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Inland
"Liebe FIFA, hier sehe ich Handlungsbedarf."
Eine WM-Zwischenbilanz
Von Hermann

"Vielleicht liegt es ja daran, dass ich mir so viele Weltmeisterschaften angesehen habe, aber schon bei Spielbeginn habe ich das Gefühl, dass ich alles bereits gesehen habe." schrieb Javier Marías bereits 1998. Vielleicht liegt es daran, dass ich altersbedingt noch nicht annähernd so viele Weltmeisterschaften wie Herr Marías gesehen habe, aber mir fallen immer wieder Dinge auf.

Karikatur: Hermann
Karikatur: Hermann

Die Stadien

sind wirklich schick anzusehen und bis zum letzten Platz gefüllt mit Fußballfans aus aller Welt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sind die Stadien größtenteils mit Deutschen Fans gefüllt. Denn ungeachtet der dargebotenen Partie singen die Ränge bei fast jeder Begegnung `Steht auf, wenn ihr Deutsche seid´, selbst wenn sich die Deutsche Beteiligung im Innenraum auf die Ordner beschränkt. Viele dieser Sangesbrüder haben ihre Karte über dunkele Kanäle bezogen, denn der Schwarzmarkt blüht wie eh und je. Vor dem Hintergrund, dass anlässlich des Spiels Deutschland - Polen beim Einlass stündlich fünf bis sechs Stichprobenkontrollen bezüglich der Namen auf den Eintrittskarten vorgenommen wurden, ist fraglich, ob sich der Aufwand mit den personalisierten Tickets und den Gerichtsverfahren gegen Kartenkäufer und -verkäufer wirklich geloht hat.

Eine Frage stellte sich mir beim Betrachten der Stadien im Fernsehen: Woher kommt es, dass in einigen wenigen Stadien die la ola-Welle - jaja, ich weiß, übersetzt steht da `die die Welle-Welle´ - im Uhrzeigersinn über die Ränge rollt, während sie in der Mehrheit der Spielstätten entgegengesetzt verläuft? Gibt es da vom Weltverband keine Vorschriften? Wenn zum Schutze der Sponsoren, der Zuschauer und der Schönheit des Spiels nichts dem Zufall überlassen wird, wie können da unkontrollierte Wellen ohne erkennbare Ordnung durchs Stadion schwappen? Liebe FIFA, hier sehe ich Handlungsbedarf.

Die Fans

hätten unsere WM beinahe kaputt gemacht. Denn was darf bei einer echten Weltmeisterschaft nicht fehlen? Genau, ein bisschen Randale. Aber eben hier haperte es lange Zeit, was dann folgerichtig die Polizei auf den Plan rief. Wäre ja auch zu schade gewesen, wenn sie ihr zero-tolerance-Konzept nicht den internationalen Fachmedien hätten vorstellen können. Doch in Dortmund, Köln und Stuttgart konnte der Stein des Anstoßes ins Rollen gebracht werden. Wenn die Kölner Boulevard-Presse die Ausschreitungen so beschreibt, dass die Polizei die vermeintlichen Treffpunkte der Hooligans kannte und diese dann kontrollierte, und dass sich `unbeteiligte Fans´ durch die Kontrollen provoziert fühlten und daraufhin begannen, mit Mobiliar um sich zu schmeißen, kann man sich das sensible Auftreten der uniformierten Konfliktpartei bildhaft vorstellen.

Die Kommentatoren

der Rundfunkstationen orientieren sich durch die Bank an den Maßstäben, die die Herren Beckmann und Kerner gesetzt haben. Um aus Manni Breuckmanns Jugend-Memoiren zu zitieren: "Die Deutschen der Adenauer-Jahre waren gegenüber Fremdsprachen von unbekümmerter Ignoranz. Mittlerweile sind wir in Sachen Baschtürk, Gii-Miää und Co. am anderen Ende der Fahnenstange angekommen, nämlich im Stadium der Überperfektion." Reinhold R. ist der Großmeister der kosmopolitischen Aussprache von Namen. Didier Drogba ist für ihn ein gefundenes Fressen. Drogba spricht er DrogbAH aus, hat aber wohl versäumt, sich über dessen Vornamen Gedanken zu machen und nennt ihn konsequent Didi, als wäre von Herrn Hamann die Rede. Pavel Nedved wurde jahrelang Nettwett ausgesprochen, nun scheint einer aus der Kommentatoren-Gilde gehört zu haben, dass es der Tscheche schafft, in dem Namen ein J mitzusprechen, und so durften wir uns an den unterschiedlichsten Varianten von Nettwjett über Njettwett bis hin zu Njettwjett und Nettjett erfreuen. In einer Sache muss ich die Kommentatoren allerdings in Schutz nehmen: Wie man den tunesischen Spieler Namouchi aussprechen soll, ohne dass es wie eine Kontaktaufnahme auf dem Straßenstrich klingt, kann mir wohl niemand vormachen.

Der Kaiser

wollte dem Deutschen Volk dadurch Respekt einflößen, dass er bei beinahe jedem Spiel verkniffen von der Ehrengasttribüne linst. Auch wurden die Fernsehsprecher nicht müde zu betonen, welch große Leistung seine Anwesenheit in sämtlichen Stadien sei. Aber mal ganz ehrlich, das ist doch Groundhopping für Doofe. Mit einer Dauerkarte für sämtliche Stadien und einem eigenen Hubschrauber ausgestattet kann das doch wirklich jeder. Das darf man doch nicht als besondere Leistung verkaufen. Als nächstes lässt sich der Kaiser von seinem Piloten auf dem Mount Everest absetzen und erklärt nachher stolz, er habe den höchsten Gipfel der Welt bezwungen.

Sepp Blatter

und seine Spießgesellen lassen sich mit großer Begeisterung und wenig Liebe zum Spiel anlässlich jedes großen Turniers fürs Reglement oder den Umgang mit selbigem Neuerungen einfallen. Seinem Lebensziel, den Sport der Tacklings zu berauben, ist der FIFA-Präsident erneut ein Stück näher gekommen. Jeder etwas ruppigere Zweikampf, einst lapidar als `internationale Härte´ abgetan, zieht inzwischen eine Schwemme bunter Karten nach sich. Ebenso gut gemeint wie völlig überzogen sind auch die Kartenvergaben bei Spielverzögerungen. Natürlich ist das konsequente Schinden von Zeit für ein attraktives Fußballspiel wenig förderlich, aber dass ein Spieler wegen zweimaligen Wegschießens des Balls nach einem Pfiff für eine Partie gesperrt wird, wirkt etwas unverhältnismäßig, da diese Bestrafung Notbremsen oder anderen regelwidrigen, spielentscheidenden Taten vorbehalten sein sollte. Wir können also gespannt sein, mit welchen Disziplinierungsmaßnahmen uns die Herren aus Zürich in vier Jahren zu verblüffen versuchen. Wie wäre es damit, das Spucken auf den Rasen zu verbieten? Wegen der Vorbildfunktion für die Jugend und weil es etwas unhygienisch ist, wenn ein grätschender Spieler auf einem Speichelfilm dahingleitet. Ach nein, das letzte Argument zählt nicht, weil das Grätschen bis dahin ja auch regelwidrig sein wird.

Online-Flyer Nr. 51  vom 04.07.2006

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