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Kultur und Wissen
Farida Akhters Buch über fruchtbringende Formen des Widerstands
Samenkörner sozialer Bewegungen
Von Anneliese Fikentscher

„Für mich sind Samenkörner die Metapher für Ideen, die im Rahmen verschiedener Bewegungen des Widerstands entstehen, um die Gegenwart in eine glücklichere Zukunft zu transformieren“, schreibt Farida Akhter aus Bangladesh. In ihrem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch berichtet sie über Frauenbewegungen und andere Bewegungen, die die Menschheit betreffen - weltweit.
 
In großen Zügen geht es darum, die menschliche Kultur und die Natur vor schädlichen Einflüs- sen zu schützen und die großen, kleinen, einfachen Errungenschaften, Wissen und Vielfalt zu bewahren - im Handwerk, in der Landwirt-schaft, in der Wertschätzung der Natur. Entwicklung ist ein Reizwort, das sich wie ein Leitfaden durch das Buch und durch das Leben der politisch aktiven Frauenrechtlerin, Umweltschützerin und Wirtschaftswissenschaftlerin zieht. Denn die Entwicklung, die von westlichen Kolonialmächten und Finanzgewalten den aus deren Perspektive "unterent-wickelten“ Ländern aufgezwun- gen werden soll, komme einer Zerstörung gleich.
 
Vernichtung der Armen durch Entwicklung
 
Farida Akhter stellt die Forschungsgruppe UBINIG vor, deren Geschäftsführerin sie heute ist. Was 1981 mit einzelnen Studien begann, wurde 1984 in der "Organisation zur alternativen Entwicklungsforschung“ UBINIG (Abkürzung der bengalischen Bezeichnung - ubinig.org) institutionalisiert und besteht heute aus einem Stab von über 200 Mitarbeitern und zusätzlichen 324 Sozialarbeitern vor Ort mit über zwei Dritteln weiblichen Beschäftigten. In den Anfängen „sahen wir Probleme auf zwei Ebenen, auf der Ebene der Weltbankpolitik, die eine exportorientierte Industrialisierung vorschlug, ... sowie auf der Ebene der Zerstörung der Landwirtschaft und der traditionellen Handweberei.“ Die Organisation untersucht, wie sich „Fremdkörper innerhalb der Volkswirtschaft“ auswirken. Im Gegensatz zur Fragwürdigkeit so genannter NGO’s (Nicht-Regierungs-Organisationen), die sich - wie die Regierung Bangladeshs - „dazu verpflichtet hatten, die von den multilateralen Geberinstitutionen verordnete Entwicklungspolitik zu implementieren, war es unsere Aufgabe, die Probleme aus der Sicht der Bevölkerung zu untersuchen.“ Aus einem Arbeitsprogramm mit Handwebern, Bauern, Landfrauen und Adibashi (indigene Ureinwohner) erwuchs das Projekt der Neuen Bauernbewegung "Nayakrishi Andolon“.
 
Von der "Grünen Revolution“ befreite Dörfer
 
Die Entwicklung eines neuen Selbstbewusstseins entstammt nach Akhter auch einer Patriarchatskritik. Denn das Wissen um die Bewahrung des heimischen Saatgutes lag in den Händen der Frauen. Heute wird es in einem neu geschaffenen Seed Wealth Center - einem Zentrum zur Bewahrung des Samenreichtums - gesichert. Die so genannte Grüne Revolution aus dem Exportkontingent der multinationalen Konzerne brachte gentechnisch verändertes, nicht reproduzierfähiges Saatgut, Monokultur und den verstärkten Einsatz von Pestiziden. Viele der aus Armut in noch größere Armut getriebenen Landfrauen tranken aus Verzweiflung das Gift des Westens. Die Nayakrishi-Dörfer verpflichten an erster Stelle sich selbst, pestizidfrei zu arbeiten. Im Jahr 2006 waren es bereits 495 Dörfer in 143 Kommunen und 17 Distrikten mit 170.000 Bauernhaushalten, die den Multis Monsanto, Novartis, ICI (Akzo Nobel) und anderen den Zutritt verwehren. Die traditionelle Weisheit wird wissenschaftlich in eine moderne, ökologische Ertragswirtschaft mit Schulungen und Vorträgen übernommen.
 
Vielfalt in jeder Hinsicht - auch im Protest
 
Das neue Selbstbewußtsein drückt sich schließlich in der Verweigerung gegenüber der westlichen Sprache und der damit verbundenen Konnotation der Begriffe aus. Denn die Monokultur des angloamerikanischen Begriffsraumes abzulehnen („Neusprech hatte nicht nur den Zweck, der Weltanschauung und geistigen Haltung... ein Ausdrucksmittel zu verschaffen, sondern auch, jede Art anderen Denkens auszuschalten“, so Orwell im Zukunftsroman "1984“), bedeutet Widerstand gegen Herrschaft durch Sprache. Die großartige kleine Frau Farida Akhter ist Muslima und ihr auf Deutsch erschienenes Buch ist nur ein winziger Kristall eines Eisberges in ihrem Wirkungsbereich, der die Entdeckung lohnt.
 
Seit 30 Jahren stellt sie eingefahrene Sichtweisen auf den Prüfstand. Als erste kritisierte sie die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Praxis der Mikrokredite, die - vorwiegend an Frauen vergeben - mit ihrem effektiven Zinssatz von 30 Prozent, die Armen in eine Schuldenspirale trieben. Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Professor Yunus war ihr Lehrer, doch nach Akhters Untersuchungen bewirkten die von der Grameen Bank - heißt Dorfbank - und später von vielen NGO’s vergebenen Mikrokredite, die heute selbst in der EU angekommen sind, „eine Vernichtung der Armen durch Entwicklung“. Was unter Weltbankpräsident McNamara als „Bevölkerungskontrolle“ begann, bezeichnet Akhter als Entvölkerungspolitik, die unsinnigerweise mit Programmen zur Überwindung von Nahrungsmittelknappheit gekoppelt wurde.
 

Farida Akhter mit Maria Mies auf ihrer
zweitätigen Vortragsreise in Deutschland,
Daun/Eifel, Juli 2011
Fotos: Anneliese Fikentscher

Auf diesem Weg begegnete sie 1985 in Schweden der Soziologin Prof. Maria Mies, bei der „Notwendigkeitskonferenz gegen Gen- und Reproduktionstechnik“ wenige Jahre nach der Geburt des ersten Retortenbabies Louise Brown. Die gleichen Konzerne verdienten und verdienen an der Kontrolle der Geburten durch Verhinderung, Abbruch oder Retorte. Konzern- und kapitalis-muskritischer Feminismus zusammengetragen in einem Buch (in deutscher Übersetzung herausgegeben von Maria Mies), das aufzeigen will, dass Samen-körner eigenständigen Handelns zu Früchten heranreifen. (PK)
 
Farida Akhter:
Samenkörner sozialer Bewegungen
Centaurus Verlag, 22,80 Euro


Online-Flyer Nr. 314  vom 10.08.2011

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