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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Lokales
Rede zur Eröffnung der letzten Kölner Ausstellung über Jugendgefängnisse
4 ½ Jahre „Menschen statt Mauern“ – eine Bilanz
Von Klaus Jünschke

Die Idee zu einer Ausstellung zum Thema „Für ein Europa ohne Jugendgefängnisse“ kam uns im Frühjahr 2006. Da wir seit 1993 Gesprächsgruppen in der Jugendabteilung der JVA Köln durchgeführt hatten, drängte sich uns das Thema auf. Immer wieder haben wir in all diesen Jahren in unserer Öffentlichkeitsarbeit diesen Satz des Reichsjustizministers Gustav Radbruch aus der Weimarer Republik zitiert: „Wir brauchen keine besseren Gefängnisse, wir brauchen etwas Besseres als das Gefängnis.“

Im Gespräch während der Ausstellung: Dr. Roggenthin und Eva-Verena Kerwien von der Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe aus Bonn mit Prof. Canisius.
Foto: Klaus Jünschke
Jörg Hauenstein, der an unserem Buch "Pop Shop – Gespräche mit Jugend-lichen in Haft“ mitgearbeitet hat und in Ossendorf eine Fotogruppe mit Jugendlichen machte, schlug vor, eine Zelle zu bauen und die Außenwände der Zelle als Ausstellungsfläche zu nutzen.
 
Die Inneneinrichtung dieser Zelle mit allem, was Jugendlichen ausgehändigt wird, wenn sie in Haft kommen, hat uns die Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf zur Verfügung gestellt. Natürlich in voller Kenntnis, dass wir die Abschaffung der Jugendgefängnisse fordern. Vor 20 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
 
Für solche Veränderungen im Strafvollzug steht auch Jörn Foegen, der am 26. März 2006 verstorbene damalige Leiter der JVA Köln. Er hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man auf Straffälligkeit mit weniger Haft reagieren könnte – durch eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik, durch vermehrte Anwendung des Täter-Opferausgleichs und durch eine Sozialpolitik, die ihren Namen verdient und verhindert, dass Gefangene in die Obdachlosigkeit und die Arbeitslosigkeit entlassen werden müssen. Ihm haben wir deshalb die Ausstellung gewidmet.
 

Gerhart R. Baum –
Schirmherr der Ausstellung
NRhZ-Archiv
Als Schirmherr der Ausstellung konnten wir den ehemaligen Bundesinnen-minister Dr. Gerhart R. Baum gewinnen, der öffentlich immer wieder für die Menschen- und Bürgerrechte eintrat und gegen den um sich greifenden Sicherheitswahn argumentierte. Bei den meisten Eröffnungen unserer Ausstellung hat er gesprochen. Diesmal wäre er auch gerne gekommen, wie Martin Stankowski mitteilte, konnte aber aus Krankheitsgründen nicht an der Eröffnung teilnehmen.
 
In den Diskussionen um die Reform des Jugendstrafvollzugs ging es unter anderem um die Größe von Jugendstrafanstalten, um die Größe der Zellen und um die Größen von Wohngruppen – wir haben nie gehört, dass irgendwo die Zelle als Raum zur Unterbringung von Jugendlichen in Frage gestellt worden wäre. Das neue Jugendgefängnis in Wuppertal-Ronsdorf, das 510 Gefangene aufnehmen soll, hat Zellen, die 2 qm größer sind, als diejenige, die wir in unserer Ausstellung nach dem Vorbild der Zellen der JVA Köln-Ossendorf aufgebaut haben. Und die Toilette ist in den Wuppertaler Zellen abgetrennt. Aber es ist eine Zelle: innen ohne Klinke, also von innen nicht zu öffnen. Das Fenster ist vergittert. Presseberichten war zu entnehmen, dass die Bediensteten der neuen JVA den Journalisten gesagt haben, es gäbe in Wuppertal keine Zellen sondern nur Hafträume.
 
Wenn man hört, dass es keine Gefängnisse mehr gibt sondern nur noch Justizvollzugsanstalten, und folglich auch keine Gefangenen mehr sondern nur noch Insassen, und ihre Bewacher aus Vollzugsbediensteten besteht, dann ist natürlich nur logisch, dass es auch keine Zellen mehr gibt sondern eben Hafträume.
 
Die Jugendlichen beteiligen
 
Die Jugendlichen kommen in dieser Umformulierung ihrer Welt im Gefängnis nicht vor. Wir haben deshalb mit der Ausstellung auch ein Buch vorgestellt: „Pop Shop – Gespräche mit Jugendlichen in Haft“, das im Frühjahr 2007 im Konkret-Literatur-Verlag erschienen ist.

Presse zu den Ausstellungen im Jahr 2007 und eine Reklame für "Pop Shop"
Foto: Klaus Jünschke
 
Als die Jugendlichen in unserer Gesprächsgruppe in Ossendorf hörten, dass in Wuppertal ein moderner neuer Knast entstehen soll, haben sie uns gefragt, wie man auf die Idee kommen kann, 500 von ihnen mit all ihren Problemen in einem Gefängnis zusammen zu stecken. Wir wussten die Antwort: drei kleine Gefängnisse hätten drei Pforten, drei Küchen, drei Krankenreviere usw. benötigt – diese finanziellen Überlegungen standen Pate, als überlegt wurde, wie auf den Foltermord in Siegburg, wo der 20jährige Hermann Heibach, (* 7. März 1986 in Leverkusen) am 11. November 2006 in der JVA Siegburg auf einer Gemeinschaftszelle von seinen Mitgefangenen umgebracht wurde. Jeder inhaftierte Jugendliche sollte zum Schutz vor Übergriffen eine Einzelzelle bekommen. Dass die Zelle selbst ein Übergriff ist, wurde nicht mal angedacht.
 
Im Kindergarten und in der Schule wird seit Jahren die Rolle des Raumes im Prozess der Erziehung und der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen reflektiert. Ein schwedisches Sprichwort lautet, dass der Raum der dritte Erzieher ist – nach den gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen und den Lehrerinnen und Lehrern. Für die jungen Gefangenen wird der Raum, in dem sie teilweise jahrelange und immer noch vielfach täglich 23 Stunden zubringen müssen, nicht entsprechend beachtet. Dabei sind es die Angst- und Ohnmachtserfahrungen, die junge Gefangene in den Zellen immer wieder erleben, die die Vertrauensgrundlage zu denen gründlich zerstören, die eigentlich für die „erzieherische Gestaltung des Vollzugs“ zuständig sind.  
 
Die Politiker, die sich dafür entschieden haben, in Wuppertal-Ronsdorf ein Zellengefängnis mit über 500 Haftplätzen zu bauen, haben auch beschlossen, die JVA Heinsberg mit ihren 300 Plätzen auf 573 zu erweitern. Dieses Bauprogramm ist von keinem Kriminologen befürwortet worden. Aber auch in der Kriminologie sind die Befürworter einer Abschaffung des Jugendstraf-vollzugs leider eine Minderheit. Die Professoren Heinz Cornel von der FH Berlin und Werner Nikolai von der KFH Freiburg gehören dazu.
 
Im Koalitionsvertrag der von der SPD und den Grünen gebildeten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen heißt es dazu:
 
„Besser früh helfen, statt später strafen
 
Dem Problem der wachsenden Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen kann nur durch eine "Präventionspolitik aus einem Guss" begegnet werden. Wir werden die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Justiz und Jugendhilfe eng zusammenarbeiten, um den gesetzlich verankerten erzieherischen Auftrag im Jugendstrafrecht effektiv umzusetzen.
Die Empfehlung, sich vom Jugendstrafvollzug der herkömmlichen Art dauerhaft abzuwenden und stattdessen konsequent auf die pädagogische Ausgestaltung der Jugendstrafe durch Vollzug in offenen bzw. freien Formen und in Wohngruppen zu setzen, werden wir unterstützen. Wir gestalten die Präventionspolitik in NRW auf der Grundlage des Abschlussberichts der Enquetekommission“. (Koalitionsvertrag NRW-SPD und Grüne, Juli 2010, S. 75) 

Klaus Jünschke (hinten rechts) und Martin Stankowski (links) vor der Zelle in der Ausstellung im Gespräch mit BesucherInnen
Foto: Christiane Ensslin

Mal abgesehen davon, dass es für eine „wachsende Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen“ keine Belege gibt, könnten wir damit zufrieden sein. Aber da von dieser Koalition nicht zu hören ist, was mit den fünf Jugendgefängnissen in Nordrhein-Westfalen geschehen soll, ist zu fragen, was diese Worte wert sind.
 
Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing habe ich den damaligen Leiter des baden-württembergischen Jugendgefängnisses Adelsheim, Joachim Walter, kennen gelernt. Er hat berichtet, dass er gegen allen Druck darauf bestanden hat, dass auf die Mauern seiner Haftanstalt kein Nato-Stacheldraht kommt. Das ist ansonsten bei allen 27 Jugendgefängnissen der Fall.
 
In Nordrhein-Westfalen ist zusätzlich zum normalen Gitter auf die meisten Zellenfester eine zusätzliche Feinvergitterung gekommen, die Millionen Euro gekostet und den Leidensdruck auf die Gefangenen verstärkt hat.
 
Zur Charakterisierung dieser Vollzugskonzeption gehört auch, dass es in allen Bundesländern – mit Ausnahme von Sachsen – in den Jugendstrafgesetzen Paragraphen gibt, die den Schusswaffengebrauch gegen Jugendliche regeln.
 
Karl-Heinz Bredlow, der Leiter der Justizvollzugsanstalt Iserlohn, hat diesen vorgesehenen Schusswaffengebrauch gegen junge Inhaftierte bei der Anhörung der „Enquetekommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine effektive Präventionspolitik in NRW“ kritisiert. Er hat darauf verwiesen, dass aus seiner Sicht diese Bestimmungen gegen Regeln der Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug verstoßen.
 
Die Übersicherung der Jugendgefängnisse verändert zwangsläufig die Wahrnehmung ihrer Insassen. Galt schon für die alten Gefängnisse: „Stecke einen Menschen hinter Gitter und du siehst ein Tier“, so ist es zwangsläufig, wenn heute von kaum zu bändigenden Zombies und Monstern in Medien und Politik die Rede ist.
 
Law-and-Order
 
Wie sehr die Öffentlichkeit von Law-and-Order geprägt ist, also der Vorstellung, mit Härte soziale Konflikte lösen zu können, zeigt der Erfolg des Buches „Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“, das von der Jugendrichterin Kirsten Heisig verfasst wurde. Auch wenn darin moderate Töne vorkommen – es ist eine Kampfschrift und eine Absage an die Übernahme der Verantwortung der Erwachsenengesellschaft für das was Kinder und Jugend- liche anrichten.
 
Der Verlag bekennt sich dazu und zitiert Kirsten Heisig auf der Rückseite mit den Worten: „Wenn wir nicht rasch und konsequent handeln, wenn wir unsere Rechts- und Werteordnung nicht entschlossen durchsetzen, werden wir den Kampf gegen die Jugendgewalt verlieren.“
Verschiedene Kriminologen haben deutlich gemacht, dass sich Frau Heisig irrt, wenn sie von einer zunehmenden Jugendgewalt ausgeht.
 
Auf Seite 161 ihres Buches kann man lesen, dass es in Oslo, der norwegischen Hauptstadt mit ihren 600.000 Einwohnern, nur ganze sechs Haftplätze für jugendliche Straftäter gibt. Frau Heisig dazu: „ Mit sechs Haftplätzen für jugendliche Straftäter käme keine Großstadt in Deutschland aus.“
 
Tatsächlich wäre das möglich. Zurzeit sind in den 27 Jugendstrafanstalten der Bundesrepublik 5.000 junge Menschen inhaftiert. Nur 10% davon sind unter 18, also Jugendliche, 50 % sind 18 bis 20 und die restlichen 40% sind 21 – 24 Jahre alt. Auch aus der Millionenstadt Köln sind keine zehn Jugendlichen in Haft.
 
Frau Heisig teilt in ihrem Buch auch nicht mit, dass die Jugendgefängnisse in Norwegen 1975 abgeschafft wurden, in Dänemark war das schon 1973 der Fall, Schweden folgte 1980. Auch die Schweiz kennt keine Jugendgefängnisse.
 
Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Jugendstrafgefangenen in NRW und der Tatsache, dass 70% von ihnen keinen Schulabschluss haben und 20% Sonderschüler sind, ist natürlich begrüßenswert, dass für immer mehr von ihnen Kurse für Schulabschlüsse und Berufsausbildungen angeboten werden.
 
Aber wir wissen, dass das alles nicht wirklich hilft, wenn die Rahmenbedin-gungen bleiben wie sie sind:
 
Kinder- und Jugendarmut
 
„Die Zahl der von Armut betroffenen oder bedrohten Menschen in Nordrhein-Westfalen ist dagegen gestiegen. 2010 lag die Quote im bevölkerungsreichsten Bundesland bei 15,4 Prozent – 2005 waren es noch14,4 Prozent. Fast jeder Sechste der rund 18 Millionen Einwohner ist damit betroffen... …Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind in NRW überdurchschnittlich stark betroffen. Mit knapp 20 Prozent lebt jeder fünfte Minderjährige in Armut oder ist von ihr bedroht.“ (KStA 23.09.2011, S.05)
 
Die entscheidende Frage ist: Kampf gegen die Armut oder Kampf gegen die Armen?
 
Da die Armut männlich und weiblich ist, aber die Kriminalisierung sich fast ausschließlich gegen männliche Jugendliche richtet, kommt es nicht nur auf eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse sondern auch auf eine Änderung der Geschlechterverhältnisse an.
 
Die Überrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in Haft verweist auf die Notwendigkeit der Entkriminalisierung der Zuwanderungsgesetzgebung.
 
Jörn Foegen sprach immer wieder davon, dass er dreißig Prozent aller Zellen dicht machen könnte, wenn es eine an Leidverminderung orientierte Drogen-politik gäbe. (PK)


Online-Flyer Nr. 323  vom 12.10.2011

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