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Krieg und Frieden
Ulrich Sander über den NATO-Raketenschild in Ramstein und am Niederrhein
Bereit zum Losschlagen in kürzester Frist
Von Winfried Wolf

Hunderttausendfacher Protest hatte einst in Kalkar am Niederrhein dafür gesorgt, daß dort kein Atomkraftwerk entstand. Die Bauten für den Schnellen Brüter bieten jetzt einem "Wunderland"-Freizeitpark Platz. Doch es gibt Grund, wieder in großer Zahl dort zu protestieren. Bundeswehrführung und NATO haben in Kalkar – ohne viel Aufsehen zu erregen – das Hauptquartier für Luftkriegsoperationen aufgebaut. Eingreiftruppen in aller Welt können seit 2012 von der von-Seydlitz-Kaserne aus kommandiert werden. Vom Schnellen Brüter zur Schnellen Eingreiftruppe mit 9.000 Soldaten. Die können im Auftrag der NATO in kurzer Zeit in den Krieg geschickt werden. Es wäre ein Krieg von deutschem Boden aus, ein Krieg, der auch unser Land zum Kriegsschauplatz macht. Dazu ein Interview von Winfried Wolf mit Ulrich Sander.


Ulrich Sander
NRhZ-Archiv
Frage: Ohne die Regierung in Berlin zu fragen, hat die westliche Vormacht USA entschieden, das Kontroll- und Führungszentrum für die geplante Raketenabwehr ins pfälzische Ramstein zu legen. Dem Abwehrsystem hatte Berlin im Allgemeinen zugestimmt – und nun soll es in unser Land kommen?
 
Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt unterhält die NATO zwar bereits eines ihrer beiden Hauptquartiere für den Einsatz im Luftraum der Allianz. Aber mit der amerikanischen Entscheidung für Ramstein wird Deutschland im Konfliktfall zum Frontstaat.  Zudem ist in Kalkar eine Filiale für das US- und NATO-Kommando für den Luftraum entstanden. Diese Kommandozentralen wären die ersten Ziele von Raketenangriffen.
 
Wird die Raketenabwehr denn nicht überall als defensiv empfunden?
 
Der russische Präsident Putin warf bereits vor seiner Wiederwahl den USA vor, mit dem Aufbau eines weltumspannenden Raketenabwehrsystems das „Gleichgewicht der strategischen Kräfte zu zerstören“. Er habe vergeblich eine rechtliche Garantie verlangt, dass die Raketenabwehr nicht gegen Russland gerichtet sei. Deshalb werde Russland mit der Entwicklung neuer Waffen reagieren, die den westlichen Raketenschirm durchschlagen könnten.
 
Am 3. Oktober ruft Ihr wegen dieser gefährlichen Entwicklung zu einer Antikriegsdemonstration in Kalkar auf. Kannst Du erklären, wer Ihr seid und warum Ihr Kalkar ausgewählt habt?
 
Wir sind das Ostermarschkomitee Rhein/Ruhr, das seit 50 Jahren im Land Friedensaktionen durchführt. Ich bin von Anfang an Ostermarschierer. Für den 3. Oktober planen wir eine Protestaktion an der NATO-Kommandozentrale in Kalkar. Es ist wieder große Gefahr. Bundeswehrführung und NATO haben dort - ohne viel Aufsehen zu erregen - Führungszentralen für weltweite Luftkriegsoperationen eingerichtet. Es wird der Krieg von deutschem Boden aus geplant und eingeübt.
 
Und warum am 3. Oktober?
 
Den 3. Oktober haben wir ausgewählt, weil es der Nationalfeiertag ist, an dem 1990 geschworen wurde „von deutschem Boden soll nur noch Frieden ausgehen“. Doch jetzt stecken wir wieder mitten drin in den Kriegen, was zu Zeiten der DDR und BRD verhindert wurde.
 
Ihr thematisiert im Zusammenhang mit Kalkar auch, dass die USA in Ramstein das Herz des NATO-Raketenschildes installieren. Worin besteht dieser Zusammenhang?
 
Kalkar und Ramstein müssen zusammen gesehen werden. Der US-amerikanische Kommandant von Ramstein ist zugleich der oberste NATO-Kommandierende in Kalkar. Er setzt die dortigen Kommandanten ein. Kalkar ist für die Region nördlich der Alpen zuständig, Ramstein für das Gebiet südlich. Das Raketenabwehrsystem soll ja offiziell von Ramstein aus gesteuert werden. Deutschland wird zum Frontstaat, der Ziel von Raketen würde. Und Deutschland hat noch nicht einmal ein Mitspracherecht im Einsatzfall. Ein General, der glaubt, eine Rakete im Anflug oder ein von Terroristen gekapertes Zivilflugzeug entdeckt zu haben, der fragt nicht lange nach bei der Bundesregierung. Und schon gar nicht beim Bundestag.
 
Sucht ihr noch weitere Unterstützer? Was ist geplant?
 
Geplant sind eine Sternfahrt und ein Protestmarsch. Die dortige Bevölkerung wiegt sich noch in Sicherheit mitsamt den todsicheren Arbeitsplätzen. Es wurde in Kalkar das Personal aufgestockt, während an anderen Standorten Personalabbau betrieben wird. Stolz präsentiert die Lokalpresse die Fotos von der gemeinsamen zivil-militärischen Karnevalssaison in Kalkar. An Unterstützung brauchen wir vor allem die Öffentlichkeit im ganzen Land.
 
Ihr seid also mit der Behandlung des Themas in den Medien unzufrieden?
 
Der Plan der Einrichtung des Raketenabwehrsystems auf deutschem Boden wurde in den Medien mit Kleinstmeldungen abgetan. Auch der Plan, dass von Deutschland aus und durch deutsche Truppen Drohnen, also unbemannte aber schwerbewaffnete Flugkörper namens Drohnen eingesetzt werden sollen, löst keine Aufregung aus. Doch diese Bewaffnung, die ja ebenfalls für die Luftabwehr à la Kalkar Bedeutung haben wird, ist mit das Abscheulichste, was vorstellbar ist. Im Ziel werden jeweils große Ansammlungen von Zivilisten gleich mit ermordet. 
 
Herrscht in Deutschland zuviel Stillschweigen angesichts neuer militärischer Entwicklungen?
 
Das Raketenabwehrsystem, als es in Polen und Tschechien geplant war, hat ja sogar dort Unruhe ausgelöst. Hier müssen wir Unruhestifter sein. Denn Raketen sind Magneten.
 
Woher kommt die Haltung vor Ort, warum gibt es so wenig Kritik am Ausbau des Bundeswehr- und NATO-Stützpunktes?
 
Es liegt nicht nur an unvollständiger Berichterstattung. Beunruhigen müsste eigentlich vor Ort die Meldung der regionalen Zeitung NeueRheinZeitung aus dem WAZ-Konzern: „Die Nato spielt Krieg - und am niederrheinischen Kalkar wird er auf dem Reißbrett mit geplant und gesteuert.“ Die Übungen in der von-Seydlitz-Kaserne, so schrieb das Blatt, könnten schnell ernst werden, wenn „im Konfliktfall solche Entscheidungen deutlich über die kleinen Punkte auf den Computerbildschirmen hinaus Tragweite haben; dann lägen Menschenleben in den Händen der Soldaten.“
 
Die Übung kann also in Minuten in Kriegshandlung umschlagen, ohne dass der Bundestag gefragt wird?
 
Es wurde sogar bekannt, dass von Kalkar aus angebliche Zivilflugzeuge mit Terroristen an Bord abgeschossen werden sollen, was laut Bundesverfassungsgericht illegal ist. Es ist ein Verstoß gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes, das Leben und Würde jedes Menschen schützt und es ist ein Verstoß gegen die Abschaffung der Todesstrafe. Auch der Einsatz von Drohnen wird einen solchen Verstoß darstellen. Solche angeblichen Antiterroraktionen ziehen den Terror an.
 
Erörtert wird auch, dass die NATO noch mehr Macht erhält.
 
Ja, im Mai hieß es in den Zeitungen: „Bundesrepublik soll das Recht aufgeben, den Einsatz gemeinsamer Waffensysteme zu blockieren.“ Der Einsatz von NATO-Einrichtungen soll nicht mehr unter Kontrolle der nationalen Parlamente stattfinden. Das erinnert an die Abschaffung der Haushaltsrechte des Bundestages durch die EU. Dasselbe nun in Olivgrün. Die Demokratie bleibt dabei auf der Strecke – und vor allem der Frieden. (PK)
 
Dieses Interview wurde von Winfried Wolf in der 34. Ausgabe der "Zeitung gegen den Krieg" veröffentlicht, die zum Antikriegstag/Weltfriedenstag, dem 1. September 2012, erschien. Sie wurde 1999 im NATO-Krieg gegen Jugoslawien gegründet.
Ulrich Sander ist Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN – BDA).


Online-Flyer Nr. 370  vom 05.09.2012

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