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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Lokales
Das Bergische Land soll sich zusammen mit Düsseldorf in Brüssel bewerben
"Kulturhauptstadt" nicht nur für Touristenwerbung
Von Peter Kleinert

Die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft mit ihrem Deutschen Zentrum für Verfolgte Künste hat den in der "Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Bergisch Land“ (KAG) zusammengeschlossenen Städten Wuppertal, Solingen, Remscheid und Leverkusen sowie den Landkreisen Oberberg, Rhein-Berg und Mettmann vorgeschlagen, diese älteste Industrieregion auf dem Kontinent möge sich um den Titel "Kulturhauptstadt“ ab 2020 bei der Europäischen Kommission bewerben.
 

Else Lasker-Schüler
NRhZ-Archiv
Die Schreiben dazu gingen auch an Düsseldorfs OB Dirk Elbers. Denn Düsseldorf ist Gastmitglied der KAG und war Residenzstadt der Bergischen Herzöge. Ange- schrieben wurde der Bildhauer und Präsident der Kunstakademie Düsseldorf, Tony Cragg, der in Wuppertal wohnt und dort einen großartigen Skulpturenpark initiiert hat. Ferner gingen Schreiben an das Neanderthal-Museum bei Mettmann, das Von der Heydt-Museum und das Historische Zentrum (für Frühindustriealisierung) in Wuppertal und diverse, in ihrer Art einmalige "Deutsche“ Museen der Region. Informiert wurden zudem die bergischen Abgeordneten im Landtag NRW, im Bundestag und im Europäischen Parlament, darunter auch Parlamentspräsident Martin Schulz.  
 
Museen von Rang, vielleicht sogar von noch größerer Bedeutung als im Bergischen und in Düsseldorf hat zum Beispiel Stuttgart. Die baden-württembergische Hauptstadt soll angeblich ebenso wie Mannheim planen, sich als Kulturhauptstadt zu bewerben. Deutschland ist frühestens 2020, vermutlich sogar erst 2025 wieder an der Reihe. Doch „wenn der Titel europäische Kulturhauptstadt nicht nur der Steigerung der Bekanntheit und der Tourismuswerbung dienen soll, dann müssten auch andere Bewerbungskriterien gelten als bislang.“ Das zumindest meint Hajo Jahn, Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal, dessen Argumente wir hier ausführlich vorstellen. Die „politisch agierende“ Literaturgesellschaft habe unter ihren rund 1.400 Mitgliedern viele aus anderen Ländern, darunter Zeitzeugen, die aus NS-Deutschland flüchten mussten oder aus kommunistischen Staaten stammen wie Herta Müller, Rumänien, Reiner Kunze, DDR, Riszard Krynicki, Polen, Milan Uhde, Tschechien oder William Meiland, Moskau.
 

Hajo Jahn
NRhZ-Archiv
Nach Else Lasker-Schüler-Foren in Israel, Polen, Tschechien, der Schweiz, Italien und Österreich, wo sie sich als erste deutsche Literaturgesellschaft mit einer breiten kulturellen Palette präsentiert hat, kam immer wieder die Frage, „wann so etwas europäisch institutionalisiert werden könnte“. Gefragt worden ist von Vaclav Havel, der als tschechischer Präsident 1999 Schirmherr des ELS-Forums über "Theresienstadt“ war und mit Lech Walesa, Polen, und Lennart Meri, Estland, 2004 im Namen der verfolgten jüdischen Künstlerin Else Lasker-Schüler in Prag beim XIII. Forum über Präsidentenerfahrungen nach Einführung der Demokratie diskutierte.
 
Auch Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger Außenminister Polens, stellte die oben genannte Frage als Schirmherr des Lasker-Schüler-Forums 2003 in Breslau. „Als Antwort darauf bot sich die Idee, sich um den Titel "Europäische Kulturhauptstadt" zu bewerben, zwangsläufig an“, meint Hajo Jahn. Alle diese Länder hätten mit deutscher und europäischer Weltkrieg-Zwei-Geschichte zu tun. Daraus resultierten bis heute Probleme. Und: „Neue sind hinzugekommen!“
 
Ganz vorn stehe die Einwanderung/Flucht von Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen: „Bislang wurde das unseres Wissens nach noch nie bei einer der bisherigen Kulturhauptstädte besonders herausgestellt. In Solingen ist das "Deutsche Zentrum für verfolgte Künste" im Aufbau. Im Mittelpunkt steht - neben einer Bildersammlung verfemter Maler - vor allem eine Exilliteratursammlung mit Werken von Dichtern, Schriftstellern und Journalisten, die über die Türkei, Frankreich, Italien, Holland, die Schweiz, Spanien, Portugal nach England, Südafrika, in die USA und Südamerika bis nach Australien geflohen sind. Die Parallelen bieten sich an. Es ist der Link zu heute.“
 
Vermittelt über Biografien widerständiger, vorbildhafter Persönlichkeiten mit greifbaren, nachvollziehbaren Biografien und Werken, in denen überliefert ist, was und wie etwas passierte, das sich ähnlich wiederholen könnte, heißt es im Schreiben der Lasker-Schüler-Gesellschaft. Der Publizist Jürgen Serke, dessen Exilliteratrursammlung die ELS-Stiftung aufgekauft hat, formulierte es so: „Beste deutsche und europäische Geschichte ist die Geschichte von Minderheiten, die sich den Totalitarismen widersetzten. Es ist unsere Geschichte für Gegenwart und Zukunft, die nur wirken kann, wenn wir sie lebendig halten.“
 
Daran knüpft der Vorschlag "Europäische Kulturhauptstadt“ an: „Aus der Vergangenheit lässt sich für die Gegenwart lernen, wie wir in Europa miteinander verbunden sind, auch Toleranz lässt sich dadurch vermitteln angesichts der Schwierigkeiten zwischen Muslimen und christlich geprägten Gastländern, in denen sich auch wieder verstärkt Antisemitismus breit macht. Es gilt ja die Zukunft zu meistern. Auch das könnte, sollte Anliegen einer Kulturhauptstadt sein.“
 
Das Bergische Land als ältestes Industriegebiet auf dem Kontinent, so Hajo Jahn, hatte damals Probleme zu lösen, die heute noch in vielen Ländern aktuell seien: Umweltbelastungen. Die Luft war schwer atembar und die Wupper war „der schwärzeste Fluss der Welt", so die verfolgte Jüdin Else Lasker-Schüler. Schon damals kamen erste Gastarbeiter aus Regionen ohne Arbeit ins Bergische Land. Sie zu integrieren sei eine Herausforderung gewesen. Es hätte Arbeiteraufstände lange vor den Weberaufständen in Schlesien gegeben. Daraus resultierte das "Elberfelder System" als eine Versorgungsleistung für Arme.
 
Was bei der aus dem Bergischen kommenden Missionsbewegung in Afrika und Asien misslungen/gelungen sei, habe Auswirkungen bis heute. Darauf verweisen die Argumente der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, die in ihrem Antragsschreiben auch darauf hinweist, dass die "Rheinische Mission" vor ein paar Hundert Jahren aus dem Bergischen bis nach Afrika und Asien tätig war. Davon zeuge noch heute eine Völkerkundesammlung auf dem im Volksmund so genannten "Heiligen Berg“ in Wuppertal.
 
Und noch eine Brücke in die Gegenwart schlägt der Vorschlag: „Wie man aus Trümmern und kaputter Infrastruktur gemeinsam wieder aufgebaut und sich geholfen hat, hat die "Notgemeinschaft Bergisch Land" nach dem Zweiten Weltkrieg bewiesen. Ähnliches ist von anderen bedeutenden Region nicht bekannt. Es könnte beispielhaft herausgestellt werden für kriegszerstörte Regionen wie etwa auf dem Balkan.“ 
 
Schreiben der ELS gingen u.a. an:
 
Landrat Thomas Hendele, KAG-Vorsitzender, Oberbergischer Kreis
 
Ernst-Andreas Ziegler, KAG-Geschäftsführer
 
Oberbürgermeisterin Beate Wilding, Remscheid
 
Landrat Dr. Hermann-J.Tebroke, Rheinisch-Bergischer Kreis
 
Landrat Hagen Jobi, Oberbergischer Kreis
 
OB Reinhard Buchhorn, Leverkusen
 
OB Norbert Feith, Solingen
 
OB Peter Jung, Wuppertal, OB Dirk Elbers, Düsseldorf
 
Dr. Gerhard Finckh, Von der Heydt-Museum
 
Prof. Dr. Gerd-Chr. Weniger, Neanderthal-Museum
 
Dr. Rolf Jessewitsch, Deutsches Zentrum f. Verfolgte Künste/Kunstmuseum Solingen
 
Dr. Eberhard Illner, Historisches Zentrum Wuppertal
 
Prof. Dr. Lambert Koch, Bergische Universität
 
Heinrich Sträter, Präsident IHK W, SG, RS
 
Michael Wenge, Hauptgeschäftsführer IHK
 
Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Wuppertal Institut
 
Prof. Bazon Brock
 
Peter Hintze, Staatssekretär
 
Peer Steinbrück, MdB
 
Wolfgang Bosbach, MdB
 
MP Hannelore Kraft
 
Ministerin Sylvia Löhrmann
 
Christian Lindner, MdL
 
Hans-Dietrich Genscher
 
Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments
 
Herbert Reul, Mitgl. d. Europaparlaments
 
Prof. Tony Cragg, Präs. Kunstakademie Düsseldorf,
 
sowie an die Leiter des Deutschen Klingen-Museums, Solingen,
 
Deutsches Werkzeugmuseum und Deutsches Röntgenmuseum, beide RS, Deutsches Schloss- und Beschlägemuseum, Velbert.
 
Solingens OB Norbert Feith nannte ebenso wie KAG-Geschäftsführer Prof. Ernst-Andreas Ziegler den Vorschlag „faszinierend“. Ziegler hat die Wuppertaler Partnerstadt Kosice in der Slowakei mit beraten, die im nächsten Jahr Kulturhauptstadt wird.
 
Peter Hintze, Staatssekretär im Bundesministerium f. Wirtschaft Technologie, hat die Idee „sympathisch“ genannt und bemerkt, dass dazu auch neue kulturelle Impulse entwickelt werden müssten.
 
Fritz Pleitgen, der die Kulturhauptstadt Essen beraten und betreut hat, ermunterte in einem Gespräch mit Hajo Jahn, diese Idee voranzutreiben. (PK)

Hierzu auch der Kommentar "Mut zum Scheitern – Mut zur Chance" in dieser Ausgabe
 


Online-Flyer Nr. 375  vom 10.10.2012

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