NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

zurück  
Druckversion

Kultur und Wissen
Eindrücke vom SDAJ-Festival der Jugend in Köln
Sommercamp der jungen Revolutionäre
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

An einem kalendarisch frühen Pfingstwochenende fand bei sommerheißem Wetter das alle zwei Jahre veranstaltete Festival der Jugend der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend SDAJ auf den Rheinwiesen im Kölner Rhein- und Jugendpark statt. Auf dem ausgedehnten Gelände war für alles gesorgt: Essen, Trinken, Bandcontest, Sportplatz, Cocktailbar, Filmzelt, Info-, Buch- und Zeitungsstände und reichlich Gelegenheit zum Kennenlernen, Informieren und Diskutieren. Die NRhZ sprach mit TeilnehmerInnen von 17 bis 87 Jahren über ihre Eindrücke und Zielvorstellungen innerhalb einer politischen Jugendorganisation.


Lea
Alle Bilder: arbeiterfotografie.com

Die 18jährige Lea, die im sonnengeschützten Infostand der SDAJ gerade Schicht schiebt, kommt gebürtig aus Kiel und wohnt jetzt in Marburg, wo sie eine Ausbildung zur Ergotherapeutin absolviert. Befragt, wie ihre politischen Idealvorstellungen, die sie in Personen wie Bert Brecht, Rosa Luxemburg und Karl Marx verwirklicht sieht, mit ihrem momentanem Leben zusammenpassen, überlegt sie kurz: „Grad nicht so sehr. Ich mache zurzeit eine Ausbildung zur Ergotherapeutin und sehe das Politische auch darin, Menschen einzubinden, die körperliche oder geistige Beeinträchtigungen haben, die Menschen als Menschen zu sehen.“ Aber da sie aktiv in einem revolutionären Jugendverband organisiert ist, ist für sie die Ausbildungssituation von Jugendlichen ein Schwerpunktthema. „Es geht natürlich darum, wie es mit den Kosten der Ausbildung läuft – auch für Schüler. Ich mache jetzt eine Ausbildung, die kostet eigentlich Geld – bis zu 800 Euro im Monat. Ich habe einen Platz in einer Schule bekommen, die kostenfrei ist. Das ist das, wofür ich momentan kämpfe, dass man Azubis unterstützt und Solidarität zeigt und das nicht nur in Deutschland.“

Welche Rolle spielt die schrankenlose kapitalistische Wirtschaftswelt für die Zukunftsaussichten einer 18jährigen jungen Frau – was erhofft sie sich? „Einen kompletten Umbruch. Ich war jetzt einen knappen Monat auf Kuba. Wenn die (wirtschaftlich) auch alleine stehen, habe ich doch gesehen, dass die das total toll hinkriegen. Mit vielen Problemen – keine Frage. Da sehe ich jetzt die Arbeit für uns, das zu unterstützen. Und aktuell Griechenland. Wir müssen überlegen, wie wir diesen Kampf unterstützen können und auf Deutschland übertragen und auch hier die Probleme deutlich machen.“

Gegen Krieg und Armut

Der 28jährige Pablo ist Informatikstudent und lebt in Marburg. Wie umreißt er seine Ziele als Mitglied der SDAJ?


Pablo

„Wir wollen vor allem eine Welt, in der man nicht fürchten muss, arm zu werden – in der man dadurch, dass man arm ist, ausgeschlossen ist von gesellschaftlichen Prozessen – also auch eine stärkere Teilhabe hat, indem man eine Gesellschaft der Gleichheit hat. Wir sind schon der Meinung, dass unser schönes Ziel, der Kommunismus, unser Ideal ist und dass wir auch mit unserem kleinen Camp hier den schwierigen Weg dorthin finden wollen. Anderer Punkt: nicht nur Armut, sondern auch Kriege. Wir leben ja nicht nur in einem Jahrzehnt, sondern das vergangene Jahrhundert ist ja ein Jahrhundert gewesen, wo es unglaublich schwerwiegende Folgen für die Menschheit gab durch riesige Kriege, wo wir der Auffassung sind, dass die entstanden sind durch die Widersprüche in der Gesellschaft – den Unterschied zwischen Kapital und Arbeit. Wir kämpfen gegen Krieg, und wir kämpfen gegen Armut.“

Worin bestehen die Herausforderungen im politischen Alltag? „Zunächst geht es ja darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen: was sind das für Verhältnisse, in denen wir leben. Und wie kann man sich für seine eigenen Interessen einsetzen. Und da fängt es gleich an. Wir sind in der Regel auch immer Interessensvertreter, ob in der Schule, in der SV, in der Gewerkschaft, im Personalrat (je nachdem, wo man gerade ist), in der Uni im ASTA. Dort kann man die Widersprüche, die es gibt, relativ gut deutlich machen.“ Gibt es bezogen auf die politische Ausrichtung des Jugendverbandes auch Vorbehalte? „Unsere Bewegung, dieses Ideal hat ja einen negativen Touch in Deutschland dadurch, dass wir ein Frontstaat im Kalten Krieg waren. Ich glaube, wenn man mit der Tür ins Haus fällt, gewinnt man wenige Leute. Aber wenn man sich für die Leute einsetzt und man merkt, dass man auf derselben Seite steht, dann ist das nie ein Problem – auch nicht mit den weitergehenden Zielen, mit dem Ideal.“

Wie sieht es denn aus in der antifaschistischen Jugendarbeit der roten AntiFa und dem Einfluß von so genannten Antideutschen? „Wir haben ja leider die Situation, dass wir uns in Bündnissen mit diesem Phänomen auseinandersetzen müssen. Letztlich ist es gefährlich, weil es zu einer Spaltung in der AntiFa-Bewegung geführt hat, und nicht nur in der AntiFa, sondern auch in strömungsübergreifenden Organisationen wie der Roten Hilfe. Unsere Einschätzung ist schon so, dass wir es bei den Antideutschen mit einer reaktionären Ideologie zu tun haben. Also etwas, was wir eigentlich gar nicht gebrauchen können in der AntiFa-Bewegung. Wir wollen versuchen, dort Leute zusammenzubringen, damit z.B. Naziaufmärsche verhindert werden können, damit das, was der Faschismus ist, seine Funktion, enthüllt werden kann. Da verklären die Antideutschen häufig.“ Indem sie spezielle Felder der Faschismus ausblenden? „Ja, ganz recht. Wir sind z.B. auch nicht der Meinung, dass allein durch das Kriterium, dass man Deutscher ist, deswegen rassistisch oder antisemitisch ist, sondern es kommt darauf an, was für ein Bewusstsein man hat und welche Funktion man gerade ausübt. Pogrome sind häufig im Interesse der Herrschenden gewesen. Man denke an Rostock-Lichtenhagen Anfang der 1990er, wo bürgerliche Parteien auf diesen Zug aufgesprungen sind. Da denke ich, dass solche Pogrome nichts sind, was Deutschen per se anhaftet, sondern das wird in Politik umgesetzt.“

Ganz oder gar nicht

Auch die 17jährige Abiturientin Lena aus München, die ein schattiges Plätzchen im Gras gefunden hat, hat klare Vorstellungen: „Meine Idealvorstellung von einer zukünftigen Welt ist der Sozialismus. Eine Gesellschaft, in der es keine Armen und keine Reichen gibt, sondern in der die Arbeiter das Eigentum an den Produktionsmitteln haben und die Gesellschaft von den Arbeitern kontrolliert wird. Eine Gesellschaft, in der niemand mehr ausgebeutet wird, sondern in der quasi alles nach unseren persönlichen Vorstellungen funktioniert, so wie wir das wollen, wo wir uns selbst verwirklichen können.“ Für die, die es nicht wissen, erläutert Lena: „Arbeiter sind nicht nur – wie man sich das manchmal vorstellt – die Leute, die in der Fabrik am Fließband stehen, sondern die Leute, die keine Produktionsmittel besitzen und die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen.“


Lena

Was ist Dein Schwerpunkt in Deiner politischen Jugendorganisation? „Ich bin aktiv in der Schülerpolitik, habe teilgenommen an der bundesweiten Bildungsstreik-Konferenz in Nürnberg. An unserer Schule haben wir zum Bildungsstreik Basisarbeit geleistet. Wir haben mit der SV einen Aufruf gemacht, worauf 300 Leute von unserer Schule geschlossen teilgenommen haben – was ein großer Erfolg war.. Ich habe vor, weiter aktiv zu sein, weil ich das als sehr wichtig empfinde. Und ich denke mir, dass man das entweder ganz oder gar nicht machen muss – weil halb bringt’s halt nichts.

Der 38jährige gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann Nikos aus Gütersloh hat griechische Wurzeln und zahlreiche Erfahrungen gesammelt – auch in Zusammenarbeit mit der „perspektivisch folgerichtigen Partei“, der DKP, wie der ehemalige SDAJ-Vorsitzende Patrik Köbele in einer SDAJ-Vorstellungs- und Mitglieder-Werberunde mit dem jetzigen Vorsitzenden Björn Schmidt die von ihm seit 1968 mit aufgebaute, kleine aber starke Jugendorganisation bezeichnet.

Diesen Planeten regenerieren

Nikos: „Ich bin Verfechter einer friedlichen multipolaren Welt, in der die Freiheit eines jeden Menschen als Grundrecht unabhängig von seiner Herkunft garantiert wird. Eine der wichtigen Aufgaben, die wir heute haben, ist, dass die zukünftigen Generationen – also auch für eigene Kinder – diesen Planeten nicht nur intakt vorfinden. Intakt ist zuwenig. Wir müssen diesen Planeten regenerieren, denn durch die imperialistischen Auseinandersetzungen der letzten 60, 70 Jahre sind große Teile verseucht worden. Ob das in Afrika oder in Chile Minen sind, wo die Erde nach Gold, Coltan, Diamanten, Bauxit, Kupfer ausgebeutet wird. Dieser Raubkapitalismus, der große Schäden an der Natur und an den Menschen hinterlassen hat. Oder der Chemiewaffeneinsatz, Agent Orange in Vietnam, in Korea. Diese Kriege haben vor Jahrzehnten stattgefunden, aber die Menschen kämpfen dort mit Missbildungen. Landwirtschaftliche Flächen wurden zu einem großen Teil auf unabsehbare Zeit zerstört, so dass die Nahrungsversorgung nicht garantiert werden kann.“ Und was kannst Du in Deutschland heute tun, um solche Szenarien zu verhindern? „Letztlich entsteht Terror auch im Kopf über die Bilder, die wir tagtäglich sehen – Bilder von extremer Gewalt... Im Jugoslawienkrieg von 1999 habe ich erlebt, wie in meinem Bekanntenkreis trotz Information auch von linken Medien meine damaligen Freunde sich haben fanatisieren lassen und sich diesem Mainstream preisgegeben haben. Wenn wir heute betrachten, wie sich die Dinge entwickeln, wie entwickelt sich ein Krieg, da erwarte ich von jedem erwachsenen Menschen, dass er in der Lage ist, selber zu hinterfragen.“


Nikos

Worin besteht Deine politische Arbeit?  „Als erstes im Recherchieren, bürgerliche Nachrichten zu hinterfragen und Gegeninformation zu suchen und gleichzeitig zu schauen, was machen eigentlich Arbeitskämpfe im Ausland. Ich bin Grieche, da informiere ich mich aus griechischen Quellen. Der nächste Schritt besteht darin, über Netzwerke wichtige Informationen zu verbreiten. 2008 bei der bedrohlichen Situation im Kaukasus wurde ein Antikriegsseminar organisiert mit Referenten, die einen tieferen Einblick haben. Ich habe meine politische Arbeit intensiviert, habe es geschafft, eine tolle Jugendarbeit aufzubauen in unserer Stadt. Und daraus haben sich richtig gute, dicke Freundschaften ergeben. – Mit der SDAJ arbeite ich gerne zusammen, weil ich sie für den besten Jugendverband in Deutschland halte. Aber ich arbeite nicht nur mit parteipolitischen Organisationen zusammen. Vor elf Jahren, nach dem 11. September (vorher auch was den Krieg gegen Jugoslawien betrifft), da beziehe ich mich gerne auf Recherchen der Arbeiterfotografie, die dort zusammengestellten Berichte, Dokumente, Fotos, die ein Instrument sind gegen die Vernebelung der Meinung der Menschen über die Massenmedien.“

Der Gegner greift ungeheuer an

In der Gesprächsrunde „Weniger Lohn, weniger Sicherheit, weniger Chancen – Die Erwerbssituation junger Frauen“ begegnen wir der 87jährigen Antifaschistin Erika Baum, die sich im Alter als herrlich frei bezeichnet: „Das ist übrigens ein Vorzug vom Altsein. Ich bin ja in einer ungeheuren Weise ungehemmt. Es kann mir nix mehr passieren, kein Rinderwahn, ... und es kann mich auch niemand falsch verstehen.“

Auf einer Bank im Schatten eines roten SDAJ-Sonnenschirms, umringt von musikalischen Klängen vom Cafe K und weiteren Diskussionsrunden aus dem nahe liegenden Großzelt unterhalten wir uns mit Erika Baum, die 1924 in Wien geboren wurde und die ihrem Mann, der aus Mauthausen kam, der, wie sie sagt „Auschwitzer“ war, nach Berlin gefolgt ist, wo sie heute noch lebt.

Die Frage nach der akuten Kriegsdrohung gegenüber Syrien und Iran beantwortet sie aus historischer Perspektive: „Da hilft mir die Erfahrung, die ich in der Zeit des Hitlerfaschismus hatte, zu erkennen: Nein, ich verteidige nicht diese Ordnung in Syrien und Iran. Aber ich greife sie nicht als ein Kumpan, als ein Instrument des USA-Imperialismus an. Das mache ich nicht. Und von daher ist die Lehre, die ich von 1934 bis 1938 in Österreich mitkriegte, für mich eine erlebte theoretische Geschichte, die ich nicht nur in einem Buch lese, sondern erlebt habe.


Erika

Dieser Krieg wird ausgegeben als ein Krieg, ein Kampf gegen eine Ordnung, die man nicht anerkennt – sowohl in Syrien als auch im Iran. Wir müssen in solchen Zeiten, wo die Welt in Gefahr gerät, wenn dieser Krieg geführt wird, den sie vorbereiten, den sie schon in Libyen ausprobiert haben - so wie in Spanien damals (1936) - den imperialistischen Krieg ablehnen. Und wenn sie dabei wieder fordern, mit Bomben gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern, dann ist das für die Menschheit eine außerordentliche Gefahr. Das ist eine solche Gefährdung... Israel hat die Atombombe. Wenn das einbezogen ist, weiß ich nicht, ob dann schon Schluss ist oder nicht... Ich bin ja der Meinung, dass der Gegner ungeheuer angreift. Ungeheuer. Und mit so geschickten Methoden, so lernfähig ist.“

Müssen die jungen Leute neue, bessere Methoden entwickeln, um die Verhältnisse zu durchschauen, zu verbessern, um Kriege aufzuhalten?

Das Notwendige tun

„Ich weiß nicht, ob wir uns das genügend genau anschauen, mit welchen Methoden von Beeinflussung vorgegangen wird, diese Verdummung, diese einseitige Verdummung, die so raffiniert gemacht ist... Sie haben ja Psychologen angesetzt, die sich auskennen mit Tiefenpsychologie. Auf welcher Ebene bekämpfen wir das, erwischen wir es? Zur Zeit des Hitlerfaschismus hat der Erich Fromm gesagt, die Nazis arbeiten mit der Tiefenpsychologie: Ich bin mehr wert – Ich bin eine höhere Rasse. Und wir antworten mit allgemeinen theoretischen marxistischen Lehrsätzen. Und das trifft sich nicht! Wir müssen die Fähigkeit erlangen, diesen allgemeinen Lehrsatz in die Erkenntnis, in das Material des Menschen, mit dem wir reden, einzubauen."

Wenn Du den jungen Leuten hier ein Wort mit auf den Weg geben würdest, wie die Welt zu sein oder zu werden hat – was wäre das?

„Das ist deshalb schwer, weil ich nicht sehr viel Hoffnung habe. Meine Losung ist: ohne Illusion das Notwendige tun. Das ist für mich mein Motto. Aber deshalb habe ich auch die Sache mit den kämpfenden Frauen so gerne, weil, wenn wir auch nicht dabei sind, wenn der große Sieg ist, oder wenn wir es nicht schaffen, so haben wir im Kämpfen eine Möglichkeit des freier Seins, als man es sonst im Alltag ist.“ (PK)



Online-Flyer Nr. 356  vom 30.05.2012

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE