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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Lokales
LVR will Aufarbeitung der Nachkriegs-Nazikontinuität jetzt anpacken
Und die Psychiatrie-Opfer in Brauweiler?
Von Lothar Gothe

Überraschend hat sich Ulrike Lubek, Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) bei mir gemeldet und ein Gespräch zum Thema LVR-Fachklinik für Psychiatrie und Neurologie Brauweiler angeboten, zu dem die NRhZ gerade eine vierteilige Serie "Menschen wie Vieh gehalten" von SchülerInnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Pulheim in ihren letzten Ausgaben gebracht hat.(1) Das Gespräch hat im LVR stattgefunden. Teilnehmer waren neben mir Kurt Holl und Heino Lonnemann, auf Seiten des LVR neben der Landesdirektorin die Landesrätin für Kultur, Frau Karabaic und die Landesrätin für Klinikverbund Frau Wenzel-Jannkowski (Psychiatrie).
 

LVR-Direktorin Ulrike Lubek
Quelle: www.lvr.de/
Frau Lubek erklärte, sie habe die Auseinandersetzungen der letzten Zeit verfolgt, kenne die Radiosendung "Arme Irre", meine Rede, das Brauweilerflugblatt usw. Sie sei sich mit den Landesrätinnen darüber einig, daß die Aufarbeitung der Nachkriegs-Nazikontinuität jetzt angepackt werden müsse, ausdrücklich auch, was die zentrale Person Udo Klausa (2) betrifft. Die Forschung soll nicht von LVR-Mitarbeitern durchgeführt werden, sondern von unabhängigen Wissenschaftlern. Da das viel Geld koste, müsse das von den parlamentarischen Gremien genehmigt werden. Die Verwaltung werde eine entsprechende Vorlage erstellen.
 
Frau Lubeck stimmt zu, daß in dieser Forschung nicht nur die Karrieren von NS-Belasteten im LVR nach 1945 untersucht werden sollten, sondern auch die Frage, inwieweit Theorie und Praxis des LVR im Hinblick auf bestimmte Personengruppen durch solche Funktionäre nach 1945 beeinflußt worden seien. Wir forderten, daß das Leiden von Psychiatriepatienten (siehe die Skandale der 70er Jahre), „Fürsorgezöglinge“ und „Zigeunern“ erforscht werden müsse, insofern der LVR dafür verantwortlich war. Wir wiesen auch darauf hin, daß Roma und Sinti in mehrfacher Hinsicht durch Sterilisation, Euthanasie, Einweisung in NS-Erziehungsheime, Straflager bzw. KZs usw. betroffen gewesen seien. Wobei eine Frau Beuermann, die ebenfalls nach 45 im LVR wieder tätig war, sich besonders hervorgetan habe. Selbstverständlich muß die Behandlung dieser Minderheit nach 1945 (Freiheitsberaubung, Verletzung der körperlichen Unversehrtheit etc.) durch den LVR ausführlich dargestellt werden, einschließlich der nicht erfolgten Entschädigung durch den LVR.

Lothar Gothe (rechts) und Rainer Kippe vom SSK sorgten für ein Ende der von 1954 bis 1975 andauernden Nazi-Psychiatrie im Landeskrankenhaus Brauweiler
NRhZ-Archiv
 
Frau Lubeck und ihre Kolleginnen waren während der Auseinandersetzungen der 70er/80er Jahre noch nicht beim LVR, doch haben wir ihnen vorgehalten, daß seit der Verleihung des Rheinlandtalers an Kurt Holl vor mehr als 3 Jahren durch ein Flugblatt und zahlreiche Briefe mit klaren Hinweisen auf das braune LVR Netzwerk alle LVR-Verantwortlichen in Verwaltung und "Parlament“ über Klausa & Co Bescheid wussten, aber trotzdem abgewimmelt und abgeblockt haben und schließlich die um den Nazi-Hintergrund kastrierte Studie über die Erziehungsheime "Verspätete Modernisierung“ vorgelegt wurde. Warum Klausa noch vor wenigen Monaten mit einer Ausstellung im Landeshaus zum 100sten Geburtstag geehrt wurde und warum jetzt plötzlich die Umbesinnung kommt, konnten oder wollten sie direkt nicht beantworten, ließen aber durchblicken, daß der Druck durch die Veröffentlichungen der letzten Zeit eine Rolle spielt.
 
Offensichtlich macht ihnen auch große Sorgen, daß bald das Buch einer englischen Historikerin über Klausas Nazivergangenheit und insbesondere seine Tätigkeit als Landrat im besetzten Polen erscheint.
 
Ein Anlaß für das Gespäch war aber auch die Euthanasieausstellung "Graue Busse“ welche der
LVR nach Köln holt und die ausgerechnet am 1.9., dem Tag des deutschen Überfalls auf Polen,
vor dem Landeshaus eröffnet werden soll (11.00 Uhr).
 

Udo Klausa - erster Landesdirektor
des Landschaftsverbandes
Rheinland - mit Nazivergangenheit
NRhZ-Archiv
Wir verlangten wieder, daß unbedingt auf Klausas Nazivergangenheit, seine rassistische Hetzschrift und die Nachkriegsopfer der LVR-Psychiatrie hingewiesen werden müsse und auf den LVR-Klinikdirektor Panse, der als Euthanasiegutachter ein verbreche-rischer Nazimordgehilfe war. Würde das weiterhin verschwiegen, geriete die Ausstellung "Graue Busse" zur reinen Heuchelei. Frau Lubek versuchte (ähnlich wie zuvor die Vorsitzende des Gesundheitsauschusses) das zurück zu weisen, indem sie auf unseren Rechtsstaat verwies, der keine Vorverurteilungen erlaube, weshalb erst das Ergebnis der zukünftigen "Klausa-Forschung“ abgewartet werden müsse. Außerdem gibt es zu Brauweiler rechtskräftige Urteile wegen Totschlagsdelikten; der LVR hat sich dennoch bis heute nicht bei den Opfern entschuldigt. Unserem Vorhalt, daß das Klausas Buch "Rasse und Wehrrecht“ von 1936 ja vorliegt (Frau Lubek hatte es nicht gelesen) und damit allein Klausa bereits als nationalsozialistischer "Vordenker der Vernichtung“ und rassistischer Verbrecher überführt sei, stimmte Frau Karabaic im Grundsatz zu. In der Eröffnungsrede, für deren Text sie verantwortlich sei, solle in aller Deutlichkeit auf Klausa eingegangen werden. Wir werden hören, ob das auch geschieht???
 
Frau Lubek erklärte schließlich, daß sie auf eine Zusammenarbeit mit uns Wert lege, daß sie aber wohl nicht erwarten könne, daß wir dem LVR nun Vertrauen entgegenbringen würden. Die LVR-Spitze fühlt sich offensichtlich so schwer unter Druck, daß sie eine radikale Strategieänderung für opportun hält: Die Gegner einbinden, statt weiter abzuwimmeln, abzublocken und zu vertuschen.
Es steht aber zu befürchten, daß sofort der Rückfall in die bisher geübte üble Praxis erfolgt, sobald der Druck wieder nachläßt.
 
Deshalb müssen wir weiter jede Gelegenheit nutzen, in der Öffentlichkeit auf das Nachkriegselend tausender Schutzbefohlener des LVR und dessen braune Wurzeln hinzuweisen. Die nächste wird die Eröffnung der Euthanasieausstellung am 1. September sein! (PK)
 
(1)
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16721
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16773
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16789
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16804
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16828
(2) siehe "Menschen wie Vieh gehalten" - Teil 3


Online-Flyer Nr. 316  vom 24.08.2011

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