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Aktueller Online-Flyer vom 12. Mai 2024  

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Kommentar
Nun will er erst mal wieder Gouverneur von Miranda in Venezuela werden
Wer ist Capriles Radonski?
Von Wolf Gauer und Peter Kleinert

Die deutschen Medien lästern unisono, wenn es um Hugo Chávez Frías geht. Von FAZ über Bild bis Cicero. Und sie übertreffen sich nun an Lob für den hierzulande bis vor kurzem völlig unbekannten Gegenspieler Henrique Capriles Radonski. Von differenzierter Abwägung keine Spur; die Bürger sind ihres Informationsanspruchs ja so zuverlässig entwöhnt wie ihrer Muttermilch.


Chávez und Capriles im Wahlkampf
NRhZ-Archiv
Da habe sich nun der arme (superreiche) Capriles Radonski die Schuhe “buchstäblich abgelatscht“ (FAZ), um Venezuela vom Dämon Chávez zu erlösen. Dass dieser inzwischen mehr als 30% der 29 Mio. Venezolaner aus der Armut erlöst hat, erfahren wir jedoch aus der FAZ so wenig wie aus den Mantras unserer öffentlich-rechtlichen Gebetsmühlen. Ganz hingerissen wiederholen diese dagegen, dass der „knappe“ Verlierer das Wahlergebnis akzeptiert und Hugo Chávez sogar telefonisch beglückwünscht habe. Er bekam 44,5% der Stimmen, Chávez 54,8, also 10% mehr.
 
Darf man demnach von sonstigen, klammheimlichen Erwartungen ausgehen? Zur weiteren Klärung ein Blick auf Capriles Radonski.
 
Drahtig-sportlicher Motorradfahrer und Dauerlächler mit Baseballmütze, schon optisch das Gegenteil des von der Krebstherapie gezeichneten Hugo Chávez im roten VW-Käfer. Geboren 1972 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen und Curação (Antillen), seit 2004 „glühender Katholik“ (Capriles). Die Familie ist in der Industrie engagiert, im Medien- und Immobiliengeschäft, in den Kinoketten Unidos und Cynex und sonstigen Dienstleistungen.
 
Der Jurist (Kath.Universität Caracas und Columbia University New York) gründete im Jahr 2000 die Partei Primero Justicia (Gerechtigkeit zuerst) mittels Finanzierung und strategischer Orientierung vonseiten des US-amerikanischen National Endowment for Democracy (NED) und des International Republican Institute (IRI). Mitbegründer war Leopoldo Lopez, politisches Spiegelbild von Capriles, wie dieser Vertrauensmann der US-Botschaft und wegen eklatanter Korruption bis 2014 für alle politischen Ämter gesperrt. Mark Feierstein, Chef der Südamerikaabteilung der berüchtigten Nicht(aber dennoch)-Regierungsorganisation USAID griff Capriles im Wahljahr mit 5 Millionen Dollar unter die Arme. In den Vorjahren investierten die USA offiziell 20 Mio. Dollar in anti-chavistische Aktivitäten; Summen in mehrfacher Höhe werden ebenfalls genannt.
 
Global notorisch wurde der Kandidat 2002, damals Bürgermeister der Reichensiedlung Baruta im Weichbild von Caracas, danach Gouverneur des Bundesstaats Miranda, wegen seiner Teilnahme am CIA-gestützten Putsch gegen Hugo Chávez. Mit einem Haufen exilkubanischer Terroristen und seiner Ortspolizei drang er in Kubas Botschaft ein, stiftete allerhand Unheil, bis er vom kubanischen Botschafter nachhause geschickt wurde. Von Wikileaks veröffentlichte Dokumente belegen seine langjährige Zusammenarbeit mit der US-Botschaft nicht nur beim Aufbau seiner Präsidentschaftskandidatur sondern bei weiteren Aktivitäten, die Washingtons Zensoren schon ausgetuscht hatten. U.a. waren Capriles Radonski und Leopoldo Lopez während des Putschs an der Entführung des Innen- und Justizministers Ramon Rodriguez Chacin und Plünderung seines Hauses beteiligt.
 
Von April bis September 2004 saß Capriles deshalb in Untersuchungshaft, wo er publikumswirksam zum katholischen Christen mutierte. Der verantwortliche Staatsanwalt, Danilo Anderson, flog dennoch am 18. November 2004 mit seinem Auto in die Luft. Unter Verwendung des Sprengmittels C4, das US-kubanische Terroristen aus der Schule des berühmt-berüchtigten Luis Posada Carriles bevorzugen. Posada Carriles genießt seinen Lebensabend in Miami trotz vielfacher Auslieferungsforderungen nicht nur aus Kuba. Das National Security Archive (Washington) qualifiziert ihn als „einen der gefährlichsten Terroristen der neueren Geschichte“ und als „godfather (Pate) exilkubanischer Gewalt“.
 
Es versteht sich von selbst, dass Capriles Radonski jede von den USA sich absetzende Zusammenarbeit und Integration Lateinamerikas (Mercosur, Unasur, ALBA, CELAC) ablehnt, so wie er schon als Bürgermeister Ärzte des kubanischen Hilfsprogramms mobbte und aus seinem Sprengel vertrieb. Auch dass er sich weiterhin auf die US-inspirierte und NED-finanzierte Wählermobilisierungsorganisation Súmate („Reih Dich ein!“) verlässt, die zur hohen Wahlbeteiligung (81%) beigetragen hat. Súmate brachte unentschiedene Wähler auf die Beine, Chávez’ sozialer Erfolg aber die weniger privilegierten Mehrheiten.
Die obigen Fakten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der mittlerweile so perfekt dressierte Strahlemann wird weiterhin von sich hören machen; er verspricht nun Kampf in den einzelnen Bundesstaaten und will, nachdem er wegen seiner Kandidatur von diesem Amt zurücktreten musste, vorläufig wieder Gouverneur von Miranda werden (1). Capriles arbeitet entschlossen auf den Rückbau des venezolanischen Sozialstaats hin, auf die Privatisierung dessen öffentlicher Strukturen. Capriles - eine Offerte, die an US-Produkte wie Álvaro Uribe erinnert, Präsident von Kolumbien (2002-2010) oder an Sebastián Piñera Echenique, der seit 2010 Chile neoliberal abwickelt. Lächelnd, sportlich, weltmännisch, mit einem Hauch von Werbeseite und dem sicheren Platz auf der Forbesliste der Superreichen. Sie kommen von teuersten US-amerikanischen Kaderschmieden und werden von NED, IRI, USAID & Co. aufs Karrieregleis gesetzt. Versehen mit dem know how des Imperiums, inklusive „licence to kill“ - wie einst James Bond.
 
Deutsche Parteistiftungen helfen dabei, wie Eva Gollinger schon 2010 registrierte, US-venezolanische Anwältin und wohl die beste Venezuelaexpertin überhaupt: Die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) investiere jährlich 500.000 Euro in rechte Parteien hinter Capriles Radonski. Im Wahlkampf seien auch die in Lateinamerika schon berüchtigten Privatisierer Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) und Hans-Seidel-Stiftung (CSU) nicht untätig gewesen.
 
Henrique Capriles-Radonski hat zwar nicht gewonnen, aber viel erreicht. Einer mit dem man rechnen muss. Er hat Zeit - dem kranken Hugo Chávez läuft sie davon. Capriles steht für Wall Street und Washington und deren subversives Vorgehen gegen einen der fortschrittlichsten Staaten Lateinamerikas und seine bolivarischen Ideale.
 
Doch wer trifft es genauer als Hugo Chávez’ begnadetes Mundwerk? In einer Rede am 16. Februar 2012, über Capriles Radonski, den „Mittelmäßigen“: „Der Mittelmäßige hat Berater, die ihm gesagt haben, er solle die Konfrontation mit mir meiden....Die Konfrontation hierzulande ist nicht die vom Mittelmäßigen und Chávez, sondern die von Bourgeoisie und Volk. Von Imperium und Vaterland....Die Nicht-Patrioten sollen dem Mittelmäßigen hinterherlaufen. Er ist der Kandidat des Imperialismus....Kandidat der Bourgeoisie, der großen Banken, der großen Firmen, des großen Kapitals. Nun sagt der Mittelmäßige, er sei Progressist. Stell dir vor..., ein progressiver Bourgeois! Du versuchst dich zu maskieren, Mittelmäßiger. Doch es wird dir nicht gelingen. Du bist der Kandidat der Yankees, der Kandidat des Imperialismus, der Kandidat der Staatsstreiche der Bourgeoisie, der Kandidat der Vergangenheit."

Dass Capriles natürlich auch der Kandidat der meisten deutschen Medien war, hat Wolf Gauer oben schon erwähnt. Zu deren Vertretern gehörte vor allem der FAZ-Korrespondent Josef Oehrlein. Hier einige Zitate aus seinen Artikeln zu Venezuela: "Chávez hat zwar in der Euphorie des Wahlsiegs der Opposition, die mit Henrique Capriles einen Achtungserfolg errungen hat, Dialog und Zusammenarbeit angeboten, doch ist kaum zu erwarten, dass er eine Kehrtwendung vollzieht und etwa seine willkürliche Enteignungspolitik korrigiert oder die Inflation und ausufernde Kriminalität nachhaltig bekämpft", teilte Oehrlein den FAZ-LeserInnen am 8. Oktober mit. Und: "Viel eher wird er versuchen, sein Lebenswerk, seine „bolivarische“ Revolution, zu retten und weiter zu „vertiefen“. Das bedeutet auch eine weitere Vertiefung der Spaltung des Landes und der wirtschaftlichen Probleme, eine Verlängerung der Agonie der Revolution, mit allen Folgen auch für die Länder, in denen sie Anklang gefunden hat. Den Anhängern von Capriles bleibt einstweilen nur die Hoffnung, dass der Revolution vor Ablauf der nächsten sechs Jahre der Atem ausgeht." 

Zwei Tage später hatte er eine weniger hoffnungsvolle Botschaft für seine LeserInnen: "Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat Außenminister Nicolás Maduro zu seinem Vizepräsidenten ernannt. Sein bisheriger Stellvertreter Elías Jaua soll bei den Gouverneurswahlen im Dezember für den Staat Miranda kandidieren. Dort will sich auch Henrique Capriles Radonski, der bei den Präsidentschaftswahlen Chávez unterlegene Spitzenkandidat der Opposition, von neuem um das Gouverneursamt bewerben." Capriles hatte nämlich, um gegen Chávez kandidieren zu können, als Gouverneur des Staates Miranda zurücktreten müssen, und Chávez selbst hatte auch in diesem Staat der Wohlhabenden wie in den meisten anderen Staaten Venezuelas die Wahl gewonnen. Peinlich für die FAZ, oder? (PK) 

(1) Hierzu auch ein Artikel von Eva Haule in dieser NRhZ-Ausgabe
 
Wolf Gauer ist Journalist und lebt in São Paulo


Online-Flyer Nr. 376  vom 17.10.2012

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