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Lokales
Veranstaltung zum Antisemitismus in der Alten Feuerwache in Köln
Unrecht decken oder bekämpfen?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Während der Staat Israel in Ost-Jerusalem und in der Westbank systematisch Häuser, Wassertanks und andere Infrastruktur zerstört, um die dort ansässige palästinensische Bevölkerung zu vertreiben, findet in Köln im Bürgerzentrum Alte Feuerwache eine Veranstaltung statt, in der Antisemitismus und insbesondere die von Walter Herrmann initiierte Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung, die seit einer Reihe von Jahren die menschenverachtende Strategie des israelischen Staates in Palästina zu einem Schwerpunkt ihrer Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit macht, zur Debatte gestellt wird.

Häuserzerstörung in Ost-Jerusalem
Quelle: electronicintifada.net
 
Stell Dir vor, Du lebst in einem Land, z.B. in Deutschland und wirst Zeuge, was Tag für Tag in Deiner Nachbarschaft passiert: wie der deutsche Staat die Wasser- und Elektrizitätsversorgung zu Häusern in Deiner Nachbarschaft, in denen Muslime leben, zerstören lässt oder Häuser von Muslimen und Moscheen ganz und gar dem Erdboden gleich machen lässt, oder von Zeit zu Zeit ganze Regionen, in denen Muslime leben, bombardieren lässt. Stell Dir vor, das geschieht seit vielen Jahren mit dem Ziel, die betroffenen Menschen aus dem Land, in dem Du lebst, zu vertreiben. Stell Dir vor, die Betroffenen würden um Hilfe bitten. Sie würden die Weltöffentlichkeit aufrufen, den deutschen Staat mit gewaltlosen Mitteln unter Druck zu setzen, Waren aus Deutschland nicht zu kaufen, die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen einzustellen und Sanktionen gegen den deutschen Staat zu verhängen. Würdest Du das unterstützen? Oder fändest Du es besser, den Protest gegen das Unrecht zum Unrecht zu erklären?
 
Weltweit gibt es nur wenige Menschen, die Ihr Leben für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt einsetzen. Einer dieser Wenigen ist der mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete Walter Herrmann, Initiator der Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung. Er rückt seit vielen Jahren insbesondere das Unrecht, das Israel der palästinensischen Bevölkerung antut, ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Deshalb wird er, von denen, die das Unrecht decken, angefeindet und verunglimpft.
 
Mitte Oktober 2011 können wir lesen: „Die UNRWA fordert ein Ende aller Praktiken und Methoden, die zu Vertreibungen von Palästinensern führen. Durch über 3.000 angeordnete Hauszerstörungen, die zurzeit noch ausstehen, leben ganze Dörfer und Städte unter einem täglichen Trauma und der Angst ihr Zuhause und ihre Existenzgrundlage zu verlieren.“ Mit dieser Äußerung wird Chris Gunness, Sprecher der UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) von dem in Bethlehem ansässigen Palestine News Network zitiert. Viele Palästinenser, ganze Dorfgemeinschaften, würden durch eine neue Methode vertrieben: der israelische Staat lasse neuerdings Wassertanks zerstören. Solche Wassertanks, so Chris Gunness, würden „oft von bis zu 300 Menschen genutzt“.
 
Am 8. September 2011 meldet UNRWA die Zerstörung von ziviler Infrastruktur durch israelische Staatsorgane in einem Dorf in der südlichen Westbank, wovon 145 Menschen schwer betroffen sind, von Operationen des israelischen Staates in einem Dorf nordöstlich von Nablus, wo drei Wassertanks zerstört worden seien, und in einem Dorf südlich von Hebron, wo die elektrische Infrastruktur zerstört worden sei - alles geschehen an einem einzigen Tag.
 
Während zahllosen Menschen in Palästina jetzt seit mehr als 60 Jahren auf brutale Art und Weise ihre Heimat genommen wird, hat am 12. Oktober 2011 in Köln in der Alten Feuerwache eine Veranstaltung mit den Titel „Antisemitisches Ressentiment und/oder Kritik an Israel?“ stattgefunden. Im Ankündigungstext dazu heißt es: „In den letzten Jahren wurde wiederholt Kritik an der sog. 'Kölner Klagemauer' wegen des Schürens von Ressentiments gegenüber Israel laut. Die 'Alte Feuerwache' wurde wegen angeblicher Unterstützung der 'Klagemauer' ebenfalls kritisiert. Als ein Ergebnis dieser Kritik hat sich der Vorstand des Vereins im Dezember 2010 der städtischen Resolution gegen die 'Klagemauer' angeschlossen.“

Klagemauerbetreiber Klaus Franke
Bild: arbeiterfotografie.com
 
Und fast wäre es sogar gelungen, das Klagemauer-Projekt durch das Aussprechen von Hausverbot für Walter Herrmann und den Entzug von Räumen in der Alten Feuerwache stark in Bedrängnis zu bringen. Das konnte zum Glück durch eine außerordentliche Mitgliederversammlung am 28. September 2011 abgewendet werden. In der NRhZ-Ausgabe 322 haben wir darauf hingewiesen, dass der Ankündigungstext für diese Veranstaltung sachlich falsch ist. (1) Es war erst im Mai 2011, als sich der BAF-Vorstand der im Dezember 2010 veröffentlichten Resolution nachträglich angeschlossen hatte – u.a. auf Betreiben von Henryk M. Broder.
 
Diskussion oder Tribunal
 
Teile des Vorstands des Bürgerzentrums Alte Feuerwache hatten nun die aktuelle Veranstaltung am 12. Oktober als eine Art Tribunal konzipiert, in dem nicht mit den Betreibern der Klagemauer diskutiert, sondern über sie geurteilt werden sollte. Weder Walter Herrmann noch Klaus Franke, zwei der Hauptbetreiber der Klagemauer, waren eingeladen. Klaus Franke kam trotzdem und blieb bis zum Beginn der Veranstaltung, um Flugblätter zu verteilen. Auf denen stand: „Als Sohn eines Kölner Bürgers, der das Konzentrationslager erlebt hat, unterstütze ich die Kölner Klagemauer.“
 
Auf dem Podium saßen Rehzi Malzahn, Mitglied in den Gruppen „Sonne, Mond und Sterne“ und „Antifa Teheran“ in Köln-Kalk, Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Reiner Schmidt von der Interventionistischen Linken, Özlem Demirel von der Partei „Die Linke“ und als Moderator Pascal Beucker von der taz.

Podium nach dem Ausstieg von Rehzi Malzahn
Bild: arbeiterfotografie.com
 
Dazu ist anzumerken: Rehzi Malzahn verließ das Podium, als zu Beginn der Veranstaltung fotografiert wurde. Während des weiteren Verlaufs der Veranstaltung war Fotografieren unerwünscht. Und noch eine Anmerkung zu Reiner Schmidt. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde er zunächst als „Aktivist der Palästina-Solidarität“ charakterisiert. Er selbst wies darauf hin: „Ich bin in der Print-Ausgabe der Stadtrevue angekündigt worden als Aktivist der Palästina-Solidarität. Das bin ich nicht. Das war ich nicht...“ Die Stadtrevue hatte diese Charakterisierung aber nicht erfunden. Die Angabe stammte von den Veranstaltern des BAF und war hinsichtlich der Zusammensetzung des Podiums irreführend.
 
Alle Teilnehmer auf dem Podium äußerten sich zu der Resolution vom Dezember 2010, in der die Kölner Bürgermeister, Parteien (mit Ausnahme der Linken) und Kirchenvertreter gegen die Klagemauer Position bezogen. Von Rehzi Malzahn war zu hören, das Klagemauer-Projekt sei antisemitisch. Deshalb sei ihr Verbleib in der Alten Feuerwache unmöglich und deshalb habe sie den Rausschmiss des Klagemauer-Projekts aus den Räumen der Alten Feuerwache gefordert. Kerstin Müller erklärte, die Klagemauer sei grenzwertig, die dort gezeigte Karikatur eindeutig antisemitisch, die städtische Resolution deshalb richtig. Reiner Schmidt: Das, was Walter Herrmann mache, sei „falsch, politisch falsch“. In der städtischen Resolution gebe es richtige, sehr vernünftige Forderungen an Walter Herrmann, vor allen Dingen die, sich eindeutig antisemitische Eklats nicht mehr zu leisten. Özlem Demirel hingegen widersprach diesem Chor der Stimmen auf dem Podium: Sie machte deutlich, dass die Kölner Ratsfraktion der Partei „Die Linke“ in ihrer großen Mehrheit gegen den Versuch Position beziehe, Walter Herrmann in die antisemitische Ecke zu stellen.
 
Es ist der Kölner Ratsfraktion der Partei „Die Linke“ hoch anzurechnen, dass sie sich damit dem Versuch, politisch engagierte Menschen aus der Gesellschaft auszugrenzen, widersetzt hat. Denn was ist das Ziel? Es geht darum, diejenigen Kräfte, die den kriminellen Machthabern dieser Welt ein Dorn im Auge sind, aus dem Weg zu räumen. Dass die Partei „Die Linke“ in Köln dabei nicht mitmacht, gibt Hoffnung - wie auch das Votum der BAF-Mitglieder vom 28. September, die Repressionen gegen Walter Herrmann und das Klagemauer-Projekt zu kippen.
 
„Walter Herrmann ist nicht die ARD“
 
Es war Manfred Wegener von der Stadtrevue, dem Kölner Monatsmagazin, das sich vom Neven-DuMont-Medienkonzern nicht hat unterkriegen lassen, der für erhebliche Unruhe sorgte, als er der Veranstaltung gewissermaßen den Boden unter den Füßen wegzog, indem er ausführte, er arbeite als Bildredakteur. Daraus resultiere bei ihm eine gewisse Empfindlichkeit hinsichtlich des Umgangs mit Bildern. Wenn so getan werde, als habe Walter Herrmann eine antisemitische Karikatur gezeigt, dann sei das nicht korrekt. "Man muss dazu wissen, dass das ein Foto von einer Demonstration in Indien war und darunter stand: dpa - Foto einer Demonstration in Indien...", bei der die Karikatur hochgehalten worden sei. Das sei etwas anderes, als wenn Walter Herrmann eine antisemitische Karikatur aufgehängt hätte. Außerdem habe Walter Herrmann aufgrund der Kritik das Bild dann auch abgehängt. Und wer Walter Herrmann kenne, wisse, dass er so etwas nicht anderen zum Gefallen tue.
 
Aus dem Publikum kam noch eine andere Frage, die für Unruhe sorgte, nämlich die nach dem Selbstverständnis des Staates Israel: Ob es zutreffe, dass Israel ein Staat für Juden sei, also auf einer religiösen Basis gegründet sei und damit eine Art Gottesstaat. Damit impliziert war die Frage, ob es richtig sein kann, den allein jüdischen Charakter des Staates und damit die Ausgrenzung und Vertreibung all der anderen Menschen, die als nicht "jüdisch" gelten, zu stützen.
 
Eine für Humanisten nahe liegende Lösung des Konflikts in Israel/Palästina wurde fast nicht zum Thema gemacht. Niemand stellte die Frage, ob es nicht wie in Südafrika darum gehen müsse, den in Israel/Palästina lebenden Menschen gleiche Rechte und Chancen zu gewähren. Allenfalls war von einer Zwei-Staaten-Lösung die Rede. Eine Ein-Staaten-Lösung ohne religiösen und rassistischen Charakter - eben mit gleichen Rechten und Chancen für alle - blieb einer Randnotiz des Moderators Beucker vorbehalten, der bemerkte, dass sich die Arbeiterfotografie in dieser Richtung positioniert habe. Reiner Schmidt sagte zwar: "Der Staat Israel betreibt genau wie der Staat Südafrika eine Apartheidpolitik." Den Gedanken einer Ein-Staaten-Lösung zur Überwindung der Apartheid formulierte er allerdings nicht. Er lege an Israel nicht den gleichen Maßstab an. Das hänge mit der Shoa zusammen. Im Rahmen der Südafrika-Solidarität habe er Boykotte gefordert. Zu einer Boykott-Kampagne gegen Israel würde er nicht auffordern.
 
Eine Argumentation, die mehrfach aufkam, war: es sei zu kritisieren, wenn ein Staat stärker im Fokus der Aufmerksamkeit stehe als ein anderer. Damit würden von Staaten begangene Verbrechen unterschiedlich gewichtet. Und wenn dies im Falle Israel geschehe, sei dies antisemitisch. Es war Özlem Demirel, die das so nicht stehen ließ. Die Folgerung könne nicht sein, über Israel weniger oder nicht zu reden. Die Folgerung könne nur sein, auch über die anderen Länder zu reden - und die Verbrechen, die dort geschehen, zu thematisieren. Auch Manfred Wegener äußerte sich zu diesem Thema mit der Frage: "Ist nach der Fokustheorie eine Palästina-Wand auf der Domplatte per se antisemitisch, weil sie eine Palästina-Wand ist, weil Walter Herrmann sich nicht um all die anderen Konflikte in der Welt kümmert?" Und er gab auch gleich die Antwort: nein! Er würde auch nie eine Zensur fordern, wenn jemand auf der Domplatte eine Tibet-Wand aufstellen würde. Er verstehe die Forderung nicht, dass Walter Herrmann ausgewogen über einen Konflikt berichten solle. Das sei nicht Walter Herrmanns Aufgabe. "Walter Herrmann ist nicht die ARD. Walter Herrmann muss nicht ausgewogen über einen Konflikt berichten."
 
(1) NRhZ-Ausgabe 322: Kölner Klagemauer - nicht länger obdachlos, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17012


Online-Flyer Nr. 324  vom 19.10.2011

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