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Lokales
Außerordentliche Mitgliederversammlung der Alten Feuerwache entscheidet:
Kölner Klagemauer - nicht länger obdachlos
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

„Die Alte Feuerwache ist zu einem in Köln unverzichtbaren Raum für experimentelle Kunst, Kultur und alternative Politik geworden“, heißt es in einer Darstellung des selbstverwalteten Bürgerzentrums Alte Feuerwache e.V. (BAF) zum 25jährigen Bestehen im Jahr 2002. Am 28. September 2011 machte die außerordentlich einberufene Mitgliederversammlung dem seit Mai dieses Jahres amtierenden Vorstand klar, dass hier auch der kämpferische Geist wach geblieben ist. Die repressiven Maßnahmen gegen das Kölner Enfant terrible Walter Herrmann in Form von Hausverbot und Kündigung angemieteter Räume musste zurückgenommen werden.

Walter Herrmann, Initiator der Klagemauer für Frieden und Völkerverständi- gung und Träger des Aachener Friedenspreises
Fotos: arbeiterfotografie.com
 
Im Juni 2011 hatte Walter Herrmann, Träger des Aachener Friedenspreises 1998, im Bürgerzentrum Alte Feuerwache Hausverbot erhalten. Ihm wurde seitdem auch der Zugang zur Lagerhalle verwehrt, in der er jeweils nach getaner Arbeit auf der Kölner Domplatte Teile seiner Klagemauer unterbringt. Und ihm war zum 30.7.2011 das Pförtnerhäuschen am Eingang Melchiorstraße gekündigt worden, in dem auch Bestandteile seiner Klagemauer untergebracht sind. Begründet wurden die Repressalien mit seinem Eintreten gegen ein geplantes - Kulturbotschaft genanntes - Bauprojekt auf dem Gelände der Alten Feuerwache. Damit wurden Walter Herrmann und sein Wirken mit der Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung stark behindert.(1) 

Protestaktion der Arbeiterfotografie am 8.6.2011: Farida Akhter (Bürgerrecht- lerin aus Bangladesh) und Maria Mies (Kölner Soziologie-Professorin) protestieren mit Walter Herrmann gegen das Hausverbot und Polizeieinsätze
 
Dagegen hatte sich breiter Protest gebildet. Der Aachener Friedenspreis e.V. hatte in einer Presseerklärung seine Solidarität mit Walter Herrmann bekundet. Auch der Bundesverband Arbeiterfotografie hatte Position bezogen. Immer wieder kam es zu Aktionen, mit denen gegen die Maßnahmen protestiert wurde. So zeigten auch die Kölner Soziologie-Professorin Maria Mies, die Bürgerrechtlerin Farida Akhter aus Bangladesh und der Überlebende des US-Atombomben-Abwurfs auf Nagasaki, Kazuo Soda (auch Träger des Aachener Friedenspreises), ihre Verbundenheit mit Walter Herrmann und seine in Deutschland und wahrscheinlich weltweit einzigartigen Friedensarbeit. „Das ist ja ungeheuerlich, was da mit dem Bürgerzentrum Alte Feuerwache BAF und Walter Herrmann geschieht, es handelt sich um eine regelrechte Enteignung der Bürger.“ Mit diesen Worten hatte sich z.B. die Kölner Soziologie-Professorin Maria Mies zu Wort gemeldet. Und auch Dieter Endemann gab zu verstehen, dass es so nicht weitergehen kann: „Menschen auszugrenzen und ihnen aus eigener Machtbefugnis ihren Lebensraum zu nehmen, darin sehe ich genau so eine Form 'pseudodemokratischen Gebarens', die 'auf die Dauer die Grundlagen einer lebendigen Demokratie' untergräbt.“
 
Ein entscheidender, wichtiger Erfolg
 
Nun waren am 28.9. die Mitglieder des Bürgerzentrums und die Öffentlichkeit zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung eingeladen, die von mehr als einem Drittel der Mitgliedschaft durchgesetzt worden war. Der Hauptantrag, der auf der MV behandelt wurde, lautete:
 
„Aufhebung der repressiven Maßnahmen gegen Walter Herrmann bzw. die Initiative Kölner Klagemauer: Rücknahme der Mietvertragskündigung, Rücknahme des Hausverbots und Wiederherstellung des Zustands zur Nutzung der alten Lagerhalle.“
 
Doch es war ein langes, teilweise erregtes Tauziehen, das der Abstimmung vorausging. Es begann mit der Wahl der Versammlungsleitung, für die es vonseiten der Repressionsbefürworter und der Repressionsgegner zwei unterschiedliche Vorschläge gab: das Duo Pfarrer Dieter Endemann und Robert Strauch auf der einen, das Duo Pfarrer Dieter Endemann und Klaus Stein auf der anderen Seite. Die Mehrheit der anwesenden Mitglieder entschied sich schließlich für eine dreiköpfige Versammlungsleitung, so dass alle drei Vorgeschlagenen neben drei BAF-Vorständlern (Maja Steinert, Marcus Müller und Michael Zepter) den Versammelten gegenüber saßen. Weiter ging es mit der eigentlich hinfälligen Frage, ob zwei weitere Anträge, die fristgerecht eingereicht worden waren, behandelt werden sollten oder nicht: nämlich Ende der Hinhaltetaktik bei der Aufnahme neuer Mitglieder und Gleichbehandlung von Mitgliedern unterschiedlicher Auffassung.
 
Doch auch, als es schließlich nach ca. einer Stunde zur Behandlung des Hauptantrags und in diesem Zusammenhang dann zu heftigen Diskussionen kam, war nicht klar, ob nun tatsächlich darüber abgestimmt werden würde. Strategie der Repressionsbefürworter war offensichtlich, ein klares Votum zu umgehen. Doch schließlich waren die Sprechchöre im Saal nicht mehr zu ignorieren. "Abstimmen, abstimmen!" schallte wieder und wieder und immer lauter durch den Raum. So wurde zunächst über die Frage abgestimmt, ob jetzt abgestimmt werden solle. Ergebnis: ja. So kam es dann nach zwei Stunden zur Entscheidung. Der Antrag wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. 22 Mitglieder stimmten dafür, nur 10 dagegen.
 
Damit ist klar: Die Repressionen müssen aufgehoben werden. Die Kündigung des Mietvertrags muss zurückgezogen werden. Das Hausverbot muss widerrufen werden. Und Walter Herrmann muss einen Schlüssel erhalten, mit dem er wieder Zugang zur Lagerhalle erhält, in der er über viele Jahre wesentliche Teile seiner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung untergebracht hatte. Es ist zu hoffen, dass sich dieser Schritt auch auf das Klima im Bürgerzentrum insgesamt auswirkt. Mitarbeiter des Bürgerzentrums, die auch Mitglied des BAF sind, hatten es zum Beispiel nicht gewagt, ihre Unterschrift unter den Antrag auf außerordentliche MV zu setzen.
 
Das Bürgerzentrum muss als Ort des Querdenkens, der Offenheit und Toleranz, als ein Ort, an dem unter kreativer Mitgestaltung durch viele Nutzerinnen kontroverse Themen diskutiert und eine alternative Politik aktiv vertreten werden können, als Ort „für experimentelle Kunst, Kultur und alternative Politik“ erhalten bleiben. Das brachte bei der Versammlung auch Maria Mies zum Ausdruck: „Ich habe mich stets gefreut, wie offen das Klima hier war und welche kritischen Veranstaltungen hier stattgefunden haben. Ich kann nur hoffen, dass die Feuerwache so bleibt"... „Ich fühle mich als langjährige Nutzerin und Angehörige einer Nutzergruppe durch ein solch radikales, unnachgiebiges Umgehen miteinander zutiefst verletzt! Es widerspricht zutiefst dem Geist – und nicht nur der Satzung – des gewachsenen Bürgerzentrums mit all den unterschiedlichen bunten Vögeln, die hier zusammenkommen.“ Das war aus dem Munde einer der InitiatorInnen des Antrags zu hören.
 
Die Auseinandersetzung geht weiter
 
Nur drei Tage nach der Entscheidung kam es am Abend des 1. Oktober zu einem Raubüberfall auf die Klagemauer vor dem Dom, so berichtet Klaus Franke, einer der Klagemauer-Betreiber. Drei junge Männer raubten das Schild mit der Aufschrift "Den Zionisten geht es nicht um Frieden, sondern um Unterwerfung der Palästinenser unter ihr Diktat" und die Spendenkasse mit den Tageseinnahmen samt Stuhl, mit dem die Kasse fest verbunden war. Und als sich ein Unterstützer der Klagemauer dem Räuber mit dem Schild in den Weg stellen wollte, drohte dieser: „Wenn du nicht zur Seite gehst, schlage ich dir das Schild über den Schädel.“
 
Am 12. Oktober wird es eine Veranstaltung in der Alten Feuerwache geben. Ihr Titel: „Antisemitisches Ressentiment und/oder Kritik an Israel?“ In der Ankündigung heißt es u.a.: „In den letzten Jahren wurde wiederholt Kritik an der sog. 'Kölner Klagemauer' wegen des Schürens von Ressentiments gegenüber Israel laut. Die 'Alte Feuerwache' wurde wegen vermeintlicher Unterstützung der 'Klagemauer' ebenfalls kritisiert. Als ein Ergebnis dieser Kritik hat sich der Vorstand des Vereins im Dezember 2010 der städtischen Resolution gegen die 'Klagemauer' angeschlossen...“ – Das ist zunächst einmal sachlich falsch. Es war im Mai 2011, als sich der BAF-Vorstand der im Dezember 2010 veröffentlichten Resolution nachträglich angeschlossen hat – u.a. auf Betreiben von Henryk M. Broder, der Israels verbrecherische Politik mit den Worten deckt, es sei „gut und richtig“, wenn ein Staat „mehr Täter als Opfer“ ist. Schließlich mache es „mehr Spaß, Täter statt Opfer zu sein“.

Walter Herrmann vor dem Kölner Dom an der Klagemauer für Frieden und Menschenrechte - mit dem am 1.10.2011 geraubten Schild
 
„Seit Jahren, seit zwei Jahrzehnten steht Walter Herrmann vor seiner Mauer der Empörung gegen Unrecht und Menschenrechtsverletzungen und muss sich zuweilen Beleidigungen und Diffamierungen anhören. Sein Vergehen: Er setzt sich für Recht und Gerechtigkeit ein und vor allem, er wagt es Israel zu kritisieren. Es gibt aber in diesem Land eine immer größer werdende Anzahl von Menschen, die diese Kritik nicht ertragen wollen. Es gibt aber auch andere, darunter auch immer mehr Juden, wie zum Beispiel die Juden von der 'Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.' die der Meinung sind, dass wir alle und insbesondere wir Juden, die Kritik ertragen müssen, auch wenn sie zuweilen unerträglich ist. Die Wahrheit tut manchmal weh, aber sie zu verschweigen wäre eine Sünde, wenn nicht sogar ein Verbrechen. Wir alle kennen doch das alte deutsche Sprichwort: Wer Unrecht sieht und es schweigend duldet – hat es mitverschuldet. Deshalb steht die Jüdische Stimme hinter Walter Herrmann und seinen provozierenden Aktionen. Er steckt seinen Finger in die Wunde und viele schreien vor Schmerzen. Das ist gut so.“ Das gab am 21.9.2011 ein Mitglied des Vorstands der 'Jüdischen Stimme' zu verstehen. (PK)
 
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16645
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16763


Online-Flyer Nr. 322  vom 05.10.2011

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