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Globales
Der Rechtsbruch begann mit der Besetzung Kubas durch die USA 1898
10 Jahre Guantánamo
Von Norman Paech

Gedenktage dienen im Allgemeinen der Erinnerung an die Vergangenheit, manchmal auch an die Gegenwart, die vergessen zu werden droht. Ein solcher Gedenktag ist der 11. Januar, an dem im Jahr 2002 zum ersten Mal 20 Gefangene aus Afghanistan in ein provisorisches Lager in Guantánamo eingeliefert wurden. Damit begann die zweite Geschichte eines Ortes, der schon lange nicht mehr hätte existieren sollen und der in seiner neuen Bestimmung nie hätte eingerichtet werden dürfen – ein Anachronismus der Kolonialgeschichte und jetzt ein Anachronismus des Rechtsstaates.

Häftlinge in Guantánamo nach ihrer Ankunft im Januar 2002
Quelle: http://en.wikipedia.org/
 
Die erste Geschichte. Sie beginnt mit der Besetzung Kubas durch die USA im Jahr 1898. Auf 117,6 Quadratkilometern im Südosten der Insel errichteten die Amerikaner 1903 einen Marinestützpunkt zur Kohleverladung und Versorgung ihrer Dampfschiffe. Grundlage war ein Vertrag mit der kubanischen Regierung von Tomás Estrada Palma, dem faktisch keine andere Wahl blieb. Denn im März 1901 hatten die USA der neuen Verfassung von Kuba das sog. Platt-Amendment aufgezwungen, welches den USA das Recht gab, im Falle innerer Unruhen in Kuba zu intervenieren. In Artikel II des Vertrages wurde das Recht festgelegt, "alles Notwendige zu tun, um an diesen Orten (auch Bahía Honda hatten sich die USA als Stützpunkt reservieren lassen N.P.) die Bedingungen für deren ausschließliche Nutzung als Kohleverlade- oder Marineeinrichtungen - und für keinen anderen Zweck - zu schaffen." Die Dauer des Vertrages war auf 99 Jahre festgelegt. Kuba behielt die Souveränität über das Gebiet, wenn auch die USA die „vollständige Jurisdiktion und Kontrolle“ über das Gebiet ausüben konnte.
 
21 Jahre später, am 29. Mai 1934, wurde im Geiste der US-amerikanischen Politik der "Guten Nachbarschaft" unter der Präsidentschaft von Franklin Delano Roosevelt ein neuer Vertrag geschlossen, der den von 1903 und damit das Platt-Amendment außer Kraft setzte. In diesem neuen Vertrag wurde nur noch Guantánamo als Stützpunkt behalten. Im Artikel III des neuen Vertrages ließen sich die USA jedoch alle Rechte und Privilegien für den Stützpunkt aus dem Jahr 1903 wieder bestätigen. Zusätzlich heißt es in dem Vertrag: "Solange der besagte Marinestützpunkt von Guantánamo nicht von Seiten der Vereinigten Staaten aufgegeben wird oder solange die zwei Regierungen keine Änderung seiner aktuellen Begrenzungen vereinbaren, behält er weiterhin die zur Zeit beanspruchte territoriale Ausdehnung, mit den Begrenzungen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages."
 
Damit wurde der Vertrag auf unbestimmte Zeit verlängert und faktisch unkündbar, es sei denn mit Zustimmung der USA. Er enthielt noch eine Vereinbarung über die jährliche Miete: 2.000 US-Dollar für 11,76 Hektar, die eine der besten Tiefseebuchten der Insel einschließen. Heute beträgt die Summe 4.085 US-Dollar pro Jahr in jährlichen Schecks. Seit der Revolution von 1958 steht die kubanische Regierung auf dem Standpunkt, dass die Pachtverträge von 1903 und 1934 nichtig seien und Guantánamo illegal besetzt gehalten werde. Die kubanische Regierung weigert sich daher, die Schecks einzulösen und hat Guantánamo vom Wasser- und Elektrizitätsnetz abgekoppelt. Seitdem wird der Stützpunkt von den USA aus mit Schiffen und Flugzeugen versorgt. Ein 28 km langer Grenzzaun mit 44 Türmen sowie ein Minenfeld umschließen die Bucht.
 
Die zweite Geschichte Guantánamos beginnt mit einem offenen Bruch des immer noch gültigen Vertrages durch die USA. Ein Kündigungsgrund für Kuba, denn ein Gefängnis ist keine Kohleverladestation und kein Marinestützpunkt. Es ist auch kein gewöhnliches Gefängnis - in Russland würde es Gulag, in Deutschland Konzentrationslager (KZ) heißen - Synonym für Folter, Rechtlosigkeit und Verletzung der Menschenwürde. Zeitweise befanden sich bis zu 680 Gefangene in Guantánamo, insgesamt wurden 775 Männer der verschiedensten Nationen dort eingeliefert. Dieser Ort außerhalb der USA war von der Bush-Administration gewählt worden, um den Gefangenen alle Rechte zu nehmen, die ihnen in den USA vor Gericht eingeräumt werden müssen. Obendrein wird ihnen auch der Schutz der Genfer Konventionen genommen.
 
Dass dieses Vorgehen weder im nationalen noch internationalen Recht eine Grundlage hat und auch dem angelsächsischen Verständnis der „rule of law“ krass widerspricht, hat die USA bisher wenig gekümmert. Wikileaks hat im April 2011 Personalakten aus Guantánamo veröffentlicht. Da taucht ein 14jähriger Junge im Lager auf, weil man hoffte, über ihn Erkenntnisse über örtliche Talibanführer zu bekommen. Oder ein alter Mann von 89 Jahren mit Altersdemenz, in dessen Haus man angeblich „verdächtige Telefonnummern“ gefunden hatte. Oder ein afghanischer Taxifahrer, dem man nichts vorwerfen konnte, von dem sie aber wegen seiner Taxifahrten in der Umgebung von Kabul „allgemeine Erkenntnisse über Aktivitäten in diesem Gebiet“ erhofften. Ein begründeter Verdacht hat offensichtlich nie eine Rolle gespielt. In der Hysterie des Antiterrorkampfes genügt die allgemeine Annahme einer Gefährlichkeit. So sollen von den derzeit 171 Gefangenen etwa 50 inhaftiert sein, die nie einem Gericht vorgeführt werden, weil nichts gegen sie vorliegt, die aber auch nie aus der Haft gelassen werden, weil sie angeblich zu gefährlich sind.
 
Als Präsident Obama kurz nach seinem Amtsantritt ankündigte, Guantánamo aufzulösen, die Militärtribunale abzuschaffen und jene fünf wegen der Anschläge vom 11. September 2001 inhaftierten Männer vor ein New Yorker ordentliches Gericht zu stellen, erhob sich ein Sturm des Protestes in den Medien und dem Kongress. Der Kongress verhinderte jede Initiative und strich die Gelder für den Bau einer speziellen Haftanstalt in den USA. So ist auch am 10. Jahrestag nicht absehbar, wann Guantánamo geschlossen wird. Es wird noch weitere Jahre das hässliche Gesicht der USA prägen, ein Ort, der allen Ansprüchen an Rechtsstaat, Menschenrechte und „good governance“ widerspricht, mit denen die US-Administration ihre Interventionen rund um die Welt zu begründen versucht. Dabei sollten auch jene Namen wie Bagram und Abu Graib nicht vergessen werden. Hier ist ebenfalls gefoltert und die Menschenwürde mit Füßen getreten worden, und niemand weiß, ob diese Gesetzlosigkeit nicht noch andauert. Diese Gefängnisse erinnern uns alle daran, dass es der Krieg ist, der solche Orte des Grauens und der Unmenschlichkeit hervorbringt. (PK)
 
Professor Norman Paech (* 12. April 1938 in Bremerhaven) ist ein emeritierter deutscher Hochschullehrer und Politiker der LINKEN.


Online-Flyer Nr. 338  vom 25.01.2012

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