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Inland
Wirtschaftsminister Rösler meldet deutsche Ansprüche auf Beteiligung an
"10-Punkte-Aktionsplan Libyen"
Von Hans Georg

Mit einem Besuch in Tripolis 12. und 13. Oktober will Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler deutschen Unternehmen größtmögliche Anteile an der sich umstrukturierenden Wirtschaft Libyens sichern. Nach Muammar al Gaddafis Sturz werden die Geschäfte in dem Land völlig neu verteilt; vor allem Frankreich, Großbritannien und die USA, die den Krieg gegen Gaddafi maßgeblich geführt und das neue Regime ins Amt gebracht haben, wollen umfassend berücksichtigt werden.
 

Kanzler Schröder unter Gaddafis Regierung zu
Besuch bei BASF Wintershall in Libyen
NRhZ-Archiv
Deutschland bemüht sich nach Kräften, seine bisherige starke Stellung vor allem in der Rohstoff-branche nicht zu ver- lieren und womöglich sogar neue Vorteile zu erzielen. Bereits Ende September hatte das Bundeswirtschafts-ministerium ein Papier mit dem Titel "10-Punkte -Aktionsplan Libyen" vorgelegt, das die deutschen Ansprüche auf Beteiligung markiert. Man könne einen "wichtigen Beitrag" zum "Wiederaufbau" des Landes leisten, heißt es in dem Dokument. "Unverzüglich" müssten dazu "Gespräche mit der neuen libyschen Führung eingeleitet" werden. Deutsche Unternehmer hatten schon im Juli Kontakt aufgenommen - damals noch in der Hauptstadt der Aufständischen, in Bengasi.
 
Libyens Öl
 
Der "10-Punkte-Aktionsplan Libyen" vom 23. September 2011 skizziert in kurzer, aber prägnanter Weise die Bedeutung Libyens für die deutsche Wirtschaft. Insbesondere wird die gewichtige Rolle der libyschen Ölressourcen für die deutsche Industrie hervorgehoben. 2010 habe Deutschland Rohöl- und Mineralölerzeugnisse im Wert von drei Milliarden Euro aus Libyen bezogen, heißt es in dem Papier.[1] Tatsächlich war Libyen lange Zeit der größte und 2010 noch der zweitgrößte außereuropäische Erdöllieferant der Bundesrepublik.


Will profitable Geschäfte für
deutsche Unternehmen
vorbereiten - Philipp Rösler
Dementsprechend fordert der "Aktionsplan" die rasche Wiederaufnahme der Ölförderung und des Exports. Das Interesse Deutsch- lands am Zugriff auf die libyschen Ener- gieressourcen und an deren Kontrolle spiegelt sich auch in dem Ansinnen wider, sich am "Wiederaufbau" des Energiesektors ("Aufsuchung, Förderung und Vermarktung von Erdöl; Modernisierung der Raffinerien") zu beteiligen. Ergänzend verweist der "Aktionsplan" auf die Bedeutung Libyens im Bereich der Erneuerbaren Energien. Das Land gilt als möglicher Standort für das deutsche Desertec-Projekt, das auf die groß angelegte Ausbeutung der nordafrikanischen Sonnen- und Windenergie-potenziale für den europäischen Verbrauch zielt.[2] Schließlich heißt es, die Bundesrepublik könne sich am "Wiederaufbau" des kriegszerstörten Landes beteiligen. Praktisch läuft dies auf profitable Geschäfte für deutsche Unternehmen heraus, laut Wirtschaftsministerium vor allem in den Bereichen Gesundheit, Verkehr, "Maschinen und Transportmittel".[3]
 
Kooperationsausbau
 
Um die Realisierung der deutschen Wirtschaftsinteressen zu unterstützen, kündigt der "Aktionsplan" konkrete Schritte an. So will das Bundeswirtschaftsministerium in enger Zusammenarbeit mit Wirtschafts- und Unternehmensverbänden "gezielt Felder für konkrete Kooperationen (…) identifizieren". Die schnelle Eröffnung eines Wirtschaftsbüros bzw. einer Handelskammer in Libyen ist bereits in Planung, Wirtschaftsdelegationen sollen entsandt werden, der Bundeswirtschaftsminister wird persönlich nach Tripolis reisen - wie üblich "in Begleitung von privatwirtschaftlichen Akteuren". So schnell wie möglich soll eine "Sitzung des Deutsch-Libyschen Wirtschaftsforums unter führender libyscher Beteiligung in Berlin" organisiert werden. Das Papier kündigt darüber hinaus die verstärkte Nutzung von Hermesbürgschaften an und schlägt eine "Transformationspartnerschaft" mit Libyen vor - nach dem Modell gleichartiger Initiativen in Tunesien und Ägypten. Schließlich werde das Wirtschaftsministerium "die Begleitung wirtschaftspolitischer Reformen" anbieten, heißt es - "über eigene Transformationsteams und das Managerfortbildungsprogramm".[4]
 
Ein reiches Land
 
Bereits vor Gaddafis Sturz hatten Vertreter deutscher Wirtschafts- und Unternehmensverbände das Interesse an profitablen Geschäften im Nach-Gaddafi-Libyen betont und erste Kontakte zu den Aufständischen aufgebaut. Ende Juli bereiste der Außenwirtschaftsverband Afrika-Verein mit einer Delegation von 20 Vertretern deutscher Unternehmen und unter Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Hans-Joachim Otto, Bengasi und traf dort zu Gesprächen mit dem Nationalen Übergangsrat zusammen.[5] Als Gaddafi gestürzt wurde, betonte Steffen Behm, Nordafrika-Experte der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK), das Interesse deutscher Unternehmen und stellte künftige Investitionen in Aussicht.[6] Der Geschäftsführer des Afrika-Vereins, Hans W. Meier-Ewert, forderte in einem Rundfunkgespräch deutsche Firmen auf, ungeachtet aller Schwierigkeiten in Libyen aktiv zu werden: Libyen sei schließlich, erklärte er mit Blick auf die Rohstoffvorkommen und die aus ihnen resultierenden Gewinne, "ein reiches Land".[7]
 
Geschäfte erleichtern
 
Seine Libyen-Aktivitäten setzt der Afrika-Verein in der gegenwärtigen Umbruchsituation fort - in enger Kooperation mit der Politik. Am 29. September versammelte er zu einer Tagung unter dem Motto "The New Libya" 120 Vertreter deutscher Unternehmen sowie eine zehnköpfige Delegation aus Libyen unter der Führung von Abdelsalam Kablan, einem Mitglied des Finanzrats des Nationalen Übergangsrats. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte Hans-Joachim Otto entsandt, der die Vorstellungen Berlins im Sinne des "10-Punkte-Aktionsplans" präsentierte. Außenminister Westerwelle war persönlich präsent und bekräftigte in einem Grußwort, die Bundesregierung unterstütze, um zukünftige Geschäfte zu erleichtern, die "schnellstmögliche" Aufhebung aller Sanktionen gegen Libyen. Von den libyschen Guthaben, die in Deutschland eingefroren sind, sind bereits Aktiva in Höhe von einer Milliarde Euro dem Nationalen Übergangsrat zur Verfügung gestellt worden. Schließlich stellte Westerwelle der neuen libyschen Regierung noch einen Kredit im Umfang von 100 Millionen Euro in Aussicht.[8]
 
Gerne die ersten
 
Inwieweit es Berlin gelingt, die deutschen Interessen in Libyen zu realisieren, bleibt ungewiss. Die BASF-Tochter Wintershall, zu Gaddafis Zeiten größter ausländischer Erdölförderer im Land, hat es offenbar geschafft, den drohenden Verlust ihrer Förderlizenzen in Libyen abzuwenden. Ob Tripolis tatsächlich die Kooperation mit denjenigen Staaten deutlich reduzieren wird, die den NATO-Krieg gegen Gaddafi nicht militärisch unterstützten, ist noch nicht sicher absehbar. Finanzrat Abdelsalam Kalam jedenfalls machte Deutschland auf der Tagung "The New Libya" Hoffnung: "Deutschland ist zwar spät gekommen, aber nun können Sie gerne die ersten sein."[9] (PK)
 
 
[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: 10-Punkte-Aktionsplan Libyen, 23. September 2011
[2] s. dazu Solarkolonien, Nutznießer der Repression (II) und Ein ausgezeichneter Partner (II)
[3], [4] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: 10-Punkte-Aktionsplan Libyen, 23. September 2011
[5] s. dazu Arbeit für die Bauindustrie
[6] Pressemitteilung der Deutschen Presseagentur vom 23.08.2011; www.dpa.de
[7] Deutsche Unternehmen hoffen auf Aufträge; www.swr.de
[8], [9] Nationaler Übergangsrat wünscht deutsches Engagement; www.afrikaverein.de
 
Diesen Beitrag haben wir von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58168 übernommen.


Online-Flyer Nr. 323  vom 12.10.2011

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