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Inland
Warum die Atomlobby einen massiven Strompreisanstieg vorhersagt
Atomausstieg und KIT Atomreaktorforschung
Von Dietrich Schulze

Seit Mitte Mai geistert eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie KIT durch die Presse der Republik. Schlagzeile „Strompreise steigen bis 2025 um 70 Prozent“. Düstere Aussichten für Verbraucher, für Privathaushalte wahrscheinlich noch stärker, sagen Energieforscher des KIT voraus. „Durch die erneuerbaren Energien werden wir komplexe Systeme bekommen“, sagt der KIT-Vizepräsident für Forschung und Innovation und Kerntechniker Dr. Peter Fritz.
 

KIT-Vize Dr. Peter Fritz
Quelle: KIT edu
Man braucht nicht viel Phantasie, um zu erkennen, was die KIT-Atomlobby mit der Studie bezweckt. Es soll zu einem Stimmungswandel in der Bevölkerung beigetragen werden, dass man um die Atomkraft als längerfristige Übergangs-lösung leider doch nicht herum kommt. Wenn der Übergang zu den Regenerativen so teuer zu stehen kommt, muss wohl oder übel dafür auch die Atomforschung für neue Reaktoren am KIT fortgesetzt werden, das ein Zusammenschluss von Universität und [Kern]Forschungszentrum Karlsruhe ist.
 
Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Franz Untersteller (GRÜNE) hat die Studie umgehend zurück gewiesen und mit dem „Orakel von Delphi“ verglichen. Mit dieser harschen Kritik erweckt er den Eindruck, als sei er der Sachwalter des beschlossenen Atomausstiegs. Das geht jedoch haarscharf an der Wirklichkeit vorbei.
 
Zwar hat er erklärt, dass nur noch für die Sicherheit des Rückbaus der Anlagen und der Endlagerung und nicht für neue Reaktoren geforscht werden soll, aber er schweigt wie seine Grünen-Kollegin Wissenschaftsministerin Theresia Bauer über die Fortsetzung genau jener KIT-Forschung an Reaktoren der IV. Generation (Transmutation), die viel Personal und erhebliche Mittel bindet.
 
Das kann belegt werden mit der bewußten Ausklammerung dieser Reaktorforschung aus einem Mediationsverfahren, das Ende 2011 abgeschlossen wurde. Es ging um die atom­rechtliche Genehmigung für den Umgang mit großen Mengen an spaltbarem Material im Europäischen Institut für Transurane ITU, das auf dem Gelände des ehemaligen Forschungszentrums (jetzt KIT Campus Nord) liegt und mit dem Atomforschungsprogramm des KIT verflochten ist. Die Vertreter des BUND in der Mediation und der Autor hatten vergeblich versucht, den Zusammenhang zum Gegenstand der Mediation zu machen. Selbst das Angebot eines einstündigen (!) Expertengesprächs wurde ignoriert. Zitat aus der Email des Autors vom 20. Juli 2011 an die beiden Minister:
 
„Wenn sich herausstellen sollte, dass das Transmutationsforschungsprogramm ("Atomreaktoren der 4. Generation") als unvereinbar mit dem Atomausstieg eingestellt werden muss (das jedenfalls ist Beschlusslage der NRW-Landesregierung) und damit der vermutete Hauptgrund für den Umgang mit den großen Mengen an spaltbarem Material entfällt, geht es um ein grundsätzlich anderes Verfahren. Meinem Dafürhalten nach ist es eine unwissenschaftliche Herangehensweise, nur die Eindämmung der Folgen zu diskutieren, ohne die Ursachen in den Blick zu nehmen.“
 
Die KIT-Führung weiß seit der in ihrem Sinne erfolgreich verlaufenen Mediation nach dem Muster von „Stuttgart 21“, dass von dieser Landesregierung nichts zu befürchten ist. Nun gehen die KIT-Atomlobbyisten zum Gegenangriff über.
 
Über solch plakative Minister-Kritik („Orakel von Delphi“) brauchen sie sich keine Sorgen machen und können diese plump zurückweisen: „Wer die Erneuerbaren Energien liebt, begleitet sie kritisch.“ Die CDU-Opposition wittert nach ihrem NRW-Debakel Morgenluft und spielt sich als Verteidiger der Geschmähten auf: „Schließlich handelt es sich beim international renommierten KIT um eine politisch neutrale Forschungseinrichtung.“
 
Und alle Seiten schweigen ganz neutral und einträchtig weiter über die gegen den Atomausstieg gerichtete Fortsetzung der KIT-Atomreaktorforschung. Eine politische Komödie, die am Kern der Sache vorbei geht und über den die Öffentlichkeit aufgeklärt werden müsste.
 
Die Atomreaktorforschung am KIT muss unverzüglich beendet werden. Das frei werdende Personal kann problemlos für zukunftsfähige Forschung gewonnen werden.
 
Bei der vom „Deutschen Atomforum“ in Stuttgart ausgetragenen „Jahrestagung Kerntechnik“ vom 22.-24. Mai wird es sicherlich nicht darum gehen, sondern um das genaue Gegenteil. Das großspurige Schlagwort der Atomlobby heißt wie seit Jahren "Kompetenzerhalt". Kompetenzerhalt wofür? Und gewiss wird über die „Pakistan-Connection“ (Wochenzeitung KONTEXT) des KIT-Vorlaufers Forschungszentrum kein Wort verloren werden. Eine vorurteilsfreie Geschichtsaufarbeitung des KIT-Vorläufers muss endlich auf die Tagesordnung gesetzt werden, um des Friedens, der Umwelt und der Demokratie willen. (PK)

Mehr Infos zum Thema unter 
http://www.trueten.de/uploads/BeitraegeKITundAtomforschung.pdf
 
Autor Dr.-Ing. Dietrich Schulze war von 1966-2005 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord) tätig, anfangs als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hochenergiephysik-Projekten und später als Betriebsratsvorsitzender. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. und arbeitet in der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten. Viele Infos zur Zivilklausel-Bewegung finden sich in der Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
Kontakt: dietrich.schulze@gmx.de


Online-Flyer Nr. 355  vom 23.05.2012

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