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Inland
SPD-kritisches Interview mit der ehemaligen SPD-Ministerin Herta Däubler-Gmelin
„Ich bin überzeugte Europäerin“
Von Max Olivier

Herta Däubler-Gmelin provoziert die SPD-Führung: Einst Justizministerin unter Bundeskanzler Schröder, führt sie jetzt Verfassungsklage gegen den Euro-Rettungsschirm ESM und steht damit im Widerspruch zur Parteilinie. Deshalb haben wir das folgende Interview aus dem COMPACT-Magazin 9/2012 entnommen, das Sie seit dem 30.8. am Kiosk kaufen können.

Herta Däubler-Gmelin
Quelle: http://www.bundesarchiv.de
 
Max Olivier: Mit dem ESM wird europaweit eine über den Regierungen stehende Instanz geschaffen, die regelt, wie reichere EU-Mitgliedsstaaten ärmeren helfen, ihre Schulden zu begleichen. An sich doch eine gute Sache?
 
Herta Däubler-Gmelin: So einfach ist es leider nicht: Der ESM soll den sogenannten vorläufigen Rettungsschirm ersetzen und enthält viele rechtliche Probleme, die jetzt geklärt werden. Dabei geht es insbesondere um die Haushaltsrechte des Bundestages, die ohne parlamentarische Kontrolle auf EU-Kommission und EZB übertragen werden sollen. Vor allem aber ist die jetzige Politik falsch: Sie behauptet, den Euro zu retten und wird uns von der Regierung als „alternativlos“ verkauft. Beides ist falsch. Und: In den betroffenen Ländern führt sie zu immer mehr Armut, weniger Wirtschaftsleistung und immer größeren sozialen Verwerfungen. So kann man Schulden nicht begleichen, und die Menschen fangen an, Europa abzulehnen. Das ist schlimm – diese Politik muss insgesamt geändert werden.
 
Sie sind eine der Beschwerdeführerinnen gegen den ESM beim Bundesverfassungsgericht. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass Karlsruhe den ESM stoppt? Was käme dann? Wagen Sie einen Ausblick?

COMPACT-Magazin 9/2012
 
Ich vertrete zusammen mit Professor Degenhart etwa 36.000 Beschwerdeführer. Am 12. September 2012 wird das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über unseren Antrag auf einstweilige Anordnung fällen, also zunächst eine vorläufige Entscheidung treffen. Wenn das Gericht bei seiner bisherigen Rechtsprechung bleibt, sehe ich gute Chancen. Damit würde es auch zusätzliche Zeit dafür schaffen, endlich eine vernünftige Politik für Europa und zur Schuldentilgung zu machen. Noch ist es ja nicht zu spät, denn für die Zwischenzeit gibt es ja den vorläufigen Rettungsschirm.
 
Besteht die Gefahr, dass nach einem Scheitern des ESM die EZB per Aufkauf von Staatsanleihen nicht dieselbe haltlose Finanzierungspolitik machen wird, die letztlich der deutsche Steuerzahler garantieren muss?
 
Das hängt sicher nicht damit zusammen. Die Europäische Zentralbank hat ihre eigene Satzung. Sie hat schon früher Staatsanleihen aufgekauft, wie früher übrigens auch die Bundesbank. Die Frage ist, welche Umstände und Bedingungen damit verbunden werden. Eine Kombination mit dem ESM ist möglich, aber keineswegs zwingend erforderlich. Den Beschwerdeführern geht es mit der Klage darum, das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages nicht weiter aushöhlen zu lassen, schon gar nicht ohne vorherige Volksabstimmung auch bei uns. In den letzten Tagen gibt es immer mehr Vorschläge, die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments zu verstärken. Auch das ist ein interessanter Gedanke.
 
Wie stehen Sie zu den Vorstößen Philipp Röslers (FDP) und Alexander Dobrindts (CSU), dass Griechenland die Euro-Zone verlassen sollte? Was müsste Deutschland tun, wenn Griechenland dies nicht tut?
 
Beide Herren schwätzen unglaublich leichtfertig und unqualifiziert, aus rein parteipolitischen Gründen daher. Wenn man die Märkte ansieht, kann man aber sehen, dass die sich von Politikerreden nicht beeinflussen lassen.
 
Brauchen wir den Euro gar nicht, wie Thilo Sarrazin postuliert?
 
Viele qualifizierte Berechnungen zeigen mittlerweile, wie viel Gewinn gerade die deutsche Export-Wirtschaft aus dem Euroraum zieht. Man kann sich ja leicht vorstellen, welche Auswirkungen eine Rückkehr zur D-Mark hätte: Mir leuchtet sehr ein, dass allein durch die danach einsetzende Spekulation eine starke Aufwertung zwangsläufig wäre; das würde deutsche Waren im Ausland so verteuern, dass sie nur noch schwer verkaufbar wären – hohe Arbeitslosigkeit bei uns wäre die Folge.
 
Sie bezeichnen sich gern als Europäerin. Wie könnte ein Europa ohne Euro aussehen?
 
Ich bezeichne mich nicht als Europäerin, ich bin überzeugte Europäerin. Und zwar eine, die für ein demokratisches, für ein rechtsstaatliches und für ein soziales Europa steht. Ein Gebilde, in dem Banken und Regierungen das Sagen haben, Demokratie also fehlt, kann nie die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bekommen.
 
Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter schrieb vor kurzem, die ESM-Haftung Deutschlands sei auf 190 Milliarden Euro begrenzt. Also alles doch gar nicht so schlimm?
 
Die Aussagen Kampeters haben eine geringe Verfallszeit. Die von ihm genannten 190 Milliarden können sich je nach Lage leicht erhöhen. Das weiß er auch. Er kennt auch die übrigen Probleme mit dem ESM.
 
Wenn bei mir jemand klingeln würde und mir unkündbare Verträge andrehen wollte, würde ich instinktiv die Tür wieder zu machen. Wissen unsere Politiker beim unkündbaren ESM nicht, was sie tun?
 
Wir rügen in unserer Verfassungsbeschwerde auch, dass Deutschland diesen Vertrag nicht kündigen kann, zumal eine zeitliche Begrenzung sehr wohl hätte vereinbart werden können. Ebenso wie die völkerrechtlich wirksame Absicherung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages oder mehr Kontrollrechte durch das Europäische Parlament. Alles das sind gravierende Mängel.
 
Sie arbeiten bei Ihrer Klage mit den Freien Wählern zusammen. Warum unterstützt Ihre eigene Partei, die SPD, die Klage nicht? Hätte ein Willy Brandt seine Fraktion auf den ESM eingeschworen? Was meinen Sie zu der Forderung von Sigmar Gabriel und ähnlich vorher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW, das Grundgesetz so zu verändern, dass die Schulden im Euro-Raum vergemeinschaftet werden können?
 
Halt, halt, halt (lacht): Unter den etwa 36.000 Beschwerdeführern gibt es Abgeordnete und Mitglieder aus CDU, SPD den Grünen, den Piraten und den Freien Wählern. Andere Abgeordnete der CSU klagen selbst. Die Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag tut das auch. Der Streit geht also quer durch die Parteien und das ist gut so. Natürlich fände ich es gut, wenn die SPD- Oberen etwas mutiger wären: Ich halte die Vorschläge der sogenannten Wirtschaftsweisen, aber auch des DIW für besonders spannend und hoffe, dass die großen Parteien sie aufgreifen.
 
Wo sind die Charakterköpfe hin, die gegen so etwas Sturm laufen?
 
Die Charakterköpfe sind hier. (PK)
 
 
Herta Däubler-Gmelin lehrt unter anderem als Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin und an der Tongji-Universität Shanghai. Derzeit berät sie die EU-Kommission in Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit. Die ehemalige Bundesjustizministerin, die für die SPD über dreißig Jahre im Deutschen Bundestag saß, vertritt als eine der Prozessbevollmächtigten etwa 36.000 Beschwerdeführer gegen das Gesetz zum Euro-Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe.
 
Max Olivier studiert in Frankfurt/M. Fachjournalistik und Geschichte.
 
Den Link zum COMPACT-Magazin 9/2012 haben wir Ihnen hier rein gestellt, damit Sie mehr Informationen dazu finden: http://www.compact-magazin.com/index.php?option=com_content&view=article&id=325&Itemid=174


Online-Flyer Nr. 370  vom 05.09.2012

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