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Globales
Vor allem Flüchtlinge aus Eritrea, dem Sudan und aus Äthiopien sind betroffen
Menschen- und Organhandel im Sinai
Von Annette Groth und Wiebke Diehl

Menschenhandel wird oft als „moderne Sklaverei“ bezeichnet. In den meisten Fällen handelt es sich um ausgesprochen gut organisierte und international agierende Netzwerke, die Menschen entführen und sie z.B. als Arbeitssklaven oder als Zwangsprostituierte missbrauchen. In vielen Fällen ist Menschenhandel mit den ebenfalls sehr profitablen Strukturen des Drogen- und Waffenschmuggels verbunden.

Eins der Opfer des Organhandels im Sinai
Foto aus einer CNN-Reportage
 
Im Sinai scheint sich in den letzten Jahren ein besonders gut funktionierendes Netzwerk von kriminellen Banden, aber auch Regierungsbeamten in Eritrea und Sudan sowie Ärzten aufgebaut zu haben, dem bereits viele Tausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Seit Ende 2010 weisen immer wieder Medienberichte auf dieses menschliche Drama und auf die prekäre Lage von entführten Flüchtlingen auf dem Sinai hin. Auch das Europäische Parlament hat im März 2012 einen Entschließungsantrag formuliert, welcher die ägyptischen Behörden auffordert, den Menschenhandel im Sinai entschieden zu bekämpfen.
 
Der UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres hat sich mehrfach sehr besorgt zur Lage der Flüchtlinge im Sinai geäußert und zum Handeln gemahnt. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE betonte auch die Bundesregierung, das Thema Menschen- und Organhandel bereits mehrfach gegenüber Vertretern der ägyptischen Regierung angesprochen zu haben und aufmerksam zu verfolgen. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle gibt an, die Lage auf dem Sinai in Gesprächen wiederholt thematisiert zu haben, ähnlich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning.
 
Die meisten der betroffenen Flüchtlinge stammen aus Eritrea, andere kommen aus dem Sudan und aus Äthiopien. Viele von ihnen nutzen den Weg über die Sinai-Halbinsel, um nach Israel oder Europa zu gelangen. Sie bezahlen viel Geld an Schmuggler (zwischen 2.000 und 3.000 US-Dollar), in der Hoffnung auf ein besseres Leben für sich und ihre Familien. Andere Flüchtlinge werden direkt aus den großen Flüchtlingslagern im Sudan und in Äthiopien entführt, wohin sie bereits vor dem menschenverachtenden Regime in Eritrea geflüchtet waren. Die Menschenhändler nutzen die Lage der Flüchtlinge schamlos aus: sie lauern ihnen auf, fordern von ihnen Geld, um sie nach Israel zu bringen – und zwingen sie mit Gewalt in ihre Autos, wenn sie sich weigern, einzusteigen. 
 
Die Betroffenen werden in den quasi rechtslosen Raum Sinai gebracht und hier teilweise mehrfach an unterschiedliche Banden verkauft – eine schier endlose Odyssee. Der aktuellste Bericht (Van Reisen/Estefanos/Rijken: Human Trafficking in the Sinai: Refugees between Life and Death, 26.9.2012) geht davon aus, dass aktuell mehr als 1.000 Flüchtlinge im Sinai festgehalten werden, in den letzten fünf Jahren sollen mehr als 4.000 Menschen auf ihrem Weg durch den Sinai getötet worden sein. Sehr wenigen gelingt die Flucht, sie werden dann wiederum von Schmugglern nach Israel gebracht.
 
Auf diesem Weg lauert aber eine weitere Gefahr: ägyptische oder israelische Grenzpolizisten schießen auf Flüchtlinge, die die Grenze nach Israel überqueren wollen. Andere werden verhaftet und in Kairo und anderswo in Ägypten oder aber in Israel in Abschiebehaft genommen. Ein weiteres Mal müssen sie unter unmenschlichen Bedingungen ausharren und werden dann nach Eritrea abgeschoben. Nach den jüngsten israelischen Gesetzen gelten illegale Immigranten als „Infiltranten“. Es werden neue Haftanstalten für sie errichtet, sie können weit leichter abgeschoben werden und man darf sie bis zu drei Jahre bis zu ihrer Abschiebung im Gefängnis festhalten. Zudem wird ein Zaun an der Grenze zwischen Israel und dem Sinai errichtet. Die ägyptische und die israelische Regierung verstoßen hierdurch und durch ihre Untätigkeit gegen die Verbrechen, welche gegen die Flüchtlinge im Sinai begangen werden, gegen ihre internationalen und menschenrechtlichen Verpflichtungen. So fordert unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention den Schutz von Flüchtlingen. Es ist unbestritten, dass eine Vielzahl der Flüchtlinge, die nach ihrer Abschiebung nach Eritrea mit jahrelanger Gefängnishaft und Misshandlungen rechnen müssen, im Schutz dieser Konvention steht.
 
Die Fluchtroute durch den Sinai wurde zum Knotenpunkt für Flüchtlinge, nachdem im Jahre 2008 ein Freundschaftsabkommen zwischen Italien und Libyen geschlossen worden war, welches den Weg über Libyen deutlich erschwerte. Aufgrund der zusätzlichen Zusammenarbeit mit der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX seit dem Jahre 2009 ist die Fluchtroute durch Libyen weitgehend blockiert worden. Seit diesem Zeitpunkt scheint auch der Menschen- und Organhandel im Sinai zu florieren.
 
Laut einem CNN-Bericht (The CNN Freedom Project, Death in the Desert, 8.11.2011) wurden allein 2010 14.000 Flüchtlinge über die israelische Grenze transportiert und viele von ihnen auf ihrem Weg durch den Sinai entführt. Die Flüchtlinge werden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und müssen – zusammengepfercht wie Vieh – oft monatelang ausharren. Man zwingt sie, ihre Verwandten anzurufen. Während sie telefonieren, werden sie gefoltert, ihre Familien sollen die Schreie hören, um Lösegeld an die Entführer zu bezahlen. Die Lösegeldforderungen liegen zwischen 5.000 und 50.000 US-Dollar. Viele Flüchtlinge und deren Angehörige können solch hohe Summen nicht aufbringen oder müssen dafür ihre eigene Existenz ruinieren – und selbst wenn das Lösegeld bezahlt wird, ist dies keine Garantie für eine Freilassung. Es mehren sich die Berichte, dass teilweise selbst diejenigen, die den Forderungen ihrer Entführer nachgekommen sind, weiterverkauft werden. Nach Angaben einer in Deutschland lebenden Eritreerin sind seit Oktober 2012 54 Eritreer, die bereits 15.000 US-Dollar Lösegeld bezahlt hatten, verschwunden. Der größte Teil der entführten Frauen spricht von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen. Viele werden schwanger, einige entbinden gar in Gefangenschaft. Ein zweiter CNN-Bericht (The CNN Freedom Project, A Stand in the Sinai, 26.9.2012) berichtet gar davon, dass ein Menschenhändler seine eigene, aus einer Vergewaltigung entstandene drei Monate alte Tochter, brutalst gefoltert und auf den Kopf geschlagen habe. Foltermethoden reichen von Schlägen, Verbrennungen und Elektroschocks bis hin zum Aufhängen (kopfüber) und Abschneiden von Fingern sowie anderer Körperteile. Den Flüchtlingen wird täglich nur ein Brot zugeteilt und kaum Wasser zum Trinken gegeben. Flüchtlinge berichten, sich während der vielen Monate ihrer Haft nicht ein einziges Mal gewaschen zu haben.
 
Ein Teil der Flüchtlinge wird an Banden in den Nordsinai verkauft. Hier werden ihnen mit Hilfe von Ärzten Organe entnommen – viele der Flüchtlinge überleben dies nicht. Der Preis pro Organ liegt bei 20.000 US-Dollar (14.800) Euro. Es ist allerdings ungewiss, ob diese Organe allein in Ägypten Verwendung finden oder aber weiterverkauft werden. So wäre es möglich, dass Organe auch nach Deutschland oder in andere Länder der EU gelangt sind. Auf diese Frage antwortete die Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage lediglich: „Der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, die eine solche Annahme nahelegen würden.“
 
Inzwischen engagiert sich eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen gegen den Menschen- und Organhandel im Sinai. Zu nennen sind hier unter anderem die „Physicians for Human Rights-Israel“, Die „Hotline for Migrant Workers“ in Israel, die „New Generation Foundation for Human Rights“, die „Every One Group“, „Human Rights Watch“ und die „International Commission on Eritrean Refugees“. Diese Gruppen haben, indem sie das Leiden der Flüchtlinge im Sinai bekannt gemacht haben, einen bedeutenden Beitrag zum Engagement deutscher, europäischer und internationaler Institutionen geleistet. Auch eine beträchtliche Anzahl von beduinischen Scheikhs, die in ihrer überwältigenden Mehrheit den Menschen- und Organhandel ablehnen, hat sich inzwischen mit direkten Aktionen gegen die im Sinai begangenen Verbrechen engagiert. Dies betont insbesondere die neueste CNN-Dokumentation. Die Autoren von „Human Trafficking in the Sinai“ hingegen beobachten eine Intensivierung des Menschenhandels. Auch sei die Höhe des zu zahlenden Lösegelds signifikant gestiegen, die Opfer würden über immer längere Zeiträume festgehalten, die Folterpraktiken seien brutaler geworden und die Zahl der durch Folter verursachten Todesfälle steige kontant an.
 
Die ägyptische Regierung muss entschieden gegen die im Sinai begangenen Verbrechen vorgehen sowie die Schuldigen vor Gericht stellen und bestrafen. Auch muss auf die ägyptische und die israelische Regierung Druck ausgeübt werden, damit sie den Flüchtlingen entsprechend zahlreicher internationaler Konventionen zum Schutz von Flüchtlingen eine menschenrechtskonforme Behandlung zukommen lassen und ihnen die Möglichkeit geben, Asyl zu beantragen. Ein Druckmittel hat die EU mit dem Assoziierungsabkommen mit Ägypten in der Hand: Artikel 2 aller EU-Abkommen mit den Mittelmeeranrainerstaaten verpflichtet die Partner der EU zur Einhaltung der Menschenrechte! (PK)
 
Annette Groth ist Bundestagsabgeordnete der Linken, Wiebke Diehl ist ihre Mitarbeiterin


Online-Flyer Nr. 381  vom 21.11.2012

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