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Lokales
Das Zwangsarbeiter- und "Krankensammellager" im Gremberger Wäldchen
Am Ende erschossen und verbrannt
Von Fritz Bilz

In einer Veranstaltungsreihe zum 70. Jahrestag des Überfalls NAZI-Deutschlands auf die Sowjetunion hielt der Kölner Historiker Dr. Fritz Bilz in der Gedenkstätte "Gremberger Wäldchen" am 23. Juni eine Rede mit dem Titel mit dem Titel "Zwangsarbeiter- und 'Krankensammel'lager Gremberger Wäldchen". Die Veranstaltungen wurden getragen von getragen von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Köln, der Deutsch-Russischen Gesellschaft Rhein-Ruhr, dem Friedensbildungswerk Köln, dem Kölner Friedensforum, dem Lew Kopelew Forum e.V., dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, dem Verein EL-DE-Haus e.V. und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Köln. – Die Redaktion


Gedenkstätte im Gremberger Wäldchen
Foto: Gunhild Zürcher
 
Der 70. Jahrestag ist aus der Sicht des Vereins EL-DE-Haus ein geeigneter Zeitpunkt, die Erinnerung an die NS-Kriegsverbrechen auch gegenüber den Völkern der damaligen Sowjetunion ins Bewusstsein, ins Gedächtnis zu rufen. Leider haben Gesellschaft und Medien diese Erinnerungskultur nicht in der Weise gepflegt bzw. gefördert, wie es für die Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte und vor allem für die Millionen von zivilen Opfern der ehemaligen Sowjetunion angemessen gewesen wäre. Vielleicht trägt die folgende Dokumentation ein wenig dazu bei, den Zustand des Vergessens und / oder Verdrängens zu korrigieren.
 
An dieser Stelle befand sich in der Zeit von 1942 bis 1945 ein Zwangsarbeiterlager, das insbesondere als Krankenlager für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Köln und Umgebung diente. Schon seit 1939 gab es hier ein Barackenlager des Reichsarbeitsdienstes, in dem Arbeiter des Reichsautobahnbaus im Osten von Köln untergebracht waren. Traurige Berühmtheit erlangte dieses Lager durch die Ermordung von sowjetischen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen kurz vor der Befreiung Nazi-Deutschlands durch die Alliierten.
 
In dieses Lager, das aus mehreren Bracken bestand, wurden insbesondere Menschen aus der Sowjetunion, der Ukraine, Polen und Franzosen eingeliefert, die zur Zwangsarbeit in die umliegenden Industriebetriebe verschleppt und wegen mangelnder Hygiene und unzureichender Ernährung erkrankt waren. Ein Zeitzeuge, Iwan Pachomow, erinnert sich: „Die Kranken bekamen im Lager keine Behandlung und noch schlechtere Nahrung als im Lager beim Werk.“


Fritz Bilz bei seiner Rede vor Denkmal und Gedenktafel
Foto: Karola Fings
 
Auch aus den Untersuchungsberichten von Ärzten wissen wir, daß der Zustand der Kranken als „elend“ bezeichnet wurde. Oft wurde als Krankheit „offene Tuberkulose“ diagnostiziert. Die dauernde Belegungsstärke umfasste mindestens 150 Personen. Insgesamt haben weit über 800 Menschen dieses Lager durchlaufen. Es gab auch eine Entbindungsstation, somit wissen wir, daß auch Frauen hier waren. Die Tochter einer ukrainischen Zwangs-arbeiterin, Tamara W., wurde in diesem Lager in einer Bombennacht im Juli 1944 ohne ärztliche Hilfe geboren. Ihre Mutter hat ihr erzählt, dass die hygienischen Zustände dort sehr schlecht waren. So erkrankte die Mutter an Typhus und die Tocher an Diphterie. Mutter und Tochter überlebten nur, weil der Vater – ein entflohener ukrainischer Zwangsarbeiter – beiden in einer weiteren Bombennacht zur Flucht verhalf.


TeilnehmerInnen der Gedenkstunde
Foto: Gunhild Zürcher
 
Das Lager unterstand der Deutschen Arbeitsfront. Die Menschen sollten hier nicht gesund gepflegt werden, sondern man ließ sie hier krepieren. Die Menschen starben hier wie die Fliegen. Aus den Akten kann man rekonstruieren, dass hier in der Zeit von März bis Juli 1943 durchschnittlich 12 Menschen pro Monat starben, ein Jahr später lag die Todesrate bei 25
zumeist jungen Menschen im Monat. Drei Viertel dieser Männer und Frauen waren unter 22 Jahren alt. Es kann von einer Totenzahl von über 500 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der Zeit von 1943 bis 1945 ausgegangen werden.
 
Nicht alle Lagerinsassen sind gestorben, es gab wenige, die wieder in andere Lager zum Arbeitseinsatz versetzt wurden oder denen die Flucht gelang. Die toten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden bis zur Befreiung des linksrheinischen Kölns auf dem Westfriedhof in Massengräbern beerdigt.
 
Wir wissen wenig über dieses Lager. Tote können ihre Geschichte nicht mehr erzählen. Etwas mehr wissen wir über das grausame Ende des Lagers aus einem Zeitzeugenbericht und den Ermittlungsakten der britischen Besatzungsbehörde. Am 6. März 1945 wurde das linksrheinische Köln durch die amerikanischen Besatzungstruppen befreit. Fast sechs Wochen war der Rhein nun die Grenze zwischen Nazideutschland und dem befreiten Teil. Am 7. April 1945 gab der Kölner NSDAP-Kreisleiter Alfons Schaller den Befehl, dieses Lager zu räumen.
Am Sonntag dem 8. April, dem Palmsonntag, kamen zwei LKWs mit Volkssturmmännern aus Poll und Deutz, die das Lager umstellten. Die Insassen wurden aufgefordert, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken und sich auf der Straße in Kolonnen aufzustellen. Die meisten kamen dem Befehl nach, manche flohen, andere waren zu schwach, um das Lager zu verlassen.
 
Was danach geschah, schildert der Zeitzeuge Sergej Stepanow, der in dem Lager untergetaucht war: „Um fünf Uhr morgens kamen auf zwei LKWs Männer und umstellten das Lager. Ich wachte von den Schüssen auf. Sie kamen an ein Fenster, machten es auf und schossen. Dann gingen sie an ein anderes Fenster. Ich und mein Freund versteckten uns unter dem Tisch, der vor dem Fenster stand. Da hörten wir, dass zuerst die Scheiben eingeschlagen wurden und dann das Schießen anfing. Sie schossen durch die Fenster. Daher versuchten wir aus der Baracke herauszukommen.“ Danach wurde befohlen, die Krankenbaracken zu verbrennen, „um einen Seuchenherd zu beseitigen“, so ein Teilnehmer der Aktion, ein Volkssturmmann, bei seiner Vernehmung durch die britische Besatzungsbehörde im März 1948. Es wurden dann mehrere Ballen Stroh in die Baracken gesteckt, Benzin drüber geschüttet und dann Feuer gelegt. Mehrere Schwerkranke, die nicht mehr laufen konnten, sind dabei bei lebendigem Leibe verbrannt.
 
Wie viele Menschen bei diesem grausamen Verbrechen ermordet wurden, ist nicht bekannt. Die Aussagen darüber schwanken. Am 10. April 1945 wurden vier erschossene und sieben verbrannte Zwangsarbeiter aus diesem Lager beigesetzt. Diese Zahlen sind belegt, auch wenn Zeitzeugenberichte von bis zu zehn Erschossenen und 20 Verbrannten berichteten. Aufgrund der britischen Ermittlungen konnten der Tathergang und die drei Haupttäter genau ermittelt
werden. Die Akten der Anklageerhebung gegen drei namentlich bekannten Personen wurden am 15.Juli 1949 an den Kölner Generalstaatsanwalt übersandt. Dies ist nachgewiesen. Die Kölner Staatsanwaltschaft ist diesen Fällen nicht nachgegangen. Warum nicht, darüber kann nur spekuliert werden. Es kann durchaus möglich sein, dass die deutsche Justiz – noch durchsetzt mit Richtern aus der NS-Zeit – kein Interesse an der Verfolgung ehemaliger
Kameraden hatte.
 
Erst 1998 – 53 Jahre nach der Tat – wurden die Ermittlungsakten im englischen Staatsarchiv „Public Record Office“ in London von dem Kölner Historiker Gebhard Aders wiederentdeckt. Er hat dieses Verbrechen erforscht und in einem Aufsatz 1999 öffentlich gemacht. Die namentlich bekannten drei Mörder sind inzwischen verstorben. Der Stein in kyrillischer Schrift spricht von 74 sowjetischen Bürgern, die in ihrer Gefangenschaft hier ermordet wurden. Es ist anzunehmen, dass hier nur die Toten begraben sind, die im März und April 1945 hier umgekommen sind. Denn vorher wurden sie auf dem Westfriedhof beerdigt. Nach der Befreiung des linksrheinischen Kölns war dies nicht mehr möglich.
 
Wer diesen Gedenkstein errichtet hat, ist nicht bekannt. Es wird wohl die sowjetische Militärmission gewesen sein, die unmittelbar nach Kriegsende mehrere Gedenksteine errichten ließ, so unter anderem auf dem Friedhof in Porz und Porz-Urbach. Es können aber auch ehemalige befreite Zwangsarbeiter gewesen sein, die die ermordeten Menschen in einem Massengrab beigesetzt haben. Der deutsche Gedenkstein ist 1985 auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) errichtet. Er wurde durch den Kölner Künstler Klaus Balke gestaltet. Bis heute ist der grausame Mord an diesen Menschen ungesühnt, obwohl alle Fakten der deutschen Justiz bekannt waren. Ein Armutszeugnis für unsere Zivilgesellschaft. (PK)
 
Der Text stützt sich – neben dem oben erwähnten Aufsatz von Gebhard Aders – vor allem auf Materialien, die das NS-Dokumentationszentrum im Rahmen des Forschungsschwerpunktes Zwangsarbeit und, zusammen mit der „Projektgruppe Messelager“ im Verein EL-DE-Haus – im Rahmen des städtischen Besuchsprogramms für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zusammengetragen hat.
 
Die Rede von Fritz Bilz wurde in der SONDER-AUSGABE JULI 2011 des „EL-DE-INFO“ veröffentlicht. Alle Beiträge dort finden Sie unter 
Bestellungen sind möglich über EL-DE-Haus@web.de


Online-Flyer Nr. 310  vom 13.07.2011

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