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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
"Jetzt kehren sie zurück, nicht mehr mit Kanonen, sondern mit dem Euro"
Eurozone vor dem Kollaps
Von Hans Georg

Der drohende Kollaps der Eurozone lässt die nationalen Gegensätze zwischen dem dominanten Deutschland und den Staaten Südeuropas eskalieren. Weil Berlin weiterhin jegliche Krisenmaßnahmen blockiert, die - wie der Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB oder die Ausweitung des "Rettungsschirms" ESM - den Krisenstaaten rasch helfen könnten, nehmen insbesondere in Italien die Proteste gegen die deutsche Politik zu. Deutschland kehre zurück, "nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Euro", heißt es in der italienischen Presse: Rom müsse sich "dem neuen Kaiser namens Angela Merkel unterwerfen" und die Berliner Diktate umstandslos erfüllen.
 
Selbst treue Verbündete rücken mittlerweile von der Blockadepolitik der Bundesregierung ab. Man müsse dem "Rettungsschirm" ESM endlich eine Banklizenz verleihen, die es ermögliche, ihn zu "hebeln", verlangt der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Deutsche Politiker setzen ohne Abstriche ihren entgegengesetzten Kurs fort. Wie der bayrische Finanzminister Markus Söder (CSU) fordert, soll Deutschland stärkeren Einfluss in der EZB bekommen. Das würde es Berlin erlauben, seine - für die Krisenstaaten fatale - restriktive Geldpolitik noch fester zu zementieren.
 
Züge der Auflösung
 
Die Eurozone steht kurz vor dem Kollaps. Angefacht durch die sich zuspitzende Krise, eskalieren die nationalen Gegensätze zwischen der dominierenden Großmacht Deutschland und den südeuropäischen Krisenstaaten. Die längst öffentlich ausgetragenen Interessengegensätze entluden sich zuletzt in heftigen Angriffen deutscher Politiker und Massenmedien gegen den italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti, der davor gewarnt hatte, die Eurokrise zerstöre die "Grundlagen des Projekts Europa": "Die Spannungen, die in den letzten Jahren die Euro-Zone begleiten, tragen bereits die Züge einer psychologischen Auflösung Europas." Monti drängte Berlin kaum verhüllt zu wirksamen Krisenmaßnahmen und empfahl in diesem Zusammenhang den Regierungen, sich nicht "vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden" zu lassen.[1] Berlin, das ja maßgeblich das Spardiktat durchgesetzt hat, an dem die Eurozone gegenwärtig zerbricht, solle zumindest "jenen Staaten in der Euro-Zone etwas mehr Spielraum lassen, die den europäischen Vorgaben am genauesten folgen".[2]
 
Ressentiments schüren
 
Deutsche Koalitionspolitiker reagierten mit offenen Ressentiments auf die Mahnungen des "Technokraten" Monti, dessen Expertenkabinett letztes Jahr insbesondere auf Druck aus Berlin und Paris eingesetzt worden war und die gewählte Regierung Berlusconi abgelöst hatte. Der FDP-Politiker Frank Schäffler warf Monti vor, er wolle "seine Probleme auf Kosten des deutschen Steuerzahlers lösen und verpackt das in Europa-Lyrik".[3] "Die Gier nach deutschen Steuergeldern treibt bei Herrn Monti undemokratische Blüten", erklärte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt: "Herr Monti braucht offenbar die klare Ansage, dass wir Deutsche nicht bereit sein werden, zur Finanzierung der italienischen Schulden unsere Demokratie abzuschaffen." Vergleichbare Äußerungen waren nicht zu hören, als in Deutschland letztes Jahr in aller Öffentlichkeit mehrfach "weniger Demokratie" gefordert wurde (german-foreign-policy.com berichtete [4]). In Italien stießen die deutschen Invektiven auf scharfen Protest. Die Zeitung Libero etwa bemerkte zu den Ausfällen gegenüber Monti: "Die Nazideutschen wollen uns Lektionen in Demokratie geben." Während der bayrische Finanzminister Söder noch weiter ging und in autoritärer Diktion forderte, an Griechenland ein "Exempel" zu statuieren und das sozioökonomisch kollabierende Land aus der Eurozone zu drängen [5], sah sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle angesichts der rhetorischen Eskalation und ihrer Rezeption im Ausland genötigt, seine bayrischen Koalitionsfreunde zur Mäßigung zu rufen: "Ressentiments schüren, um sich innenpolitische Stimmungsvorteile verschaffen, diese Zeit sollte in Europa endgültig vorbei sein."[6]
 
In der Sache knallhart
 
In der Sache jedoch bleibt auch Westerwelle knallhart und verweigert weiterhin jegliche wirksamen Krisenmaßnahmen, die zu einer Entspannung der wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Lage in Südeuropa beitragen könnten. Europas südliche Krisenländer befinden sich in einer ökonomischen Zange, in der steigende Zinsen und eine eskalierende Rezession alle Fortschritte bei der von Berlin oktroyierten Haushaltskonsolidierung unterminieren. Der deutsche Außenminister jedoch lehnt die Ausweitung des Rettungsfonds ESM und den Aufkauf von Staatsanleihen europäischer Krisenstaaten durch die EZB - beides könnte die Lage des Südens erleichtern - kategorisch ab. Der Erteilung einer Banklizenz für den ESM, die es ermöglichen würde, den "Rettungsfonds" zu hebeln und ohne Zusatzkosten zu helfen, erteilt Westerwelle ebenfalls eine Absage: Sie könnte Risiken für Deutschland enthalten. Der Bundestag müsse in diesem Zusammenhang als "Hüter der deutschen Steuergelder" agieren, betonte Westerwelle.[7] Praktisch bestehen tatsächlich keinerlei Differenzen zwischen Westerwelle und den "Scharfmachern" aus den Reihen der CSU wie dem bayrischen Finanzminister Söder, der erklärte, er wolle "keine Inflationsbank" auf "deutschem Boden".[8] Söder fordert mittlerweile offen einen stärkeren Einfluss Deutschlands in der EZB.[9]
 
Im Zusammenbruch
 
Durch ihr Beharren auf striktem Monetarismus unterminieren deutsche Politiker faktisch das Spardiktat, das sie der Eurozone selbst aufgezwungen haben. Italien, Spanien und Griechenland befinden sich in einer ökonomischen Abwärtsspirale, die gerade durch Berlins tödliche Kombination aus rigider Sparpolitik und restriktiver Geldpolitik ausgelöst wurde (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Italiens Bruttoinlandsprodukt (BIP) befindet sich seit einem Jahr in Kontraktion, die Industrieproduktion brach allein im Juni um 8,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ein. In Spanien, wo die konservative Regierung aufgrund neuer rezessionsbedingter Haushaltslöcher ihren Sparkurs drastisch verschärfen musste, stürzte die Industrieproduktion um 6,9 Prozent ab. Aufgrund der Weigerung Berlins, Anleiheaufkäufe durch die EZB zuzulassen, sieht sich Madrid überdies mit einer Zinslast von mehr als sieben Prozent bei zehnjährigen Staatsanleihen konfrontiert - bei einer Arbeitslosigkeit von über 22 Prozent. In Spanien wachse "die Einsicht, dass das Land trotz des nochmals verschärften Sparkurses nicht an einem Hilfsantrag vorbeikommen wird", kommentierte die deutsche Presse.[11]
 
Demagogie und Dogmen
 
Berlins Blockadehaltung, die von einem überschäumenden Chauvinismus in Deutschland begleitet wird, findet wachsenden Widerhall im europäischen Ausland. Berlin gebe sich "am Anfang der Krisen immer unnachgiebig", bemerkte etwa die spanische Zeitung La Vanguardia. Auf halbem Wege ändere die Bundesregierung dann ihre Meinung, kehre jedoch "schlussendlich wieder zum ursprünglichen Standpunkt zurück" und beharre "auch im entscheidenden und endgültigen Augenblick darauf".[12] Die italienische La Stampa diagnostizierte einen "neuen deutschen Nationalismus", der auf starken "nationalistischen und antieuropäischen Ressentiments" in Deutschland beruhe und sich in einem "gefährlichen Kurzschluss aus Demagogie und Dogmen einer konformistischen akademischen Welt" äußere.[13] Die Zeitung Il Giornale kommentiert: "Jetzt kehren sie zurück, nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Euro. Die Deutschen sehen sie als ihre Sache an, wir müssen alles hinnehmen, uns dem neuen Kaiser namens Angela Merkel unterwerfen, die nun auch bei uns zu Hause kommandieren will". Selbst Österreich, das als einer der letzten Verbündeten Berlins galt, rückt inzwischen von der harten deutschen Blockadehaltung ab. Die österreichische Zeitung Die Presse kommentiert: "Während sich der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann inzwischen wiederholt für eine Banklizenz für den 'permanenten Rettungsschirm' ESM ausgesprochen hat, blockiert Deutschland auch hier weiterhin."[14]
 
Eine deutsche EU
 
Noch deutlicher legt der private Nachrichtendienst Stratfor die Rolle der Bundesrepublik in der Eurokrise offen. "Die Wahrheit ist", schreibt Stratfor, "dass die Krise dadurch ausgelöst wurde, dass Deutschland das Handelssystem nutzte, um die Märkte mit Waren zu überfluten, die Konkurrenz auszuschalten, und für jeden sorglos geliehenen Euro wurde ein Euro sorglos verliehen."[15] Wie jeder gute Politiker habe Merkel es verstanden, einen Mythos "vom verschlagenen Griechen und von treuherzigen deutschen Bankern" zu schaffen. Merkels Politik sei ihr unter den Bedingungen extremer Exportabhängigkeit "von dieser Realität aufgenötigt" worden. Merkel habe "sicherstellen" müssen, "dass die Freihandelszone intakt bleibt". Zudem habe Deutschland "die Kosten der Stabilisierung des Systems minimiert, indem sie auf andere Länder abgewälzt wurden". Schließlich habe Merkel "ihre Landsleute überzeugen" müssen, "dass die Krise durch verschwenderische Südeuropäer ausgelöst" worden sei. Die deutsche Dominanz solle laut Stratfor durch eine gestärkte und "deutsche Struktur" der Europäischen Union gesichert werden; die deutsche Politik in der Eurokrise sei von der Maxime geprägt, im Gegenzug für Zugeständnisse "eine neue europäische Struktur" zu erzwingen, in der die Eurostaaten "eine Aufsicht Brüssels über ihre Haushalte akzeptierten". Letztendlich habe Berlin dabei jedoch keine andere Option, als entweder die "Kosten der Krise zu absorbieren" oder die "Freihandelszone zerfallen" zu lassen. Die aktuelle Politik der Bundesregierung deutet auf letzteres hin. (PK)
 
[1] Monti fürchtet Auseinanderbrechen Europas; www.spiegel.de 05.08.2012
[2], [3] Montis Forderungen empören deutsche Politiker; www.ftd.de 06.08.2012
[4] s. dazu Weniger Demokratie wagen, Weniger Demokratie wagen (II) und Europa driftet (I)
[5] CSU will Griechenland schnell aus dem Euro drängen; www.spiegel.de 05.08.2012
[6] Stunde der Scharfmacher; www.spiegel.de 05.08.2012
[7] Westerwelle gegen Anleihekäufe; www.ftd.de 04.08.2012
[8] Seehofer attackiert Eurogruppenchef Juncker; www.tz-online.de 30.07.2012
[9] Söder fordert mehr deutschen Einfluss auf die EZB; www.focus.de 07.08.2012
[10] s. dazu Aus der Krise in die Krise, Steil abwärts und Berlins europäische Rezession
[11] Rajoy und die Hoffnung auf eine "weiche" Rettung; www.faz.net 05.08.2012
[12] Wenn wir endlich wissen, was Deutschland will; www.presseurop.eu 01.08.2012
[13] Stolz und Vorurteil; www.presseurop.eu 06.08.2012
[14] Eurokrise: Fortschritte in Athen, Streit in Europa; diepresse.com 05.08.2012
[15] Financial Markets, Politics and the New Reality; www.stratfor.com 07.08.2012
 
Diesen aktuellen Bericht finden Sie unter
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58395
 
Dort finden Sie folgende Berichte und Hintergründe zur Euro-Krise:
Die deutsche Transferunion, Die Germanisierung Europas, Aus der Krise in die Krise, Steil abwärts, Der Krisenprofiteur, Souveräne Rechte: Null und nichtig, Europa auf deutsche Art (I), Europa auf deutsche Art (II), Ausgehöhlte Demokratie, Jetzt wird Deutsch gesprochen, Va Banque, Va Banque (II), Europa: Am Rande des Abgrunds, aber deutsch, Europa: Am Rande des Abgrunds, aber deutsch (II), Berlins europäische Rezession, Verelendung made in Germany, Der Berliner Todeswunsch, Der nächste entmachtete Staat, Alles oder nichts, Mit der EU zur globalen Führung, Der Aufschub, Nicht mehr lange im selben Club und Wirtschaftskulturen.
 
 


Online-Flyer Nr. 366  vom 09.08.2012

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