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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Kultur und Wissen
Verwirrung unter Polizeibeamten beim Benedikt-Besuch in Berlin
Papst und Hitler Seit’ an Seit’
Von Carl Blauhorn

Anlässlich des Papstbesuchs in Berlin schritten – wie in NRhZ 320 angekündigt – Papst und Hitler Seit’ an Seit' und Arm in Arm – dargestellt von den Künstlern Wolfram P. Kastner und Linus Heilig – vom Erzbischöflichen Ordinariat über den Bebel-Platz, Unter den Linden und durchs Brandenburger Tor zum Bundesreichstag.


Fotos: Carl Blauhorn
 
Der Führer aller Katholiken segnete würdevoll und einseitig grinsend Denkende aber auch Gläubige, BerlinerInnen und Touristen, während der Führer aller Deutschen nur ab und an einen Arm von sich streckte und knurrte „Die Vorsehung hat uns zusammengeführt“. Gemeinsam gedachten beide des seit 1933 (also seit 78 Jahren) ohne Unterbrechung gültigen Staatsvertrages, der zwischen den zwei autoritären (und massenmörderischen) Regimen Vatikan und Nazi-Deutschland abgeschlossen wurde.
 
Nahezu ausnahmslos lachten, lächelten oder schmunzelten die gesegneten Passanten den beiden Herren zu – nur die jungen Wachhunde vor dem Hotel Adlon und einige Uniformierte wandten sich mit starren Mienen ab. Ein Fahrgast der Berliner Verkehrsgesellschaft wagte es, hinter sicheren Scheiben seinen Stinkefinger zu zeigen. Auch er wurde vom Papst gesegnet.


Foto: Matthias Vogel
 
Tausende von Besuchern und Bewohnern Berlins fotografierten und filmten die beiden Würden- und Irrsinnsträger, denn nirgendwo gab es sonst Gelegenheit, dem BildZeitungsPapst so nahe zu kommen und ihn oder sich selbst mit ihm und seinem Führer am Arm abzulichten. Die Bildzeitung hatte auf einem 20 Meter hohen Plakat Herrn Ratzinger zu ihrem Papst aufgezogen, der dann auch von mehreren Tausend gepanzerten und mit Helm und Visier vor dem Denken bewahrten PolizistInnen abgeschirmt wurde und furchtbar ernsthaften Unsinn verkündete.


 
Derweil zog der Papst zum Anfassen mit seinem A.H.-Begleiter weiter durch Berlin und sorgte für Heiterkeit und tausendfache Zustimmungen, die dem Bildzeitungspapst kaum widerfuhren: „Geil“, „super“, „hey geil!“ „das ist das Beste“, „wow!“ oder „Mann is das geil“ und „das trifft’s“.
 
Lächelnd spendete der Führer aller Katholiken seinen Segen ohn’ Unterschied allen, die da seinen sofortigen Heimgang forderten, die Trennung von Kirche und Staat, die Entschädigung von Missbrauchten oder die strafrechtliche Verfolgung von katholischen Verbrechen.
 
Nur ein paar verwirrte Polizeibeamte störten die Harmonie und zwangen die beiden (Ver)Führer in die Sicherheitscontainer vor dem Reichstag, nahmen ihre Personalien auf und drohten ihnen mit einer Verhaftung wegen des Zeigens von "verbotenen Symbolen". Einer dieser geistig Armen sprach von einer Unverschämtheit, und ein anderer suchte die unsinnige Polizeiaktion damit zu rechtfertigen, dass er irgend welche nicht anwesenden Israelis erdachte, die sich als ebenso einfältig erweisen könnten wie er und nicht zu unterscheiden vermöchten zwischen einer Verherrlichung des ideologischen Irrsinns und der Kritik daran. Als der Papst einen Mit-Uniformen väterlich segnete, murmelte dieser widerspenstig, er wolle sein Sohn nicht sein. Offenbar ein Irrgläubiger.


 
Vor dem Brandenburger Tor kamen zwei uniformierte Einfältige herbeigeeilt und erteilten ohne Begründung einen Platzverweis. Am Potsdamer Platz ereignete sich ein weiterer peinlicher Zwischenfall: Papst und Hitler wurden von fünf schildkrötenartig ausstaffierten Männern mit starren Gesichtern umringt, die von höherer Stelle Rat anforderten, ob die beiden Führer ohne Anfechtung weiter gehen dürften.
 
Der Papst segnete auch sie und erbat für sie eine bessere Ausbildung und die Einsicht, dass sie berufen seien, Grundrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu schützen anstatt sie einzuschränken und trug ihnen auf, sie sollten besser Nazis jagen als törichte Taten zu begehen. In seiner Güte wird der Führer aller Katholiken wohl darauf verzichten, eine Feststellungs- klage einzureichen, damit diese Polizeiaktionen als rechtswidrig verurteilt werden können.
 
Unter dem Beifall von vielen Tausend Denkenden setzten beide Führer ihren Weg fort, anregend, irritierend und unterhaltsam. (PK)

Hinweis der Redaktion:
Kurz nach dem Bericht über die Aktion der beiden Künstler in Berlin erreichte uns dieser Leserbrief von Heinz W. Hammer aus Essen. 
 
Die Geschichtslügen des Papstes
 
Nachdem er als absolutistischer Kirchenfürst die Mitglieder des Deutschen Bundestages mit "einigen Gedanken über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates" belehrt hatte (22.09.), konnte der capo di tutti capi dann im thüringischen Eichsfeld (23.09.) so richtig vom Leder ziehen. Bei seinem Gig in Etzelsbach schwallte er davon, dass die dortigen Christen, so wörtlich, "zwei gottlose Diktaturen überstehen mussten" und nahm damit einmal mehr eine Gleichsetzung der sozialistischen DDR mit dem deutschen Faschismus vor.
 
Solche Geschichtsklitterung mit dem Ziel der Relativierung der einmaligen Verbrechen des deutschen Faschismus ist zwar unter Reaktionären aller Couleur üblich, sie wird dadurch aber nicht wahr. Vielmehr ist sie ahistorisch und stellt eine Verhöhnung der Opfer des Faschismus dar. Also betrachten wir stattdessen einige Fakten, Fakten, Fakten:
 
Die katholische Amtskirche hatte sich mit dem deutschen Faschismus blendend arrangiert und dessen aktive Unterstützung noch nach der Befreiung fortgeführt: Mit der vom Vatikan organisierten sog. "Rattenlinie" wurden nach 1945 zigtausende hochrangige Nazi-Kriegverbrecher, -Folterer und -Mörder nach Lateinamerika geschleust. Stellvertretend seien genannt der NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann, SS-Oberstumbannführer Adolf Eichmann, der KZ-Arzt von Auschwitz Josef Mengele und der Kommandant der Vernichtungslager von Sobibor und Treblinka Franz Sprangl. Der bereits am 20.Juli 1933 zwischen dem Vatikan und den Nazi-Faschisten geschlossene Staatskirchenvertrag ("Reichskonkordat") ist bis heute für den Nachfolgestaat Bundesrepublik Deutschland gültig.
Die katholische Amtskirche hat auch die anderen faschistischen Regime in Europa aktiv unterstützt oder war direkt an der Macht beteiligt: Italien (bis ’45), Spanien, Griechenland, Portugal bis zu deren Ende in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Die katholische Amtskirche hat (beginnend mit der Conquista 1492) alle terroristischen Diktaturen Lateinamerikas aktiv unterstützt oder war direkt an der Macht beteiligt. Innerkirchliche Gruppen, die sich im 20. Jahrhundert an die Seite der Armen und Unterdrückten stellten ("Theologie der Befreiung"), wurden vom Vatikan gnadenlos gemaßregelt, sanktioniert und exkommuniziert. Langjähriger persönlich Verantwortlicher dafür war der Chef-Inquisitor (sog. "Präfekt der Kongregation für Glaubenslehre") Joseph Ratzinger.
Über all dies schwieg der Papst in Deutschland. Man sagt, Schweigen hieße Lügen. Die Aufzählung der von Ratzinger lautstark beschwiegenen Verbrechen ließe sich noch seitenweise fortsetzen, bspw. die Unterstützung des klerikalfaschistischen Ordens Opus dei, die posthume Rehabilitierung zahlreicher faschistischer Verbrecher mittels sog. "Seligsprechung" usw. usf.
 
Statt dessen abschließend eine Literaturempfehlung: Gerhard Feldbauer – "Der heilige Vater, Benedikt XVI. – Ein Papst und seine Tradition", PapyRossa-Verlag, Köln 2010, ISBN: 978-3-89438-415-9.
 
Heinz-W. Hammer, Essen 


Online-Flyer Nr. 321  vom 28.09.2011

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