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Inland
EU-Konzessionsrichtlinie soll Wasser noch mehr zur Handelsware machen
Geschäftsmodell Wasser
Von Ulrike von Wiesenau

Der Zugang zu Wasser soll kein Menschenrecht mehr sein, das lebenswichtige Gut Wasser soll ein Konsumgut wie jedes andere werden. Um nichts weniger als diese fundamentale Weichenstellung geht es bei der von der EU-Kommission vorgeschlagenen neuen Konzessions-Richtlinie.
 

NRhZ-Archiv
Straßburg, 24.01.2013: Der federführende Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments (IMCO) stimmt über den Kommissionsvorschlag zur Konzessionsvergabe ab und nimmt damit die neue EU-Konzessionsrichtlinie an, der Antrag auf Ausnahme des Wassersektors findet keine Mehrheit. Die EU-Kommission will mit der Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung von Konzessionen ihren neoliberalen Kurs in der Wasserversorgung durchsetzen. Von den neuen Regeln aus Brüssel sollen nur diejenigen Kommunen ausgenommen werden, die ihre Wasserversorgung noch komplett in öffentlicher Hand haben. In der Vergangenheit hat aber gerade die EU-Kommission die Städte und Kommunen aufgefordert, Private an der Wasserversorgung zu beteiligen. Dem sind viele Städte, auch in Deutschland, aufgrund finanzieller Engpässe gefolgt. Mittels politisch erzeugter Finanznot und "Schuldenbremse" wurden die Kommunen zum Anteils-Verkauf öffentlicher Unternehmen bzw. zu Verträgen nach dem Public-Private-Partnership (PPP)-Modell gezwungen.
 
Stadtwerke unter dem Damoklesschwert der Vollprivatisierung
 
Genau das kann diesen Kommunen nun zum Verhängnis werden. Fatal an der vom Binnenmarktausschuss vorgelegten Version des Richtlinienentwurfs ist: Da in Deutschland inzwischen die Mehrheit der etwa 900 Stadtwerke private Partner haben, stehen diese Stadtwerke unter dem Damoklesschwert der Vollprivatisierung. Denn am Ende der Laufzeit der aktuell vergebenen Konzession hätten sie aufgrund der neuen EU-Richtlinie nicht mehr das Anrecht auf eine automatische Verlängerung, die Konzession müsste dann vielmehr in Gänze EU-weit neu ausgeschrieben werden. Das heißt - da es keine geteilten Konzessionen gibt - nicht nur die 24,9% oder 49,9%, mit denen die privaten Unternehmen bisher an den Stadtwerken beteiligt waren, müssten neu ausgeschrieben werden, sondern die Konzession käme als Ganzes auf den Markt. Mit den Dumping-Angeboten, die die kapitalkräftigen privaten Großunternehmen dann vorübergehend einsetzen können, kann kein kommunaler Betrieb konkurrieren.
 
Für private Investoren ist Wasser ein Wirtschaftsgut wie jedes andere, und ein besonders gewinnträchtiges dazu. Auf eine dreistellige Milliardenhöhe schätzen Analysten das Potential des Wassermarktes in der EU. Internationale Großkonzerne wie Suez oder Veolia unternehmen immer wieder neue Anläufe, um über die EU Zugang zu diesem lukrativen
Markt zu bekommen.
 
Garantierte Rendite für Großkonzerne
 
Die Versprechungen, die mit den Wasserprivatisierungen einhergehen, sind exorbitant: Besserer Service, sinkende Preise und Investitionen ins Wassernetz werden in Aussicht gestellt. Doch die Realität spricht eine andere Sprache. Die Erfahrungen mit der Berliner Teilprivatisierung, der grössten innerhalb der EU, wie auch die übrigen Erfahrungen im In- und Ausland zeigen, dass die so genannte Öffentlich-Private Partnerschaft (PPP) in Wirklichkeit nur der garantierten Rendite der Privaten dient, die öffentliche Hand aber das
Nachsehen hat.
 
Klar ist: Investitionen in Erhalt und Ausbau der Infrastruktur passen nicht zu schnellem Gewinn. Welche Folgen die Wasser-Privatisierungen nach sich ziehen, zeigen die Beispiele in England und Portugal: In London sind Verunreinigungen im Trinkwasser durch Leckagen, die Dauer-Zugabe von Chlor und immer mehr Rohrbrüche die Folge. Über 20 Prozent des Wassers versickern im Boden, in den oberen Stockwerken von Mietshäusern bleibt die Versorgung oft gänzlich aus, da kaputte Leitungen und Lufteinschübe die Zufuhr stoppen. Gleichzeitig steigen die Wasserpreise. Die Portugiesen zahlen mittlerweile einen 400 Prozent höheren Preis als noch vor wenigen Jahren, das Leitungswasser ist in weiten Teilen des Landes nicht mehr trinkbar. Wären die Kommunen finanziell souverän genug gewesen, gemeinwohlorientierte Privatisierungsverträge zu fordern, wäre es nicht zum Abschluss dieser
Verträge gekommen: für die privaten Konzerne wäre die zu erwirtschaftende Rendite zu gering gewesen.
 
Wasserpreise in Berlin durch PPP um 35% gestiegen
 
In Berlin sind nach 13 Jahren PPP die Wasserpreise um 35% gestiegen, die Berliner zahlen im deutschen Städtevergleich die höchsten Wasserpreise, das Bundeskartellamt hat am 5. Juni 2012 eine Preissenkungsverfügung gegen die Berliner Wasserbetriebe (BWB) wegen „missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise" erlassen. Drei Wasserwerke wurden geschlossen und der Personalbestand der Berliner Wasserbetriebe wurde massiv abgebaut. Aufgaben der Nachhaltigkeit wie Netzrehabilitation, Energieeffizienz und Reinigungsqualität werden nur unzureichend angegangen. Die Investitionen bleiben hinter dem zurück, was von den Wasserkunden dafür bezahlt wird. Erhaltungsaufwendungen werden als "Investition" abgerechnet, darunter leidet die Substanz des Rohrleitungsnetzes. Die Gewinne sind zu Gunsten der Privaten ungleich verteilt, das Land Berlin haftet für die Gewinne der privaten "Partner" und hat sich obendrein seiner Entscheidungsbefugnisse beraubt, denn die betriebliche Führung liegt, auch nach dem überteuerten Rückkauf der Anteile von RWE, beim privaten Minderheitseigner Veolia. Das Land hat, obwohl es nun mit 75% der Anteile Mehrheitseigner ist, weiterhin nichts zu sagen.

Berliner demonstrieren gegen die Folgen der Wasser-Privatisierung
NRhZ-Archiv
 
Der Zwang zur Privatisierung der Daseinsvorsorge in Europa als Konsequenz neoliberaler Konzepte, die in Zeiten der Krise als Allheilmittel gepriesen werden, gefährdet eine über Jahrzehnte steuerfinanziert aufgebaute Infrastruktur höchster Güte. Statt Schuldenbremsen, die benutzt werden, um zusätzlichen finanziellen Druck zu erzeugen und durch die eine Veräußerung öffentlichen Eigentums immer häufiger notwendig wird, brauchen wir in den Ländern, Städten und Gemeinden Privatisierungsbremsen, die garantieren, dass öffentliches Eigentum im Bereich der Daseinsvorsorge vor dem Zugriff privater, gewinnorientierter Investoren geschützt wird.
 
Wie wichtig den Bürgerinnen und Bürgern eine gemeinwohlorientierte, demokratisch kontrollierte Wasserversorgung in öffentlicher Hand ist, zeigt die europäische Bürgerinitiative "Wasser ist ein Menschenrecht", www.right2water.eu, die bisher über eine Million Menschen unterzeichnet haben. Der Druck auf die EU-Kommission, das EU-Parlament sowie die
nationalen Parlamente und Regierungen wächst. Seit der Verabschiedung des Richtlinienentwurfs im federführenden Binnenmarktausschuss des EU-Parlamentes schlägt den Befürwortern der neuen Konzessions-Richtlinie harter Gegenwind ins Gesicht. Der Umgang mit dem Votum wird erweisen, wie ernst es der EU mit Transparenz, Demokratie und Bürgerbeteiligung ist. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger werden ein Europa der Konzerne nicht widerstandslos hinnehmen.
 
Kritik an den Wasserprivatisierungsplänen zeigt Wirkung
 
EU-Kommissar Barnier bessert nach. Am 21.02.2013 kündigte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier in der Ausschusssitzung für Binnenmarkt und Verbraucherschutz Nachbesserungen zur neuen EU-Konzessionsrichtlinie an. Die traditionelle Strukturierung öffentlicher Unternehmen in den  Mitgliedsstaaten sei stärker zu respektieren, Mehrspartenunternehmen,  die z.B. neben Wasser auch Energie anbieten, sollten weniger häufig in eine europaweite Ausschreibung des Wasserbereiches gezwungen werden.
 

Ein Dokumentarfilm von Leslie
Franke und Herdolor Lorenz
NRhZ-Archiv
Das Zurückrudern des EU-Kommissars ist auf den Widerstand zurückzuführen, der sich in der laufenden Europäischen Wasser-Bürgerinitiative unerwartet massiv artikuliert hat. Entwarnung ist dennoch nicht angesagt, denn auch die nachgebesserte Konzessionsrichtlinie greift erheblich in die kommunalen Strukturen der Wasserwirtschaft in Deutschland ein. Kommunalpolitische Gestaltungsfreiheit wird durch europaweit verbindliche Richtlinien aus
Brüssel ersetzt. Mehr Rechtssicherheit für die kommunale Wasserwirtschaft könnte nur durch eine generelle Ausnahmeregelung fürdie Wasserwirtschaft erreicht werden.
 
Der "Berliner Wassertisch" http://berliner-wassertisch.net/, Initiator des erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheides, trägt die Europäische Bürgerinitiative "Wasser ist ein Menschenrecht" mit. Sie kann bis zum Oktober unter www.right2water.eu unterzeichnet werden.
 
ARD-Monitor hat zur EU-Konzessionsrichtlinie den Beitrag "Geheimoperation Wasser: Wie die EU-Kommission Wasser zu Handelsware machen will", u.a. mit einem Beitrag über den Berliner Wassertisch, gesendet: www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/1213/wasser.php5.
 
"Water Makes Money" ist ein Dokumentarfilm von Leslie Franke und Herdolor Lorenz aus dem Jahr 2010. Er kritisiert das Modell des Public Private Partnership (PPP) und beschreibt den wachsenden Widerstand gegen die Wasserprivatisierung. Siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15395. (PK)
 
Ulrike von Wiesenau ist Pressesprecherin des "Berliner Wassertisch". Die Privatisierungs-Expertin berät weltweit Organisationen und Initiativen der Demokratiebewegung bei Öffentlichkeitsarbeit und politischen Aktionen: ulrike.fink.von.wiesenau@gmx.de


Online-Flyer Nr. 396  vom 06.03.2013

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