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Fotogalerien
Über ein Projekt des Bamberger Fotografen Till Mayer
Abseits der Schlachtfelder
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Kriege sind dazu da, um sie zu beenden. Besser noch, sie erst gar nicht zu beginnen. Nicht nur im Bombenhagel sterben seine Opfer – die meisten leiden und sterben aufgrund von Sanktionen und Knappheit an Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung. Der Bamberger Fotograf und Autor Till Mayer berichtete aus 15 Kriegs- und Krisengebieten. Seine eindringlichen Fotos sind ein Plädoyer gegen den Krieg.


Ammar Yusef, Irak, 2003: „Es schmerzt, meiner Familie in dieser schweren Zeit keine Sicherheit geben zu können.“ (alle Fotos: Till Mayer)


Barry Romo, USA, 2010: Der traumatisierte Vietnamkriegs-Veteran hat eine Wut auf die, „die den Krieg gutheißen – aber selbst nicht an die Front wollen“, und Wut auf die „Kriegsmaschinerie, die weiter wütet“.


Bagdad 2003: „In Kriegen kommt der Tod oft leiser als durch Detonationen von Bomben und das Gebrüll der Artillerie.“


Andreas Kerner, Deutschland, 2010: „1943 habe ich meinen Vater zum letzten Mal gesehen. Fronturlaub zu Heiligabend. Beim Abschied hatte er Tränen in den Augen. Er hat mir mein ganzes Leben lang gefehlt.“


Truong Thi Thuy, Vietnam, 2010: „Glück ist für mich, wenn meine Kinder wenigstens eine Zeit lang nicht erkranken. Wenn ich mich neben der Feldarbeit um sie kümmern kann.“


Ali Koroma, Sierra Leone, 1998: „Sie schlugen mir ein Ohr und die rechte Hand ab. Sie lachten darüber. Darüber, dass sie meine Zukunft zerstörten.“


Ibrahim Hamdan, Flüchtlingslager Khan Yunis, Gaza, 2003: „Nachts höre ich immer wieder Schüsse. Sie machen mir Angst. Trotzdem lächle ich, sooft ich kann. Weil fröhlich sein ein bisschen Frieden ist.“


Sadae Kasaoka, Hiroshima, 2010: „Hätte ich nicht seine Stimme gehört, ich hätte meinen eigenen Vater nicht erkannt... Er stank, die Fliegen kamen und setzten sich auf seine Wunden... Ich wünsche mir, dass niemand mehr so ein Schicksal erleiden muss.“


Opfer hinterlassen Opfer, Kinder ohne Eltern, Eltern ohne Kinder, Geschwister ohne Geschwister, Liebende ohne Liebe. „Zeit heilt nicht alle Wunden: Krieg zerfrisst Seelen. Er raubt Mütter, Väter, Töchter und Söhne. Er lässt Menschen verrohen, bringt sie dazu, zu töten. Er hinterlässt Traumen, die lebenslang prägen. Auch wenn die Waffen seit Jahrzehnten schweigen...“

Die Präsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes, Christa von Thurn und Taxis gibt diese Gedanken als Vorwort einem kleinen Büchlein mit auf den Weg, in dem der Fotograf und Textautor Till Mayer Opferschicksale rund um die Welt aus den Jahren 1996 bis 2010 zusammengestellt hat. Oft lebte er monatelang vor Ort. Als Informationsdelegierter des Internationalen bzw. des Deutschen Roten Kreuzes arbeitete er eng mit der Partnerorganisation Roter Halbmond zusammen. Die 1919 gegründete internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes ist die größte humanitäre Organisation der Welt. Ihre international anerkannten Schutzzeichen und der Schutz ihrer Hilfseinsätze sind im Genfer Abkommen und der Haager Landkriegsordnung festgeschrieben.

Krieg ächten?

Die Lebenden werden die Toten beneiden – lautete der Warnruf der Internationalen Ärzte zur Vermeidung eines Atomkrieges IPPNW. Waffen und Folgen. Till Mayer zeigt die, die darunter leiden – Traumatisierte, Verkrüppelte, Verstümmelte, Blinde – und all die (auch Armeeangehörige), die ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Vier behinderte Kinder brachte die Vietnamesin Truong Thi Thuy zur Welt. Noch Jahrzehnte nach Kriegsende betreut das vietnamesische Rote Kreuz drei Millionen Menschen, die unter dem Einsatz der dioxinhaltigen US-Chemiewaffe Agent-Orange leiden.

Abseits der Schlachtfelder charakterisiert der Fotograf Till Mayer seine Bild- und Textreportagen auch deshalb, weil die meisten Opfer schon vor den Kriegen – als Opfer von Sanktionen – oder Jahrzehnte später noch leiden und an den Folgen sterben. „In Kriegen kommt der Tod oft leiser als durch Detonationen von Bomben und das Gebrüll der Artillerie“, weiß der Delegierte des Roten Kreuzes nicht nur aus der Statistik zu berichten. Allein 500.000 vor allem schwache Menschen, Kinder und Alte wurden das Opfer von Sanktionen vor dem Irakkrieg von 2003, von denen die seinerzeitige US-amerikanische Außenministerin straflos in aller Öffentlichkeit sagen konnte, diese Opfer seien ihren Preis wert.

Gerechte Kriege?

Opfer werden allenthalben instrumentalisiert. Sie werden dazu benutzt, um weitere Kriege anzustacheln – extremstes Beispiel bleibt die Auschwitzlüge des damaligen deutschen Außenministers Joseph Fischer von 1999, Deutschland müsse endlich wieder Krieg führen, wogegen sich der Aufschrei der deutschen Auschwitzüberlebenden erhob. Auch auf dem Balkan war Till Mayer dabei, aber in seine Publikation flossen diese Reportagen nicht ein. Stattdessen: Andreas Kerner, Jahrgang 1931, ist ein Opfer des von Deutschland entfachten Zweiten Weltkrieges mit seinen geschätzten 60 Millionen Toten, der ein „Heer der Halbwaisen“  hinterließ. Dass er als Zwölfjähriger seinen Vater in Folge des „totalen Krieges“ zum letzten Mal sah und ihn sein Leben lang vermisste, darunter leidet er bis heute.

Der so genannte „gerechte“, heutzutage als humanitär bezeichnete Krieg kam und kommt durch die Hintertür. Mit alten Tricks und neuen Methoden, die sich aus der Definitionshoheit ergeben: Rebell oder Terrorist? Wie ging der französische Präsident Sarkozy mit rebellierenden Jugendlichen, die für sich keinerlei Zukunft sahen, in den Pariser Vorstädten um? Die Lösung kann nicht Krieg sein.

Krieg ist kein Spiel

Mit dem Portrait des traumatisierten Vietnamkriegsveteranen Barry Romo zeigt Till Mayer nur zu deutlich, dass wir mehr und mehr zu einer Televoting-Generation aus dem Fernsehsessel heraus (per TED, Tele-Dialog) degenerieren.

Das unmittelbare Gefühl für das Geschehen ist in die Virtualität verdrängt. Und so boomt die Industrie der Kriegs-, Killer- und Aufstands(sic!)spiele, die nachgewiesenermaßen die junge Generation kriegsgeil machen soll. „Krieg kann man nicht spielen“, lautete einer der ersten Werbeslogans der PC-Warfare-Hersteller – mit der für sie logischen Ergänzung: „sagt mein Opa!“. Der Unterschied zwischen virtuellen und realen Opfern verschwimmt. Die zentrale Fixierung ist auf den „Feind“ gerichtet, der per Distanz- oder Nahkampfwaffe ausgeschaltet wird. Und die Feindbilder kommen näher, werden realer, die Handlung spielt schon am Kaspischen Meer mit Anrainer Iran.

Die Gewichtung der Opfer – die in diesen Kriegsspielszenarien ohnehin keine Rolle spielen – in schützenswerte und nicht zu vermeidende „Kollateralschäden“ wurde im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Libyen offenbar: abertausende Opfer unter der unschuldigen, angeblich zu schützenden Zivilbevölkerung waren „den Preis wert“. Das für die Krieg führenden NATO-Parteien, allen voran Frankreich, erzielte Ergebnis hieß Regime-Change. So oder mit anderer Vokabel hieß es gestern in Vietnam und so heißt es heute oder morgen in Syrien und Iran, wo der verdeckte und mediale Krieg schon lange begonnen hat.

Verantwortliche ins Blickfeld rücken

Das Buchprojekt von Till Mayer mahnt uns, die zurzeit begangenen und die zukünftig drohenden großen Verbrechen und die dafür Verantwortlichen ins Blickfeld zu rücken.

Zu den großen Verbrechen von Gegenwart und jüngerer Vergangenheit zählen mit den bereits genannten Kriegen wie die gegen Jugoslawien, Afghanistan, Libyen, Palästina und Irak. Beispiel Irak: hier sind die USA und ihre „Koalition der Willigen“ auf der Basis von Kriegslügen eingefallen – mit dem Ergebnis von mehr als einer Million Toten in der Zeit von 2003 bis 2007. Drohende große Verbrechen sind Kriege z.B. gegen Syrien oder Iran. Die von Till Mayer dargestellten Opfer mahnen die Betrachter, dagegen aufzustehen. Aber nicht nur das. Sie mahnen auch, die Hauptschuldigen und Profiteure zu benennen und öffentlich anzuprangern.

Aber wer ist das? Die Hauptschuldigen sind die Hauptmachthaber dieser Welt. Sie bleiben in der Regel im Verborgenen. Sie verbergen sich hinter den von ihnen ins Feld geführten Medien wie Spiegel, taz und Springerpresse – um nur einige wenige deutsche aus dem Bereich der Presse zu nennen – und Figuren wie Bush, Obama, Olmert, Netanyahu, Sarkozy, Schröder, Merkel. Es ist keine Frage: auch diese auf der politischen Bühne operierenden Figuren und die Akteure in den Medien machen sich schuldig. Aber hinter ihnen stehen die Kräfte des großen Kapitals. Das war schon in Hitler-Deutschland so. Es ist keine Frage: sie sind diejenigen, auf die sich die Aufmerksamkeit richten muss – auch wenn sie versuchen, den Blick auf diesen Sachverhalt durch verdeckte Operationen, Kriegspropaganda und speziell durch in diesem Zusammenhang aufgebaute Feindbilder zu verstellen.

Till Mayers archaische Portraits von Schicksalen mit Gesichtern und Namen sprechen (über das nur 70 Seiten starke Büchlein hinaus) Bände. Bleibt zu hoffen, dass es noch viele Menschen gibt, die dafür empfänglich sind...(PK)

Till Mayer
Abseits der Schlachtfelder
Gebunden, 68 Seiten
Erich-Weiß-Verlag 2010
ISBN-10: 3940821071

http://www.erich-weiss-verlag.de

http://www.tillmayer.de



Online-Flyer Nr. 343  vom 29.02.2012

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