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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Kultur und Wissen
Der kambodschanische Maler Vann Nath ist gestorben
„Es ist, als weine der Himmel“
Von Alexander Goeb

Ein Freund ist gestorben. Vann Nath, der Maler, der die Hölle des Foltergefängnisses S-21 in Kambodscha überlebte - als einer von sieben. Er malte auf Befehl Porträts des Rote Khmer-Führers Pol Pot, um am Leben zu bleiben. 17.000 Häftlinge wurden gefoltert und anschließend wie Vieh erschlagen. Vann Nath wurde 65 Jahre alt, geboren am 7. Januar 1946. Am 7. Januar 1979 war er noch einmal geboren worden. An diesem Tag hatte ihn die vietnamesische Armee aus dem Foltergefängnis S-21 befreit.

Der Maler Vann Nath
Foto: Ho Pheng Chay
 
Als die Nachricht vom Tode Vann Naths bei mir eintraf, war die Trauer groß, und es kam die Erinnerung an den Film des kambodschanischen Dokumentarfilmers Rithy Phan „S21: The Khmer Rouge Killing Machine“, in dem Vann Nath die Hauptrolle spielt. Er tröstet den haltlos weinenden ehemaligen Mithäftling Chum Mey und spricht dann mit leiser Stimme zu den ehemaligen Schergen des Folterlagers, fragt nach der Menschlichkeit: „Warum seid ihr zu Tieren geworden? Und: „Warum hast du so gehandelt?" Es kamen die schablonenhaften Antworten. „Hätten wir nicht getötet, wären wir selbst ermordet worden.“
 
Viele in Kambodscha trauern jetzt. Für sie war Vann Nath eine wichtige Stimme der Überlebenden. 2009 sagte er gegen den Folterchef Kaing Guek Eav, genannt Duch, aus, den die Richter des Kambodscha-Tribunals zu 30 Jahren Haft verurteilten und ihm gleich elf Jahre erließen. Das endgültige Urteil steht noch aus.

Folterchef Duch im Kreise seiner Opfer auf einem Gemälde von Vann Nath
Foto: Heng Chivoan
 
Bettina Eichhorn, meine Frau, die Psychologin und ich, der Reporter, waren 1992 in Kambodscha. Für mich war es nach elf Jahren eine Rückkehr. 1979 hatte ich als einziger Journalist aus der damaligen Bundesrepublik Deutschland an einem Tribunal gegen Pol Pot und Ieng Sary teilgenommen und darüber berichtet. Für den WDR und den HR sollte ich 1992 über die Zerstörung der kambodschanischen Kultur unter Pol Pot berichten und über die, die die Massaker der Roten Khmer überlebt hatten. Wir trafen einen jugendlich wirkenden, wenn auch weißhaarigen Mann, 46 Jahre alt, seine Frau Kith Eng, die ebenfalls die Gräuel überlebt hatte, und die Töchter Sineth und Simen. Der kleine Sohn Chanarong lag noch im Säuglingsbett. Drei ältere Söhne waren in der Pol Pot-Zeit ums Leben gekommen.

Nath-Foltergemälde "Waterboarding"
Foto: Heng Chivoan

„Das ist Vann Nath“, sagte man mir, „der Maler. Er malt die Folter“. Das war Naths Arbeit bis zu seinem Tod. Vann Nath malte alles, was er in Erinnerung hatte, die Erniedrigungen, die Verhöre, die Deportationen, die Folter, die Morde. Manchmal ruhte Vann Nath aus. Dann malte er die wunderschönen kambodschanischen Landschaften, die Reisfelder, die eleganten Ölpalmen, die Wasserbüffel und die Menschen, die Bauern und Fischer, die Pagoden und Tempel, die von der sagenhaften Kultur des Khmer-Volkes erzählen.
 
Wir aßen eine Nudelsuppe. Viel sprechen konnten wir nicht, denn Nath sprach außer Khmer keine andere Sprache und unser damaliger Übersetzer hatte seine Fremdsprachenkenntnisse maßlos überschätzt.

Die sieben Überlebenden von Tuol Sleng (S21), in der Mitte Vann Nath
Quelle: Archiv DC-CAM
  
Nach 1993, als wir das Wirken der UNO in Kambodscha für den WDR dokumentierten, kehrten wir erst 2004 wieder nach Kambodscha zurück. Einer unserer ersten Wege führte uns in die Straße Nr. 169 zu Vann Nath. Seine Gemälde hingen inzwischen schon seit Jahren im ehemaligen Foltergefängnis S-21, der früheren Schule, dem heutigen Genozid-Museum. Wir trafen auf einen schwerkranken Mann mit gelbem Gesicht, von Fieber geschüttelt. Er konnte kaum sprechen. Ich schämte mich, ihm mein aufdringliches Mikrofon entgegen zu halten. Aber Nath winkte ab. Ein paar Sätze wolle er schon sprechen. Auf unsere Fragen, woran er denn litte, zeigte er uns ärztliche Dossiers und einige Schmerzmittel, die er einnehmen sollte. Er sprach von Nierensteinen, die entfernt worden waren. Bettina war schnell klar, da stimmt etwas nicht. Die Krankheit Vann Naths konnte keine Kleinigkeit sein. „Es sind die Nieren“, sagte Bettina. Sie hatte selbst im Alter von 18 Jahren eine schwere Nierenerkrankung gehabt und sie überwunden. Bei ihr war alles gut gegangen. Zurück in Frankfurt am Main kratzten wir die nötigen Euro zusammen und konnten über eMail Vann Nath überzeugen, sich in Bangkok einer Generaluntersuchung zu unterziehen. Das nach wie vor desolate kambodschanische Gesundheitssystem ist wenig vertrauenswürdig. Eine Krankenversicherung gibt es nicht. Wer in Kambodscha arm ist und schwer krank, hat wenig Aussicht zu überleben.
 
Das Ergebnis von Bangkok: Vann Naths Nieren hatten noch eine Funktion von fünf Prozent. Wir waren schockiert. Von Frankfurt aus konnten wir nicht mehr viel tun - außer Freunde um finanzielle Hilfen zu bitten. Sara Colm von Human Rights Watch und Kathleen O’Keefe, damals in Kambodscha ansässig, sorgten dafür, dass Nath erste Dialysen erhielt. Es war klar, dass er nun dauerhaft auf mindestens zwei Dialysen pro Woche angewiesen sein würde. Kosten von rund 1.000 Dollar pro Monat. Ein Vermögen in Kambodscha.
 
Einige Menschen spendeten. Vann Nath stand unter der ständigen Bedrohung, dass das Geld zur Neige ging. Die Dialysen halfen. Vann Nath erholte sich. Er malte wieder. Er organisierte Ausstellungen seiner Gemälde. Er erhielt den Hellman/Hammett Award von Humand Rights Watch.
 
2007 waren wir wieder in Kambodscha. Der Grund unseres Aufenthaltes waren diesmal Recherchen für mein Buch „Kambodscha - Reisen in einem traumatisierten Land“ (Brandes & Apsel). Bei unserem Treffen trug Nath eine Halskrause. Er hatte sich zusätzlich eine Knochentuberkulose zugezogen.
 
Nath stimmte zu, dass mit seinen Bildern eine Ausstellung produziert werden sollte, die dann 2008, 2009 und 2010 in deutschen Städten gezeigt werden konnte. 2008, wieder für den WDR in Kambodscha, konnten wir die Internet-Version der Ausstellung vorstellen. Leider war sie zunächst nur in deutscher Sprache präsent.
 
Mitte 2010 dann wieder eine Hiobsbotschaft aus Kambodscha. Vann Nath war zusammengebrochen und konnte nur mit Mühe von den Ärzten gerettet werden. Es stellte sich heraus, dass der Maler vor allem aus Geldmangel die lebensnotwendigen Dialysen unterbrochen hatte. Wieder gab es jetzt Aufrufe Geld zu spenden, um Vann Naths Leben zu retten. Die Regierung erklärte Vann Nath zu einem „nationalen Schatz“. Geld konnte die reiche Clique um den Ministerpräsidenten Hun Sen aber nicht erübrigen.
 
Der Dokumentarfilmer Rithy Panh, dessen Film in Cannes preisgekrönt worden war, rief zu Spenden auf. Und ich hatte eine Idee. Die erwähnte Ausstellung mit dem Titel „Das Kambodscha-Desaster“ war nahezu ausschließlich durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur finanziert worden. Ich schilderte der Stiftung die Lebensgeschichte Vann Naths und seine Rolle als Zeuge des Kambodscha-Tribunals, das die Verbrechen der Rote Khmer-Zeit aburteilen soll. Die Stiftung stellte spontan rund 25 000 Dollar für die Behandlung Vann Naths bereit. Als wir Anfang 2011 wieder in Kambodscha waren, um die Ausstellung in einer englischen und einer Khmer-Version in der Kulturinstitution Meta-House zu zeigen, war das Geld gerade angekommen. Angst und Spannung waren vorerst beseitigt. Vann Nath hatte sich wieder erholt. Er malte und war gerade dabei, nach Paris zu reisen, um dort seine Bilder zu zeigen und einen Ehrendoktortitel entgegen zu nehmen.

Abschied im Januar 2011 - von links: Bettina Eichhorn, Vann Nath, Alexander Goeb und Naths Ehefrau Kith Eng
Foto: Alexander Goeb
 
Nach der Rückkehr aus Paris begannen wieder die Qualen der Dialysen in Kambodscha, die Vann Nath schon immer schlecht vertragen hatte. Kopfschmerzen stellten sich ein. Zuletzt hatte sich Wasser in den Lungen angesammelt. Dann der Herzstillstand. Rettungsaktionen im Krankenhaus. Koma. Es war zu spät.
 
Unser Freund Vann Nath ist tot. Bettina, meine Frau, weint immer noch. Ich habe diesen Artikel geschrieben. Kathleen O’Keefe schrieb uns gerade: „Als er starb, war es, als weine in Kambodscha der Himmel.“  (PK)


Online-Flyer Nr. 319  vom 14.09.2011

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