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Kommentar
Und wie reagiert der Staatsanwalt auf die bekannt gewordenen Plagiate?
Diebstahl geistigen Eigentums
Von Wolfgang Bittner

Ein Plagiat, also „geistiger Diebstahl“, ist ein Vergehen und kann nach § 106 des Urheberrechtsgesetzes mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Bei nachgewiesenem Plagiat handelt es sich also nicht um ein Kavaliersdelikt oder um eine Nachlässigkeit, um „Schwächen“ oder „Mängel“ einer Doktorarbeit, wie die Europa-Parlamentarierin Silvana Koch-Mehrin (FDP) nach Entziehung ihres Doktortitels durch den Promotionsausschuss der Universität Heidelberg reklamierte.

Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)
NRhZ-Archiv
 
Ähnlicher Ausreden hatten sich auch der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und die Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, Veronika Saß, bedient. Bemerkenswert war ein Talkshow-Auftritt des Europa-Parlamentariers Jorgo Chatzimarkakis (FDP), dessen Rechtfertigungsversuche an Dreistigkeit kaum zu überbieten sind. Zurzeit werden weitere Doktorarbeiten bekannter Persönlichkeiten geprüft, unter anderem des Bundestagsabgeordneten Bijan Djir-Sarai (FDP), des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann (CDU) sowie der Unternehmerin Margarita Mathiopoulos.
 

Auf diesem Foto noch mit Dr.-Titel: Jorgo
Chatzimarkakis, FDP-MdEP, am 24. Juni 2008
auf der ATZ/MTZ-Konferenz "CO2 - Herausforderung
für die Zukunft" in München.
Das Bedürfnis, sich mit dem beliebtesten deutschen Vornamen zu schmücken und damit hervorzuheben, scheint so groß zu sein, dass selbst vor Straftaten nicht zurückgeschreckt wird. Außerordentlich peinlich und für den „Wissenschaftsstandort Deutschland“ blamabel ist, dass Althusmann nicht nur Kultus-minister, sondern außerdem noch Präsident der Kultusministerkonferenz ist. Und Koch-Mehrin war Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und ist Mitglied im EU-Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie; übrigens löste sie in dieser Position ihren Parteikollegen Chatzimarkakis ab.
 
Wer wissenschaftlich arbeitet, weiß, dass und wie zu zitieren ist, wenn Gedankengut anderer übernommen wird. Insofern ist bei Täuschungsversuchen grundsätzlich von Vorsatz auszugehen. Wenn aber ein Doktorand mit den Gepflogenheiten wissenschaftlichen Arbeitens wirklich nicht vertraut gewesen sein sollte, disqualifiziert er sich damit für eine Promotion, und ihm ist im Nachhinein sein Doktortitel abzusprechen. Dabei geht es selbstverständlich nicht um zwei, drei vergessene Anführungszeichen, sondern um nicht gekennzeichnete Übernahmen fremder Ideen und Textstellen größeren Umfangs.
 
Plagiatoren begehen einen besonders perfiden Diebstahl. Dem Urheber gehen die gestohlenen Ideen und Inhalte weitgehend verloren, weil sie nicht mehr originär sind. Und der Plagiator profitiert unrechtmäßig in mehrfacher Hinsicht: Er brilliert mit fremdem Geistesgut, fördert seine Karriere und steigert sein Einkommen durch die Aneignung fremder Arbeit. Dass nach neueren Untersuchungen ständig Ideen gestohlen und wissenschaftliche, literarische oder künstlerische Werke schamlos ausgebeutet werden, ist keine Entschuldigung, eher ein Armutszeugnis für unsere Kultur. Vielleicht erklärt sich der Mangel an Unrechtsbewusstsein bei den Plagiatoren daraus, dass Erfolg im Kapitalismus nicht selten durch Aneignung der von anderen geleisteten Arbeit entsteht.
 
Außer einem Verstoß gegen das Urheberrecht können weitere Delikte vorliegen. Universitäten verlangen in der Regel eine eidesstattliche Erklärung, dass der Doktorand seine Dissertation eigenständig und nur unter Verwendung der angegebenen Hilfsmittel angefertigt hat. Wird dagegen verstoßen, liegt eine falsche Versicherung an Eides statt vor, die nach § 156 des Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe zu ahnden ist. Wurde ein Ghostwriter engagiert, was vermutlich keine Seltenheit ist, sich jedoch nur schwer nachweisen lässt, kann noch Urkundenfälschung nach § 267 StGB in Betracht kommen; das Gesetz sieht dann eine Freiheitstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor, und schon der Versuch ist strafbar. Außerdem kann der betroffene Urheber in einem zivilrechtlichen Verfahren Schadenersatz fordern.
 
Weitere Fälle der Erschleichung von Doktortiteln sind inzwischen bekannt geworden, andere werden folgen. Wenn jetzt von interessierter Seite behauptet wird, es finde eine Treibjagd auf Plagiatoren statt, so ist das eine infame Verkehrung der Tatsachen: Der Täter fühlt sich verfolgt. Eigentum, auch geistiges Eigentum, steht unter dem Schutz des Gesetzes, und nicht zuletzt ist die Reputation der Doktortitel vergebenden Universitäten und des gesamten Wissenschaftsbetriebes gefährdet. Unabweisbar drängt sich die Frage auf, ob heute in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vor allem die rücksichtslosen Durchsetzer, die Blender und Betrüger in Spitzenpositionen kommen. Abzuwarten bleibt, wie die Staatsanwaltschaften und die Gerichte auf diese kriminellen Machenschaften einer angeblichen Elite reagieren. (PK)
 
Wolfgang Bittner, geboren 1941 in Gleiwitz, lebt als freier Schriftsteller in Göttingen. Der promovierte Jurist schreibt für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, ist Mitglied im P.E.N. und erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen (u.a. 2010 den Kölner Karls-Preis der NRhZ). Er veröffentlichte mehr als 60 Bücher, darunter die Romane "Niemandsland, Flucht nach Kanada" und "Schattenriss oder Die Kur in Bad Schönenborn" (2011) sowie den Erzählband "Das andere Leben" und das Sachbuch "Beruf: Schriftsteller". Seine Webseite: www.wolfgangbittner.de


Online-Flyer Nr. 317  vom 31.08.2011

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