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Inland
Als verurteilter Kriegsverbrecher und SS-Arzt nach der Haft zu Grünenthal
Auschwitz und die Conterganhersteller
Von Stephan Nuding

Seit Februar 2009 erhärtet sich der Verdacht, dass Thalidomid - der Wirkstoff von Contergan - bereits während des 3. Reiches entwickelt wurde. Im Rahmen ihrer Recherchen stießen Mitstreiter des Untersuchungsausschusses Conterganverbrechen (U.A.C.) auf zwei Photographien, die den ehemaligen SS-Arzt, NS-Kriegsverbrecher und "wissenschaftlichen Mitarbeiter" der Conterganfirma Grünenthal aus Stolberg im Rheinland, Dr. med. Heinz Baumkötter, während des 2. Weltkrieges im Vernichtungslager Auschwitz zeigen.

 
Dr. med. Heinz Baumkötter, vorn links im Bild, am 1. September 1944 bei der Eröffnung des neuen SS-Hospitals in Auschwitz
Quelle: Unbited States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C. / USA
 
Dr. med. Heinz Baumkötter, geboren am 07.02.1902, gestorben am 21.04.2001, war bis zum Ende der Nazi-Zeit SS-Hauptsturmführer und übte vom Januar 1943 bis April 1945 eine Tätigkeit als 1. Lagerarzt im Konzentrationslager Sachsenhausen aus. Dort hat er, wie Gerichtsverfahren ab 1947 bewiesen, zahlreiche Verbrechen (insbesondere pseudowissenschaftliche Menschenversuche mit Todesfolge), Selektionen, Teilnahme an Erschießungen und / oder Vergasungen von Fremdarbeitern und KZ – Häftlingen begangen.
 
Am 01.11.1947 wurde Baumkötter im Sachsenhausen-Prozess durch ein sowjetisches Kriegstribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu lebenslänglicher Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Seit Dezember 1947 bis Sommer 1955 war er im Straflager Workuta (UDSSR) inhaftiert. Am 14.01.1956 wurde er an die Behörden der Bundesrepublik Deutschland als "Nichtamnestierter" übergeben.

Baumkötter, Dritter von links, zusammen mit Kameraden in Auschwitz
Quelle: Unbited States Holocaust Memorial Museum
 
1962 kam es zu einer Anklage vor dem Langericht Münster (Verfahren Lfd. Nr. 529) wegen der Beteiligung an der Hinrichtung von ca. 125 Häftlingen und der Selektion von mindestens 110 Menschen, die in der Gaskammer ermordet werden sollten. "Baumkötter wird wegen Verbrechens der Beihilfe zum Mord in zwei Fällen und einer weiteren Beihilfe zu 14 in Tateinheit stehenden Verbrechen durch das Schwurgericht beim Landgericht Münster zu einer
Gesamtstrafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt", hieß es in dem Urteil. Doch diese Strafe galt durch die Haftstrafe in der UDSSR als "verbüßt".
 
Aufgrund von umfangreichen Recherchen stellte der U.A.C. fest: Seit Februar 2009 erhärtet sich der Verdacht, dass Thalidomid - der Wirkstoff von Contergan - bereits während des 3. Reiches entwickelt wurde. Trotzdem beharrt die Fa. Grünenthal immer noch darauf, dass es erst Anfang der 1950er Jahre in ihrem Forschungslabor entstanden sei. Der Zugang zum Firmenarchiv wird dem U.A.C. aber verweigert. Auch die Bundesregierung ignoriert alle Hinweise in dieser Richtung. Dass Baumkötter sich in Auschwitz aufgehalten hat, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Ursprünge von Thalidomid / Contergan in den Vernichtungslagern der NS-Diktatur zu suchen sind.
 
Zur Erinnerung:
- Auch die Nachforschungen englischer Thalidomidopfer weisen in diese Richtung.
- Dr. Heinrich Mückter, der angebliche "Contergan-Erfinder" der Firma Grünenthal, war seit 1942 stellvertretender Direktor des "Institut für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres" in Krakau. Krakau liegt nur ca. 50 km von Auschwitz entfernt.
Gewiss, bisher sind dies nur Indizien. Diese verdichten sich aber zusehends zu einem Gesamtbild.
 
Im historischen Gesamtkontext des Conterganverbrechens kann es meiner Meinung nach kein Zufall sein, dass Grünenthal nach 1945 Arbeitgeber zahlreicher mutmaßlicher und verurteilter NS-Täter war. Auch wenn es vielleicht noch einige Jahre dauern sollte: Wir werden das Conterganverbrechen vollständig aufklären. Das sind wir nicht zuletzt den tausenden von Toten schuldig, die an den thalidomidhaltigen Präparaten der Firma Grünenthal gestorben sind, was das unverantwortliche Unternehmensmanagement und die Ignoranz der Eigentümerfamilie Wirtz verschuldet haben. Es ist eine Schande, dass die Familie Wirtz sich immer noch weigert, uns Zugang zu ihrem Unternehmensarchiv zu gestatten. (PK)
 
Siehe auch:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15213
Conterganhersteller Grünenthal droht ein neuer Prozess seitens der Opfer
Akten vernichtet
Von Peter Kleinert
und
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16759
Kampagne des Untersuchungsausschusses Conterganverbrechen gestartet
Grünenthal-Familie Wirtz am Pranger
Von Stephan Nuding
 
 
Stephan Nuding ist Sprecher des Untersuchungsausschusses Conterganverbrechen (U.A.C.)
Kontakt:
Untersuchungsausschuss Conterganverbrechen (U.A.C.)
c./o. Stephan Nuding
Postfach 800 160
51448 Bergisch Gladbach
Tel.: 02202/1882677
Mail: uac@gmx.net   


Online-Flyer Nr. 342  vom 22.02.2012

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