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Medien
Propaganda für 10 Jahre deutsche Kriegsbeteiligung
Afghanistan und die Medien
Von Sabine Schiffer

Als am 9. September 2001 Ahmed Shah Massud, der Führer der Nordallianz, ermordet wurde, entpuppte sich dies als verfrühtes „Geschenk“ an diejenigen, die wenige Wochen später zusammen mit der Nordallianz Kabul eroberten. Der Tod Massuds machte den Weg frei für UNOCAL-Karsai und den geplanten Pipeline-Bau. Massuds Tod wurde schnell überblendet von den Ereignissen, die zwei Tage später über die USA und die Welt hereinbrachen: die Attentate des 11. Septembers. Die fast live gesendeten Anschläge von 9/11 brannten sich ins mondiale Kollektivgedächtnis ein und überlagerten viele andere Themen – etwa den Jahrestag des Todes Salvador Allendes während des Putsches in Chile 1973. Beim Aufblenden und Ausblenden von Themen spielen Medien(bilder) eine wichtige Rolle.

Kriegspropaganda mit „Bibi Aishas“ abgeschlagener Nase
Quelle: www.oe24.at/
  
Deshalb sollte man jede Medienerscheinung nie für ein Abbild der Realität halten, sondern für wichtige Filter unseres Wissens über die Welt, wie Niklas Luhman dies beschrieb. Und während es klare Tendenzen hin zu persönlichen „human interest“-Geschichten gibt, wird der Informationsanteil in den Medien systematisch reduziert. Vielleicht sind die heutigen Zeitungsausgaben symptomatisch dafür, wo nur wenige linke Zeitungen den 10. Jahrestag des Krieges der Willigen in Afghanistan auf ihren Titelseiten brachten, während die Mehrzahl deutscher Tageszeitungen mit dem Tod von „iGod“ Steve Jobs aufmachten.
 
Die Aufmerksamkeit der Menschen ist begrenzt und so wird es immer wichtiger, diese zu steuern. Darum versuchen immer mehr Interessengruppen aus Politik und Wirtschaft via Lobbying und Public Relations auf die öffentlichen Debatten Einfluss zu nehmen. Angesichts des Drucks, der auf die klassischen Medien durch Internet und Geldmangel ausgeübt wird, gelingt es dieser Fünften Gewalt zunehmend, der Vierten Gewalt eine Agenda abzuarbeitender Themen aufzunötigen. Am Beispiel des vermittelten Wissens über die Situation in Afghanistan lässt sich das nachvollziehen anhand etlicher Aufmerksamkeitsverschiebungen und überblendeten Themen:
 
- Während etwa viel über eine mögliche Schließung von Guantanamo schwadroniert wurde, geriet die Ausweitung des vergleichbaren Lagers Bagram in Afghanistan in den Hintergrund.
 
- Während von Truppenabzug die Rede ist, wird die Tendenz hin zur Privatisierung des Krieges und dem Verbleib von „Sicherheitsleuten“ vor Ort kaum beleuchtet.
 
- Mit dem Verweis auf die Schreckensherrschaft der Taliban, wurde erfolgreich deren Entstehungsgeschichte ausgeblendet. Etwa auf einer Website wie
www.medienverantwortung.dekriegsreisende.de wird die Kooperation zwischen den USA (entsprechend ihrem geostrategischen Vordenker Brzezinski), Saudi-Arabien und Pakistan deutlich gemacht, um Terroristen – zunächst zum Kampf gegen die UdSSR – auszubilden.
 
- Während das Thema Mädchenbildung und Mädchenschulen immer wieder als Kriegsgrund herhalten muss – wobei wechselnde Kriegsgründe der beste Hinweis auf PR-Strategien sind – nimmt die Bildung in Afghanistan insgesamt ab und die Analphabetenrate zu.
 
- Während das Foto „Bibi Aishas“ mit abgeschlagener Nase auf dem TimeMagazine das lange kultivierte Frauenbild zu Kriegspropagandazwecken ausschöpft, wird damit erfolgreich überblendet, dass die Wikileaks-Dokumente von NATO-Kriegsverbrechen in Afghanistan bereits eine Abzugsdiskussion in Gang gesetzt hatten. (Daran war der Ehemann der Fotografin Aryn Baker gar nicht interessiert, weil der mögliche Abzug die Einwerbung von Geldern für seine „Hilfsprojekte“ gefährdete. Insofern entsprach zwar die Strategie der Emotionalisierung der Kriegsdebatte durch Frauengeschichten, wie sie im CIA Red Cell Paper dargelegt wird, hatte hier aber einen noch „billigeren“ Grund).
 
- Kriegstote gibt es nur auf youtube – sie sind auf Grund des „embedded journalism“ unserer Wahrnehmung entzogen. Das Internet hat seit 9/11 durch das Versagen der meisten Mainstream-Medien als Vierte Gewalt enormen Auftrieb erfahren. Und darum gibt es nicht wenige Unterwanderungsstrategien gegen diese Art von Gegenöffentlichkeit – wie meine KollegInnen und ich sie auf hintergrund.de in „Konspiration auf dem Kunstrasen“ beschreiben.
 
- Auch der neueste Spin der Kriegspropaganda funktioniert nicht ohne die „Mitarbeit“ der Medien: Nun wird die Umdefinition von Recht und Funktion der Bundeswehr mittels des „human interest“ am Soldatenschicksal zu erreichen versucht. Nun soll die Solidarität mit „unseren Soldaten“ die Kriegsakzeptanz als Normalzustand fördern.
 
Auch diese Instrumentalisierung ist durchschaubar: Wie im Falle der Frauen, verbessert sich die reale Situation nicht, wie für die afghanischen Frauen Malalai Joya und für die Bundeswehr die Gründung der Kriegsopferfürsorge durch Andreas Timmermann-Levanas bezeugt.
 
Schlechte Aussichten
 
Obwohl es unabhängige Journalisten wie Marc Thörner und neue Medien wie Kontext TV, Telepolis u.a. und weiteres Bemühungen um Aufklärung gibt, dürften Desinformation und die Manipulation der öffentlichen Meinung voranschreiten, denn es gibt gewichtige Interessen an Krieg und Kontrolle. So sollte die Linke vorsichtig sein, sich auf den Standpunkt „Parlamentsarmee“ als Begründung zurückzuziehen, denn völkerrechtswidrige Kriegseinsätze werden durch Parlamentsbeschluss nicht legitimer. Und Wolfgang Ischinger und seine rechte Hand Timo Nötzel mitsamt dem Think Tank „Institut für Neue Verantwortung“ arbeiten auf Hochtouren daran, den Parlamentsvorbehalt abzuschaffen. Und die neuesten Slogans aus Marktforschung und PR für den Krieg – von trendence über Aspect und Atkon bis adelphi consult – lauten „Klima- und Energiepolitik“ und „Migrationsbewegungen durch Klimawandel“.
 
Wie nützlich, dass bereits in älteren Strategiepapieren neben der angeblich „humanitären Intervention“ – die erfolgreich auf dem Balkan herbeigelogen wurde – und der „Ressourcensicherung“ auch „starke Migrationsbewegungen“ dazu gehören. Das wirft einen Blick auf mögliche Kriegsgebiete nach Afghanistan, denn der Truppenabzug dort wird angesichts unserer neuen Berufsarmee sowie der militaristischen „EU-Außenpolitik“ nicht weniger Krieg bedeuten. (PK)
 
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen und hat diesen Vortrag vor dem Frauenforum Aichach-Friedberg gehalten. (PK)


Online-Flyer Nr. 327  vom 09.11.2011

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