NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

zurück  
Druckversion

Globales
Sudan vor einer neuen "humanitären" Militäraktion?
Deutsches Interesse an Rohstoffen
Von Klaus von Raussendorff

Washington arbeitet mit Nachdruck an der Entsendung einer "UN-Peacekeeping"-Mission in den Sudan. Dafür bewilligte der US-Senat am 15. Juni 60 Millionen US-Dollar. Derzeit managt die UNO weltweit 18 von Washington geforderte  Friedensoperationen, wie neulich der Stellvertretende UN-Generalsekretär Mark Malloch Brown betonte. Mit diesem Argument sollte den USA anscheinend künftig statt des im Irak stark angeschlagenen "Unilateralismus" wieder mehr die UNO als Instrument US-amerikanischer Außenpolitik empfohlen werden.
Bislang stoßen die Pläne Washingtons für den Sudan im Sicherheitsrat auf den Widerstand von China, Russland und einigen afrikanischen Staaten. Zunächst sollen die Truppen der Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) in der sudanesischen Krisenregion Darfur von 7.000 auf 10.000 Soldaten verstärkt werden. Darauf einigten sich am 8. Juni eine Delegation des UN-Sicherheitsrates und Vertreter der Afrikanischen Union nach Gesprächen im äthiopischen Addis Abeba, wie BBC berichtete. Beide Seiten seien sich einig, dass der AU- Einsatz verstärkt werden müsse, bis die UN die Mission übernehmen könnten, erläuterte der britische UN-Botschafter Emyr Jones die Entscheidung im Sinne der westlichen Einmischungsabsichten. (taz v. 9.6.06)

Die sudanesische Regierung lehnt den Einsatz von UN-Truppen weiterhin ab. Die Afrikanische Union sei nicht befugt, ihren Auftrag an die UNO abzugeben, so der Chef der sudanesischen Delegation bei den Friedensverhandlungen. Khartum setzt weiter auf die Umsetzung des am 5. Mai in der nigerianischen Hauptstadt Abuja unterzeichneten Friedensabkommens. Dieses lasse keine Beteiligung von UN-Truppen zu. Wenn die UNO überhaupt eine Aufgabe habe, dann die, die Truppen der Afrikanischen Union bei der Erfüllung ihrer Mission in Darfur zu unterstützen, so der Regierungsvertreter. (misna 13.06.06 ch)

Inzwischen zieht die Einstimmung der Öffentlichkeit auf eine "Rettung" des Sudan weitere internationale Kreise. Am 14. Juni stellte der Chefankläger des internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, in New York einen Bericht an den UNO-Sicherheitsrat vor, der Kriegsverbrechen, Massaker und Vergewaltigungen in Darfur behandelt. Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag bereite eine Serie von Anklagen gegen Verantwortliche von Massakern in der Krisenregion vor. Uno-Generalsekretär Kofi Annan hatte bereits im vergangenen Jahr verlangt, die Verantwortlichen für die Massenmorde schnell vor Gericht zu bringen. Im April 2005 übergab er Ocampo einen versiegelten Umschlag mit 51 Namen mutmasslicher Kriegsverbrecher. Diese Liste war von einer Expertenkommission zusammengestellt worden, die im Auftrag Annans die Gewalttaten in der Krisenregion untersucht hatte. Auf der Liste stehen offenbar Mitglieder der sudanesischen Regierung und Anführer der von ihr unterstützten Reitermilizen, aber auch Befehlshaber der gegen sie kämpfenden Rebellengruppen. (sbm/sda) Der Internationale Strafgerichtshof besitzt keine Befugnis der Rechtssprechung über Verbrechen in der von Stammeskämpfen erschütterten sudanesischen Provinz. Der sudanesische Justizminister Mohammed al-Mardi stellte am 15. Juni klar, dass kein offizieller Vertreter des Sudan vom IStGH befragt werde. "Wenn sie hier sind, um über den Fortschritt der Verfahren oder die Rolle der nationalen Justiz zu diskutieren , sind wir bereit, Ihnen jede gewünschte Information zu geben," sagte der Minister. "Aber wenn es sich um Ermittlungen handelt... so haben sie keinerlei Gerichtshoheit."

Elie Wiesel, in den USA lebender Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger, appellierte unterdessen in einem Interview in Ha´aretz vom 8. Juni an den Staat Israel, Flüchtlinge aus der Krisenprovinz Darfur aufzunehmen. Israel errichtet bekanntlich seit zwei Jahren eine Apartheid-Mauer, durch die weitere Zehntausende Palästinenser entwurzelt und vertrieben werden. Weltweit gibt es 5 Millionen palästinensische Flüchtlinge, von denen viele unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern leben. Und ginge es nach der Politik der israelischen Regierung, so würden die 3 Millionen Palästinenser in der Westbank und Gaza in einer Art von großen Lagern unter israelischer Aufsicht leben. Daher ist nicht so leicht verständlich, was Wiesel meinte, als er sagte: "Wir als Juden sind verpflichtet, nicht nur Juden zu helfen. Ich war ein Flüchtling und deshalb bin ich für die Aufnahme der Flüchtlinge."

Wiesel behauptet entgegen den Feststellungen der UNO, EU und AU, dass den sudanesischen Flüchtlingen in ihrer Heimat im Sudan der Völkermord drohe. Wiesel glaubt, dass alle Völkermorde, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschahen, wie die in Ruanda, Bosnien oder Darfur, "eine Folge dessen sind, was während des Holocaust geschah". "Der Holocaust bewies, dass es möglich ist, dies zu tun, und wenn es möglich ist, warum dann nicht?", so Wiesel. Der jüdische Staat hatte vor etwa einem Monat 31 Sudanesen, die nach Israel geflohen waren, wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt hatte. (Israelnetz)

Die Volksrepublik China hat sich massiv in der Erdölindustrie des Sudan engagiert. Die chinesische Regierung kooperiert mit der Zentralregierung in Khartum und unterstützt diese in ihrem Bestreben, die Souveränität und territoriale Einheit des Landes gegen Sezessionsbestrebungen im Süden und im westlichen Darfur zu verteidigen. Auch die imperialistische Bundesregierung verfolgt im Sudan ihre geostrategischen Interessen. Im Gegensatz zu Peking sieht Berlin anscheinend in der einseitigen Unterstützung der südsudanesische Sezessionsbewegung SPLM die beste Möglichkeit, deutschen Firmen den Zugang zu den im SPLM-Gebiet lagernden Rohstoffen zu sichern. Zu diesem Zweck bildete sich ein Transportkonsortium unter der Führung des Konsortiums "Thormählen Schweißtechnik". Wie Thormählen mitteilt, geht es in erster Linie um ein Eisenbahnprojekt von 4.100 km Länge mit einem Auftragsvolumen von ca. 2,5 Milliarden US Dollar "alleine für den Gleisoberbau. Insgesamt ist mit einem Investitionsvolumen von ca. acht Milliarden US Dollar für diesen Bereich zu rechnen" (German Foreign Policy v. 14.02.06). Das Projekt wird, soweit bekannt, auch von der sudanesischen Zentralregierung nicht abgelehnt sondern im Gegenteil aus wirtschaftlichen Gründen begrüßt wird.

Gefahr droht dem Sudan durch die Versuche des Westens, durch Protektion der Rebellenbewegungen im Süden und in Darfur die innere Lage weiter zu destabilisieren. Diese Politik könnte im Sudan ähnlich wie in Jugoslawien und im Irak auf längere Sicht zu einer Zerstörung der territorialen Einheit des Landes führen. Bisher scheinen maßgebliche deutsche Politiker die Versuche der USA vorbehaltlos zu unterstützen, durch ein entsprechendes UN-Mandat die Gesamtkontrolle über die westlichen Militäroperationen im Sudan zu übernehmen. Anscheinend nimmt Berlin dabei in Kauf, dass der deutsche Wirtschaftseinfluss im Sudan unter die hegemoniale Gewaltaufsicht des stärksten NATO-Partners kommt. Das wäre weder das erste noch das letzte Mal, dass sich die imperialistische Regierung Deutschlands der Führungsmacht USA unterordnet, wenn ihr dies im Kampf des Westens gegen den "Rest der Welt" erforderlich erscheint.

Am 22. Mai reiste der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, nach Khartum, als sich dort auch der UN-Gesandte Lakhdar Brahimi aufhielt. Gegenstand der Verhandlungen mit der sudanesischen Regierung war nach einem Bericht von German Foreign Policy (v. 23.5.06) der anhaltende Widerstand Khartums gegen die westlichen Pläne, die in Darfur stationierten Truppen der Afrikanischen Union durch UN-Einheiten zu ersetzen. Berlin hatte bereits im vergangenen Jahr das Mandat für die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in den Südsudan so gefasst, dass auch ein Einsatz im westsudanesischen Darfur ohne weiteres möglich ist. Das Sudan-Mandat wurde nun am 1. Juni zusammen mit dem Beschluss über die Kongo-Mission der Bundeswehr vom Bundestag verlängert.

Im Sudan sind etwa 30 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der rund 8400 Mann starken Mission der Vereinten Nationen (UNMIS) eingesetzt. UNMIS soll das Friedensabkommen zwischen der sudanesischen Regierung und den separatistischen Rebellengruppen im Süden überwachen. Für die Friedensmission AMIS der Afrikanischen Union (AU) in der westsudanesischen Krisenregion Darfur ist gegenwärtig nur ein Soldat der Bundeswehr abgestellt. Aber das AMIS-Mandat der Bundeswehr sieht insgesamt bis zu 200 Mann vor. Die Verlängerung des Sudan-Mandats der Bundeswehr ging reibungslos über die Bühne, wobei auch die Linksfraktion versäumte, rechtzeitig eine Debatte über die Verlängerung des Mandats zur Unterstützung der AU-Überwachungsmission AMIS in Darfur zu beantragen. So erlangte die von der Bundesregierung am 17. Mai beschlossene Mandatsverlängerung laut Parlamentsbeteiligungsgesetz ohne weiteres Gültigkeit. Darüber soll es in der Linksfraktion zu Auseinandersetzungen gekommen sein. ("Linke für Einsatz in Darfur" in taz v. 31.05.06).

Schließlich sind auch die christlichen Kirchen wie immer schon bei kolonialen Abenteuern so auch jetzt im Sudan zur Stelle. Über die von Berlin geförderten SPLM-Sezessionisten heißt es in einer Erklärung, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 30. Januar verabschiedete, diese brauchten "massive und umfassende Unterstützung (...) beim Aufbau der Verwaltung und bei den vielfältigen Entwicklungsaufgaben". Und der Ratsvorsitzende der EKD, Wolfgang Huber, erklärte nach einer offiziellen EKD-Delegationsreise in den Sudan im November letzten Jahres: "Ich bin in der Ansicht bestätigt worden, dass wir in Deutschland und in der EU eine neue, stärkere Rolle in Afrika spielen müssen." (German Foreign Policy v. 14.02.06)

Für einen neuen "humanitären" Militäreinsatz, diesmal im Sudan, sind erneut einige aus dem Jugoslawienkrieg sattsam bekannten Elemente gegeben. Allerdings hat sich das weltpolitische Kräfteverhältnis von China über Russland, Iran, Irak, Syrien bis nach Venezuela, Bolivien und Kuba nicht zugunsten der Aggressoren geändert. Keine schlechten Voraussetzungen für die Friedensbewegung, für die Verteidigung des Völkerrechts und des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Völker aktiv zu werden.


Online-Flyer Nr. 52  vom 12.07.2006

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE


Im Hoheitsgebiet der NATO
Von Arbeiterfotografie