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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Krieg und Frieden
Zum Antikriegstag: Weiterentwicklung einer traditionellen Friedenskonzeption
Atomwaffenfreie Zone 2.0
Von Dietrich Schulze

Alle Länder, die die zivile Nutzung der Atomenergie betreiben, insbesondere wenn sie über die Technik der Urananreicherung und Plutoniumabtrennung (geschlossener Brennstoffkreislauf) verfügen, sind in der Lage, in wenigen Monaten Atomwaffen herzustellen. Sie sind potentielle Atomwaffenmächte. Das ist der friedenspolitische Fluch dieser Technologie, unabhängig von gegenwärtigen Verträgen und Absichten. 
 
Je länger die schizophrene Situation anhält, dass führende Länder der NATO von der atomwaffen­freien Welt reden (Friedensnobelpreisträger Barack Obama) gleichzeitig aber nicht vor der Drohung mit atomaren Erstschlägen gegen missliebige Staaten zurückschrecken, wird die Versuchung weltweit wachsen, in die zivile Nutzung der Atomenergie einzusteigen mit dem Hintergedanken, selber über die ultimative Waffe zu verfügen, um potentielle Angreifer abzuschrecken.
 
Wenden wir das Prinzipielle auf das gegenwärtig gefährlichste Pulverfass an, den Mittleren und Nahen Osten. Andreas Buro („Iran: Kriegs- oder Friedenspolitik – das ist die Frage“ 19.12.2011 www.aixpaix.de/autoren/buro/buro.html) und viele andere haben als Konzept für eine allseitig garantierte Sicherheit für die Staaten der Region eine atomwaffenfreie Zone vorgeschlagen. Das läuft von der technischen Seite primär auf die Verschrottung des israelischen Atomwaffenarsenals hinaus. Er sagt dazu selber: „Dem wird entgegen gehalten, Israel würde sich nie auf einen Verzicht auf seine Atomwaffen bereit erklären. Ob das eine dauerhafte Position Israels tatsächlich sein wird, muss sich erst noch erweisen, wenn ihm dafür eine kooperative Einbindung in die Region angeboten würde.“
 
Tatsache bleibt aber, dass der Iran unabhängig von gegenwärtig nicht nachweisbaren Absichten, eine potentielle Atomwaffenmacht in dem oben ausgeführten Sinn ist. Muss die Konzeption der atomwaffenfreien Zone dann nicht weiter entwickelt werden, dergestalt, dass in der gesamten Region nicht nur auf Atomwaffenbesitz und -herstellung, sondern auch auf die zivile Nutzung der Atomenergie verzichtet wird? Denken wir uns einmal eine solche Weiterentwicklung!
 
Dann gäbe es gemäß der Buro-Feststellung betreffend Israel eine entsprechende betreffend den Iran: „Dem wird entgegen gehalten, Iran würde sich nie auf einen Verzicht auf seine zivile Atomenergienutzung bereit erklären. Ob das eine dauerhafte Position Irans tatsächlich sein wird, muss sich erst noch erweisen, wenn ihm dafür eine kooperative Einbindung in die Region angeboten würde.“
 
Angenommen, der Iran würde diesen Verzicht in Erwägung ziehen, hätte das eine außerordentlich überraschende logische Konsequenz. Die Begründung für den angedrohten israelischen Erstschlag gegen die iranischen Atomanlagen würde in sich zusammen fallen.
 
Es mag eingewandt werden, dass es bei der Kriegshysterie in der Region, angefangen in jüngerer Zeit mit dem Irak, fortgesetzt mit Afghanistan, dann mit Lybien und nun mit Syrien nicht um Freiheit und Demokratie, sondern um die Etablierung von NATO-abhängigen Regierungen ging und geht. Das glauben viele BürgerInnen unabhängig von nachweisbaren Fakten weniger. Da aber der deutsche Atomausstieg breite Unterstützung genießt, sollte ein Atomausstieg anderswo positiv gesehen werden können.
 
Warum greift die Friedensbewegung diesen Gedanken einer weiter entwickelten atomwaffenfreien Zone als Grundlage eines Systems der gegenseitigen Sicherheit nicht auf? Wenn mehr und mehr Menschen das Unmögliche denken, kann es morgen Realität werden. Natürlich nur, wenn der entsprechende Druck der israelischen, palästinensischen, arabischen, iranischen, US-amerikanischen und europäischen Friedensbewegungen dazu kommt, so schwach sie auch heute noch sein mögen.
 
Und diese Ausprägung einer atomwaffenfreien Zone unter gleichzeitigem Verzicht auf die zivile Atomenergienutzung ist auch eine Perspektive für Europa, wenngleich die Verschrottung des französischen und britischen Atomwaffenarsenals ebenso utopisch erscheinen mag wie die des israelischen, wenngleich der französische und der finnische Atomkraftverzicht ebenso utopisch erscheinen mag wie der iranische.

So nachvollziehbar die Erklärung des Gipfeltreffens der Bewegung der Blockfreien NAM (Non-Aligned Movement) vom 28. August 2012 in Teheran mit der Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone für die Region bei gleichzeitiger Betonung des „unveräußerlichen Rechts aller Staaten auf die Entwicklung und Nutzung der Nuklearenergie zu friedlichen Zwecken“ auch sein mag, diese traditionelle atomwaffenfreie Zone wird das Problem nicht lösen. (PK)

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Autor Dr.-Ing. Dietrich Schulze war von 1966-2005 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord) tätig, anfangs als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hochenergiephysik-Projekten und später als Betriebsratsvorsitzender. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. und arbeitet in der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten. Viele Infos zur Zivilklausel-Bewegung finden sich in der Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
Kontakt: dietrich.schulze@gmx.de
 
 


Online-Flyer Nr. 369  vom 30.08.2012

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