“, ein europaweit bedeutendes Kulturgut, wird noch lange unter dem Einsturz zu leiden haben; die Restaurierung der Objekte wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Finanzierung noch ungesichert

 
Noch ist ungesichert, wie diese Arbeiten finanziert werden können. In dieser Situation wäre ein Rückzug des Stadtrates verheerend. Den Neubau des Stadtarchivs – einschließlich der städtischen Kunst- und Museumsbibliothek und des Rheinischen Bildarchivs – zügig fertigzustellen ist das absolute Minimum.
 
Die Initiative ArchivKomplex ist eine unabhängige Gruppe von KünstlerInnen, ArchitektInnen, AutorInnen und anderen engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs und seinen Folgen künstlerisch und damit auch politisch auseinandersetzen.

Wie konnte es zu dem Unglück kommen? Wie sind auch heute noch Einzelne – und wir insgesamt als Stadtgesellschaft – davon betroffen? Was geschieht jetzt und im Verlauf der nächsten Jahre am Einsturzort? Und wie kann der künftige Umgang mit diesem Ort – als Sinnbild für diese Kölner Katastrophe und gleichzeitig als mögliches Potenzial ihrer „Heilung“ – aussehen?
 
Temporäre Kunst-Interventionen
ArchivKomplex greift den vielfachen Bürgerwunsch auf, mehr über das damalige Ereignis und seine Ursachen, Folgen und Begleitumstände zu erfahren. Wir wollen durch temporäre Aktionen und Interventionen in unterschiedlichen Medien den Archiv-Einsturz vom 3. März 2009 und seine vielfältigen Auswirkungen auf Einzelne wie auf die gesamte städtische Gesellschaft und Politik erforschen und so das Bewusstsein für dieses komplexe Geschehen schärfen – am Unglücksort selbst, aber auch darüber hinaus im öffentlichen Stadtraum.

Gedenken als Prozess

ArchivKomplex begreift Gedenken als lebendigen, in der Gegenwart stattfindenden und auf die Zukunft gerichteten Prozess. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen sollten in die Entwicklung von Formen des künftigen Gedenkens am früheren Ort des Historischen Archivs einfließen, der auf Dauer ein öffentlicher Ort bleiben muss.

In dem langen Zeitraum von acht bis zehn Jahren, der vergehen wird, bevor auf dem eigentlichen Archivgrundstück etwas vorläufig Endgültiges entstehen kann, darf der Einsturz nicht in Vergessenheit geraten! Keinesfalls soll dieser besondere Ort stadtplanerisch „geheilt“ werden, indem die Wunde mittels Tiefgarage und Blockrandbebauung vorschnell geschlossen wird, um die Katastrophe vergessen zu machen.
Erklärung der Initiative ArchivKomplex

Erklärung der Initiative ArchivKomplex zum Wettbewerbsergebnis „Erweiterung des Gymnasiums Kaiserin-Augusta-Schule und städtebauliche Entwicklung des Georgsviertels“:
 
Das Ergebnis des Wettbewerbs für das Georgsviertel muss für alle, die nach dem historischen Ereignis des Archiveinsturzes 2009 hier einen würdigen Ort der Erinnerung erwartet haben, eine herbe Enttäuschung sein, wenn nicht sogar als Affront gewertet werden.
 
Die Chance, hier einen ganz besonderen Ort zu schaffen, der Geschichte und Erinnerung mit zukünftigem öffentlichem Leben und Austausch vital verbindet, wird durch eine banale Blockrandbebauung verspielt. Ein von der Severinstraße aus unsichtbarer „Gedenkgarten“ wird durch ein Mauseloch in einem Blockriegel erschlossen und zwischen dem aufragenden Appartementhaus und einer blockfüllenden Sportstätte eingequetscht.
 
Der Einsturz des Historischen Archivs hat die Kölner Stadtgesellschaft wachgerüttelt. Köln hat bereits viele Katastrophen erlebt und würdig in den Stadtgrundriss eingeschrieben. Diese Möglichkeit wäre mit der Umsetzung der Preisträger-Vorschläge auf fatale Weise für immer vertan.
 
Ob dieser Ort künftig als überwachsener Krater, Amphitheater, alternativer Ratssaal, Pantheon, als hängende Gärten oder Markthalle für Gedankenaustausch in Erscheinung tritt, sollten die Kölnerinnen und Kölner mit viel Zeit und viel Leidenschaft noch diskutieren können. Einer Banalisierung dieses Ortes durch einen verharmlosenden Städtebau werden wir entschieden entgegentreten.
 
Unsere Forderungen:
 
1. Wir fordern die Neubeschäftigung mit dem Einsturzort. Die Raumnot der Schule soll bald behoben werden, aber die künftige Gestaltung des Archivgrundstücks darf noch nicht im Bebauungsplan definiert werden. Die Entscheidung für den Gedenkort steht unter keinerlei Zeitdruck und muss vom Schulbau abgekoppelt werden.
2. Das Grundstück muss in städtischer Hand bleiben. Der Einsturzort darf keinesfalls trivialen Vermarktungsinteressen geopfert werden. Wir verstehen die Finanznot der Stadt, aber ein Verkauf in 8 Jahren löst auch keine heutigen Finanzprobleme.
3. Es ist zu prüfen, ob die Sporthalle räumlich und akustisch (Außensportplatz) diesen Blockinnenbereich so dominant prägen darf wie vorgeschlagen.
4. Der Bürgerworkshop muss vor einer etwaigen Beschlussvorlage der Verwaltung neu einberufen werden. Es hat sich als problematisch erwiesen, die Beschäftigung mit dem Archivgelände als Anhängsel eines Schulbauwettbewerbs auszuloben. Ein angemessenes Konzept für die Neugestaltung des Einsturzortes muss unter Einbeziehung von Künstlern in einem langfristigen, schrittweisen Diskussions- und Gestaltungsprozess erst noch gefunden werden.

Einladung zur öffentlichen Debatte

Unsere Aktivitäten verstehen wir als Angebot an die Kölner Stadtgesellschaft, sich mit den verschiedenen Aspekten dieser Kölner Katastrophe bewusst auseinanderzusetzen und das aktive Gedenken über die Jahrestage hinaus in den städtischen Alltag einzubeziehen.
ArchivKomplex sucht die Unterstützung der Bürgerschaft und das Gespräch mit ihren politischen Vertretern. Wir laden ein zum Engagement! (PK)
 
ArchivKomplex
c/o Dorothee Joachim, T 0221 37 82 45 / Reinhard Matz, T 0221 550 52 83
Information und Kontakt: www.archivkomplex.de / info@archivkomplex.de
 


Online-Flyer Nr. 402  vom 17.04.2013

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