NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Warum sich "unsere" Politiker und Medien im "Fall Tymoschenko" so einig sind
Wie bei Milosevic und Rambouillet
Von Hans Fricke

Bisher war ich der Meinung, wenn ein deutscher Bundeskanzler einen Sachverhalt als Chefsache behandelt, dann würde es dabei um eine Angelegenheit von herausragender Bedeutung gehen, die seine persönliche Einflussnahme und Autorität erfordere. Seit dem Theater, welches die Bundeskanzlerin persönlich im Verein mit den Leitmedien seit Wochen um die ukrainische Ex-Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko veranstaltet, weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Wie wäre es sonst möglich, dass die fortgesetzten kriminellen Handlungen einer früheren ausländischen Regierungschefin und ihre Bestrafung durch die Justiz ihres Landes dazu führen, dass Angela Merkel sich in einer Weise in die inneren Angelegenheiten dieses Landes und den Besuch der dort stattfindenden Fußball Europa-Meisterschaft einmischt, die ebenso peinlich wie beschämend ist.

Die Jeanne d'Arc der Ukraine
NRhZ-Archiv
 
Nach einem Bericht des "Spiegel" erwägt die Kanzlerin einen politischen Boykott dieser Meisterschaft. Sollte die in der Haft erkrankte ukrainische Politikerin bis zu dem am 8. Juni in der Ukraine und in Polen beginnenden Turnier nicht freigelassen worden sein, will Merkel ihren Ministern empfehlen, den Spielen in der Ukraine fernzubleiben.
 
Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, forderten alle Politiker zu einem Boykott der EM-Spiele in der Ukraine auf, sollte das Land hart bleiben. Dass Sigmar Gabriel sogar in Kauf nimmt, sich mit seinen Auslassungen lächerlich zu machen, bewies er am 29.04.2012 auf seiner Facebook-Seite. "Politiker müssen bei der EM aufpassen", erklärte er dort, "dass sie nicht zu Claqueuren des Regimes werden. Denn sie sitzen in den Stadien möglicherweise neben Gefängnisdirektoren und Geheimpolizisten."
 
Als ob er nicht genau wüsste, dass führende Politiker, SPD-Vorsitzende und SPD-Minister eingeschlossen, seit Bestehen der BRD, keinerlei Skrupel hatten, bei ihren vielen vertrauensvollen und für beide Seiten vorteilhaften Kamin-Gesprächen neben brutalen Diktatoren, Menschenrechtsverletzern und Verantwortlichen für Folter, Misshandlungen und Morde an der eigenen Bevölkerung zu sitzen und sich anschließend gemeinsam mit ihnen "shake hands" der internationalen Presse zu zeigen.
 
Schon vor Tagen hatte Merkel in einem Interview den Umgang mit Julija Tymoschenko scharf kritisiert und deren Behandlung in einem Krankenhaus in Deutschland befürwortet, was auf Empörung in Kiew stieß. Die Bundeskanzlerin habe offenbar für einen Moment "vergessen", dass sie die Bundesrepublik und nicht die Ukraine regiere, sagte Wassili Kisseljow von der Partei der Regionen. Merkels Äußerungen seien eine "ungenierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten" seines Landes, hieß es in einer am 30.04. veröffentlichtern Erklärung Kisseljows. Die Kanzlerin fordere "etwas faktisch Unmögliches" von der ukrainischen Führung.
 
"Unsere Gesetzgebung sieht eine Behandlung von Gefangenen im Ausland nicht vor", unterstrich der Parlamentarier. Erkrankte ukrainische Strafgefangene könnten nur an ihrem Heimatort behandelt werden. Er sei allerdings unter einer Bedingung bereit, einer Gesetzesänderung zuzustimmen, teilte Kisseljow mit: "Wenn Frau Merkel auch die anderen 150 Frauen aus dem Katschanowka-Gefängnis in ihre Obhut nimmt, die die gleichen Probleme haben wie Julija Tymoschenko, und sie zur Behandlung in der Charite unterbringt." Und Außenamtssprecher Oleg Woloschin erklärte am 1. Mai 2012 in Kiew: "Man will gar nicht daran denken, dass die Staatsmänner Deutschlands fähig sind, die Methoden der Zeiten des Kalten Krieges wiederzubeleben und zu versuchen, den Sport zu einer Geisel der Politik zu machen."
 
Folgende zwei Sachverhalte verdienen an dieser Stelle sowohl der offenbar "vergesslichen" Bundeskanzlerin, als auch Scharfmachern wie Sigmar Gabriel und Claudia Roth und bezahlten Schreiberlingen der Leitmedien in Erinnerung gebracht zu werden:
 
1. Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundesregierung von der Führung eines anderen souveränen Landes und UNO-Mitglieds ganz bewusst "etwas faktisch Unmögliches" (Kisseljow) fordert, um sie auf diesem Wege zu zwingen, gegen ihre nationale Würde und ihr politisches Selbstwertgefühl zu handeln:
Das erpresserische Abkommen von Rambouillet, an dem die BRD führend beteiligt war, und mit dem das Kossovo - ein Teil des jugoslawischen Staates - zum Protektorat erklärt werden sollte, wäre von keiner souveränen Regierung der Welt unterzeichnet worden. Als Regierung und Parlament Jugoslawiens genau so auf die Erpressung der NATO reagierten, hatte der Westen den gewünschten Vorwand, um loszuschlagen und Jugoslawien als Staat zu liquidieren.
 

Slobodan Milosevic
NRhZ-Archiv
2. Was die "Sorge" von Bundesregierung, NATO und Politikern wie Sigmar Gabriel und Claudia Roth um den Gesundheitszustand inhaftierter ehemaliger führender Politiker anderer Länder angeht, sei folgender entlarvender Vergleich gestattet: Während der Bandscheibenvorfall von Julija Tymoschenko in einem ukrainischen Gefängnis die Bundeskanzlerin zu ebenso albernen wie gefährlichen Drohgebärden und Erpres-sungen gegenüber der ukrai-nischen Führung veranlasst, hatte die Bundesregierung keinen Finger gerührt, als es ernst zu nehmende Anzeichen dafür gab, das sogenannte Kriegsverbrechertribunal in den Haag könnte den inhaftierten und sich energisch und selbstbewusst verteidigenden Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, mittels einer "biologischen Lösung" für immer mundtot machen.
 
Schon im Jahr 2002 hatte sich eine Gruppe deutscher Ärzte "in Sorge um Leben und Gesundheit von Slobodan Milosevic" an das Tribunal gewandt, weil keine ärztliche Kontrolle und keine adäquate Therapie stattfanden. Ein vom Tribunal selbst eingesetzter niederländischer Arzt attestierte "essentiellen Bluthochdruck, sekundären Organschaden und Hochdrucknotfälle sowie die Möglichkeit von Hirnschlag, Herzinfarkt und Tod". Diesen alarmierenden Befund kommentierte die Chefanklägerin des Tribunals, Carla Del Ponte, in der "Neuen Züricher Zeitung" vom 18.Juli 2003 mit den Worten: "Es geht ihm gesundheitlich sehr, sehr gut. Viele Menschen leiden mit 60 Jahren oder mehr an einem zu hohen Blutruck." Es blieb also bei der laut Tribunal angeblich "guten und hochqualifizierten medizinischen Betreuung" durch einen nicht spezialisierten Arzt und eine Schwester und bei der Verabreichung Blutdruck steigernder statt Blutdruck senkender Medikamente.
 
Einen Tag bevor Milosevics Tod festgestellt wurde, wandten sich führende Mitglieder des ICDSM an den UN-Sicherheitsrat, um gegen die Ablehnung einer kardiologischen Behandlung in einer Moskauer Spezialklinik zu protestieren. Obwohl die russische Regierung die geforderte Garantieerklärung für seine Rückkehr vorgelegt hatte, leisteten sich die Henker des Tribunals den beispiellosen diplomatischen Affront einer Ablehnung, womit sie Rußland implizit als Schurkenstaat stigmatisierten. Dieser Skandal veranlasste Jürgen Elsässer zu seinen Beitrag "Leichen pflastern den Weg des Tribunals" in "junge Welt" vom 13.März 2006. (1)
 
Vor diesem aufschlussreichen Hintergrund ist dem Beitrag in ructo.wordpress.com "Edle Ritter kämpfen für die Prinzessin" vom 30.04.2012 zuzustimmen, in dem es u.a. heißt:
"Tymoschenko ist Häftling in der Ukraine. Sie ist erkrankt. Sie 'misstraut' den ukrainischen Ärzten und verweigert - eigene Entscheidung - die Behandlung. Dazu tritt sie - eigene Entscheidung - aus 'Protest gegen ihre Haftbedingungen' in den Hungerstreik.
Und nun appellieren unsere Politiker, von Gauck an abwärts, die Ukraine solle Tymoschenko doch ausreisen lassen, um sich einer Behandlung im Ausland zu unterziehen. Die Regierung solle ein Zeichen der Humanität setzen angesichts des Hungerstreiks.
So geht das? Ist ja toll! Einem Häftling mit einem schlichten Bandscheibenvorfall ist also, wenn er die heimischen Ärzte verschmäht, Anspruch auf Behandlung im Ausland zuzubilligen? Wie viele Gefangene gibt es in der Ukraine, wie viele davon sind krank? Für wie viele also müssten die Gefängnistore unverzüglich geöffnet werden? Wieso eigentlich nur in der Ukraine – wie viele kranke Häftlinge haben wir denn in ganz Europa, die es schleunigst zu Spezialisten im Ausland zu entlassen gälte? Und wer mit seinen Haftbedingungen unzufrieden ist, muss eben in den Hungerstreik treten, denn das verpflichtet sogleich dazu, aus humanitären Gründen die 'Haft auszusetzen'?
 
Natürlich ist das Unsinn. Nun lässt sich einwenden, dass man hierzulande Tymoschenko nicht als Kriminelle, sondern als politische Gefangene betrachtet. Dem wollen wir - mangels eigener Erkenntnisse - nicht widersprechen.
Warum wird aber die Forderung nach Freilassung denn nicht damit begründet, sondern mit der Erkrankung?
Vor allem warum wird nur für Tymoschenko dieses Spektakel veranstaltet? Was ist mit den anderen politischen Häftlingen, haben die das nicht verdient?
Es geht hier ausdrücklich nicht darum, die Zustände in der Ukraine zu beschönigen. Oder Gewalt gegen Häftlinge zu entschuldigen - ob prominent oder nicht. Wir verurteilen lediglich das Schmierentheater von Politikern, Journalisten und unnötigerweise sogar Chefärzten der Charité, die sich mit dem 'Fall Tymoschenko' billig zu profilieren versuchen."
 
Mit Schmierentheater findet auch die Entscheidung von Bundespräsident Gauck, aus Protest gegen die ukrainische Führung am Treffen zentraleuropäischer Präsidenten Mitte Mai in Jalta nicht teilzunehmen sowie das, was sich derzeit im Bundeskanzleramt, in Bundesministerien und in Redaktionsstuben unter Chefsache 'Fall Tymoschenko' ereignet, seine zutreffende Bezeichnung.
 
Kein Wunder, dass bei diesem wochenlangen medialen Dauerfeuer - es ist sicher nicht übertrieben, von einer fast schon stabsmäßig geplanten und organisierten Manipulation der öffentlichen Meinung zu sprechen - nach einer ersten Umfrage des regierungstreuen Meinungsforschungsinstituts Emnid 52 Prozent der Deutschen sich wünschen, dass Merkel und ihre Minister den Spielen in der Ukraine fernbleiben.
 
Dass auch der fußballbeschränkte Uli Hoeneß die deutsche Mannschaft "zur Solidarität mit den ukrainischen Regierungskritikern" aufruft und DFB-Kapitän Philipp Lahm erklärt: "Wenn ich sehe, wie das Regime Julija Tymoschenko behandelt, dann hat das nichts mit meinen Vorstellungen von Demokratie zu tun", dann sollte das nicht verwundern. Denn beide Herren Wichtig glauben, sich wie viele andere in Szene setzen zu müssen, denen die kriminellen Handlungen von Julija Tymoschenko und die wahren Gründe für die Angriffe gegen die ukrainische Führung und die Boykottdrohungen wohlweißlich verschwiegen werden.
 
Julija Tymoschenko galt schon 2004 als Jeanne d'Arc der auf den Reißbrettern der USA geplanten und mit vielen Millionen Dollar geförderten orangefarbenen Revolution, die sich als mutige Ukrainerin wie einst die heilige Johanna in Frankreich gegen die herrschenden Verhältnisse in ihrem Land empörte. Dieses Bild zeichnen ihre Bewunderer und das sollen auch wir uns, ginge es nach der Bundesregierung und der Springer-Presse, von ihr machen.
 
Ein Internetportal schrieb 2010: "Damals lobten die amerikanischen und westlichen Medien Juschtschenko und Tymoschenko als 'Demokraten' an der Spitze einer Volksrevolution. Das war Betrug! Washington finanzierte und unterstützte jene Gruppen, die Proteste in Kiew organisierten. Sie protestierten gegen den angeblichen Diebstahl der ersten Abstimmung durch Janukowitsch, der ein Verbündeter Russlands ist." Ziel sei es vielmehr gewesen, "ein US-freundliches Regime an die Macht zu bringen, das das Land für amerikanisches Kapital öffnen und die Bestrebungen der USA unterstützen sollte, Moskau aus den traditionellen russischen Einflußsphären zu verdrängen."
 
Neben dem irreführenden Bild von einer ukrainischen Jeanne d'Arc gibt es auch noch eine andere Version, die von einer machthungrigen, raffgierigen und rachsüchtigen Egoistin handelt. Ihre Stunde und die ihres Mannes, des Armeniers Alexander Tymoschenko, schlug einem Bericht der "Badischen Zeitung" vom 04.Mai 2012 zufolge nach dem Untergang der Sowjetunion:
"Förderer aus der alten kommunistischen Nomenklatura protegieren Alexanders schöne junge Frau. Das Ehepaar verdient im undurchsichtigen Erdölgeschäft schnell seine erste Million. Den Durchbruch bringen die Jahre 1995 bis 1997. Julija Tymoschenko wird Chefin des Energieriesen EESU und steigt zur milliardenschweren 'Gasprinzessin' auf. Sie zählt nun zum Kreis der berüchtigten Oligarchen, von denen es heißt, sie hätten sich während der Privatisierungen in den 90er Jahren das Volkseigentum der ehemaligen Sowjetrepublik mit Mafiamethoden unter den Nagel gerissen. 'Jeder, der auch nur einen Tag in der ukrainischen Wirtschaft gearbeitet hat, könnte eingesperrt werden', sagte Tymoschenko später über die Geschäftspraktiken jener Zeit. Ihr eigenes System ist simpel. EESU importiert subventioniertes Gas aus Russland und verkauft es mit Milliardenprofiten zu Weltmarktpreisen weiter. Doch wohin fließen die Gewinne?" - Darum ging und geht es bei den Prozessen gegen sie.
 
Die offizielle Anklage gegen Tymoschenko erfolgte im Dezember 2010. Vorwurf: Veruntreuung von Staatsgeldern und mutmaßlicher Amtsmissbrauch. Im September 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von sieben Jahren wegen Amtsmissbrauchs. Am 11. Oktober wurde Tymoschenko schuldig gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie 2009 mit Russland Verträge über die Lieferung von Erdgas zum Nachteil der Ukraine abgeschlossen hatte. Dadurch habe die Ukraine einen Schaden von umgerechnet 137 Millionen Euro erlitten. Tymoschenko wurde zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Außerdem muss sie Schadensersatz über 137 Millionen Euro leisten und darf im Anschluss an die Haftstrafe drei Jahre lang keine öffentlichen Ämter ausüben.
 
Wer heute weiß, dass die Gallionsfigur der orangefarbenen Revolution, das ukrainische "Julchen", ihr Heimatland um bis zu elf Milliarden Dollar erleichtert haben soll, der ahnt, mit welchen Mitteln und Methoden sie als Ministerpräsidentin regiert und ihr privates Vermögen, welches 2007 auf mehrere Hundert Millionen Dollar geschätzt wurde, zusammengerafft hat. Sie dürfte noch immer als reichste Frau der Ukraine gelten.
 
Für sie ging es nach dem Quasie-Ende der orangefarbenen Revolution nur noch bergab. Im Oktober 2010 schrieb die Financial Times Deutschland: "Die ehemalige Regierungschefin der Ukraine steht im Verdacht, einen gewaltigen Betrag aus der Staatskasse abgezweigt zu haben - natürlich auch zum eigenen Vorteil."
 
Schon 2001 wurde sie vom damaligen ukrainischen Staatspräsidenten Kutschma als Energieministerin entlassen. Dieser ließ sie nach ihrer Absetzung wegen undurchsichtiger Gasgeschäfte, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung vor Gericht stellen. Schon damals verbrachte diese Heldin der Westens zum ersten Mal mehrere Wochen im Untersuchungsgefängnis. Auch ihr Ehemann und ihr Schwiegervater landeten dort, die beide ab Mitte der 90er Jahre in dem gemeinsamen Energieunternehmen arbeiteten.
 
Auch der russische Militär-Staatsanwalt eröffnete gegen Tymoschenko ein Strafverfahren. Der Vorwurf lautete, die Politikerin habe russische Militärs bestochen, für das russische Verteidigungsministerium bestimmte Baumaterialien aus der Ukraine für den doppelten Preis in Auftrag zu geben. Die russischen Ermittlungsbehörden setzten das Gesicht von Julija Tymoschenko sogar kurzzeitig auf die im Internet veröffentlichte Fahndungsliste von Interpol.
 
Ein zweites Verfahren wurde nach Veröffentlichung eines Berichts von US-amerikanischen Anwaltsfirmen gegen Timoschenko eingeleitet. Dabei geht es um den Missbrauch öffentlicher Gelder, Betrug und Geldwäsche durch Beamte, mehrere Ministerien und private Unternehmen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte in drei Angelegenheiten: die zweckfremde Verwendung von Einnahmen aus dem Handel mit Kohlendioxyd-Rechten, den Kauf von Rettungswagen zu überhöhten Preisen und Amtsmissbrauch bei der Aushandlung von Verträgen über die Lieferung von Erdgas mit Russland.
 
Kenner der Szene meinen, Tymoschenko habe sich selbst in dieses gefährliche Spiel manövriert, weil sie schon immer gern im Rampenlicht stand, vor allem jedoch, weil sie in ihrem persönlichen Kampf um Macht und Geld entschieden zu weit gegangen sei. Deren Kommentar: "Für Geld hat sie bislang alles gemacht, und irgendwann ist sie einfach größenwahnsinnig geworden." Der Kiewer Politologe Wladimir Malinkowitsch bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: "Die Mafia hat sich diesen Staat untertan gemacht."
 
Dass die Bundesregierung offensichtlich entschlossen ist, ihre beschämenden Peinlichkeiten in der Chefsache "Der Fall Tymoschenko" nicht nur unbeirrt fortzusetzen, sondern ihre Kampagne gegen Kiew noch zu verschärfen, geht aus einem Beitrag von Werner Pirker, in "junge Welt" vom 07. Mai 2012 hervor. Danach reicht es ihr nicht, dass Julija Tymoschenko wegen ihres Bandscheibenleidens von deutschen Ärzten behandelt wird. Berlin wolle alle dortigen Regierungsgegner unter seinen Schutz stellen. Man erwarte nicht nur eine Lösung des Falles Tymoschenko, sondern eine Normalisierung des Umgangs mit der Opposition in der Ukraine insgesamt, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich der "Bild am Sonntag".
"Damit hält", so Werner Pirker, "der CSU-Scharfmacher nicht nur an der gegenstandslosen These fest, dass die rechtmäßig verurteilte Großbetrügerin aus politischen Gründen verfolgt werde, sondern übernimmt auch ungeprüft die Foltervorwürfe aus dem Umfeld der Gefangenen. Aus ihrer Parteinahme für die inhaftierte ukrainische Oppositionsführerin leitet die Berliner Regierung wie selbstverständlich ein Recht auf Einflussnahme bei inneren Angelegenheiten der Ukraine ab. In der Androhung eines politischen Boykotts der von Polen und der Ukraine gemeinsam ausgerichteten Fußballeuropameisterschaft meint sie das geeignete Druckmittel für deutsches Powerplay gefunden zu haben."
 
Dabei muss sie sich von Soulsaver e.V. - einem Verein mit dem Ziel, den christlichen Glauben im Internet zu fördern - belehren lassen, sie habe bei ihrem "Riesenlamento" bislang vollkommen überhört, dass sie sich mit ihrem Ziel, die Ukraine aus den Spielen komplett auszuschalten, völlig an den Vorstellungen und Wünschen von Julija Tymoschenko selbst vorbei entwickle, die immer für eine Öffnung zum Westen kämpfte und deshalb die Fußball-EM unbedingt wolle, weil sie darin ein Symbol der europäischen Integration ihres Landes sehe.
 
Europäische Integration der Ukrainè? Auch hier liegt laut Soulsaver e.V. die westliche Meinung weit entfernt von der Haltung der meisten ukrainischen Bürger. So schreibt ein unabhängiges Portal: "Während im Westen große Empörung über die Behandlung von Julija Tymoschenko und deren Aufenthalt im Gefängnis herrscht, ist der übergroßen Mehrheit der Ukrainer das Schicksal der ehemaligen Ministerpräsidentin vollkommenm gleichgültig. Die Ukrainer wissen eben, dass es sich bei den Auseinandersetzungen um einen Streit unter Oligarchen handelt und dass Julija Tymoschenko zwar zu Unrecht verurteilt wurde, aber zu Recht im Gefängnis sitzt." Und unabhängige politische Beobachter schmunzeln ebenso: "Europäische Integration der Ukraine? Einfach lächerlich: Die Europäer glauben doch nicht im Ernst, dass die wirtschaftlich aufstrebende Ukraine sich in einen solchen Pleiteladen wie die Europäische Union integrieren will, um sich dann für immer zum Erfüllungsgehilfen missbrauchen zu lassen."
 
Es ist abzusehen, dass die Bundesregierung mit ihrer Parteinahme für eine überführte und rechtskräftig verurteilte ausländische Kriminelle, mit ihrer Politik des Wunschdenkens und mit ihren erpresserischen Boykottdrohungen sich und unserem Land einen Bärendienst erweist. Das einzige, was sie damit erreicht, wird sein, dass noch mehr Bürger Europas und noch schneller als bisher die Gefahr deutscher Großmacht-Ambitionen nicht nur auf dem Gebiet der Finanzpolitik der EU, sondern auch bei der rücksichtslosen Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und der damit verbundenen Verletzung deren Souveränität begreifen. (PK)
 
(1) http://www.jungewelt.de/2006/03-13/003.php
 
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", 250 Seiten, Preis 15 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2


Online-Flyer Nr. 353  vom 09.05.2012

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE